Donnerstag, 18. April 2024
Thema der Woche | 21. September 2017

Wenn der Kandidat wieder klingelt

Wahlforscher Simon Kruschinski über Fake News und Haustürwahlkampf vor der Bundestagswahl

Express: Die Verbreitung von gefälschten Nachrichten erreichte im US-Präsidentschaftswahlkampf ein bislang ungekanntes Ausmaß. Welche Rolle spielen Fake News und Social Bots im Bundestagswahlkampf?

Simon Kruschinski: Fake News spielen im Bundestagswahlkampf eine große Rolle. Einerseits sind beispielsweise die klassischen Medien durch den US-Wahlkampf sensibilisiert und haben Plattformen zum Faktenchecken ein­ge­richtet, in Talkshows gibt es Faktenchecker, die die Aussagen von Politiker überprüfen.
Andererseits registrieren wir ein großes Aufkommen von gezielt gestreuten Falschaussagen.

Express: Wer streut die Fake News?

Kruschinski: Das sind einerseits Parteien, von der AfD-Seite gibt es etliche solcher Beispiele. Wir haben aber auch von der Jungen Union oder der SPD Posts gesehen, die man unter dem Begriff "Fake News" einordnen könnte.
Aber es gibt auch andere Akteure – einzelne Nutzergruppen, die speziell auf rechten Ideologien basierende Fake News verbreiten, ganz gezielt Falsch­mel­dungen zum Thema Flüchtlinge machen und AfD-Positionen stärken wollen.

Express: Das ist die Hauptstoßrichtung der Falschmeldungen?

Kruschinski: Genau. Zu den Social Bots: Bei einer Stichprobe während des TV-Duells zwischen Merkel und Schulz konnten wir nur eine geringe Aktivität solcher Programme, die in sozialen Netzwerken menschliche Verhaltensmuster simulieren, erkennen.
Aber das kann sich im Wahlkampfendspurt noch ändern. Insbesondere, weil sich immer mehr Menschen erst kurz vor der Wahl für eine Partei, einen Kan­didaten entscheiden.
Generell zur Wirkung von Fake News und Social Bots: Menschen, die eine feste Meinung oder Weltanschauung haben, lassen sich dadurch natürlich nicht einfach vom Gegenteil überzeugen. Es ist vielmehr so, dass sich vorgefasste Meinungen oder Weltbilder durch Social Bots oder Fake News verstärken lassen.

Express: Wie wichtig sind Facebook, Twitter und Co. inzwischen für den Wahlkampf?

Kruschinski: Die Kommunikation über soziale Netzwerke ist für die Parteien heute unverzichtbar: Man kann die klassischen Massenmedien umgehen, direkt den Nutzer mit den eigenen politischen Botschaften ansprechen. Aber auch hier wird es in den seltensten Fällen so sein, dass ein Anhänger einer Partei sich durch einen Post in einem Netzwerk umentscheidet und eine andere Partei wählt.
Parteianhänger lassen sich durch Postings eher in ihrer Meinung bestärken – oder man kann unentschlossene Wähler erreichen.

Express: Welche Partei hat im Internet, in den sozialen Netzwerken die Nase vorn? Gibt es große Unterschiede, wie die Parteien das Netz nutzen z.B. zwischen CDU, SPD und AfD?

Kruschinski: In diesem Wahlkampf haben wir ein ganz neues Ausmaß an digitaler Kommunikation. Vor den vergangenen Wahlen haben die traditionellen Parteien zum Beispiel Presse- oder Veranstaltungsmeldungen über die soziale Netzwerke verteilt: Es wurde überwiegend informiert, die Möglichkeiten der sozialen Netzwerke wurden nicht ausgeschöpft. Es gab zum Beispiel wenig Interaktionsmöglichkeiten. Das hat sich in diesem Wahlkampf bei den Parteien deutlich geändert.
Wer hat die Nase vorn? Ich würde sagen, Grüne und FDP machen wirklich einen ausgezeichneten Online-Wahlkampf. Sie setzen auch Kanäle wie Instagram strategisch ein, um junge Zielgruppen anzusprechen. Wohingegen CDU und SPD eher darauf bedacht sind, eine breite Wählerschaft anzusprechen.
Dann muss man natürlich sagen, dass die AfD über soziale Netzwerke ihre Zielgruppen sehr erfolgreich anspricht. Zum einen sind das Menschen, die ideologisch eher rechts angesiedelt sind oder extreme Positionen vertreten. Andererseits richtet sich die AfD aber auch an eine sehr breite Gruppe von Menschen, die das Gefühl haben, von "der Politik" ausgeschlossen zu werden.
Diese Zielgruppen erreicht die AfD mit sehr emotionsreichen, Aufsehen erre­genden Posts oder teilweise diffamierenden Aussagen oder "Fake News". Dadurch wird sehr große Aufmerksamkeit in den sozialen Netzwerken erregt – bis sogar die klassischen Medien darüber berichten.

Express: Abseits des Digitalen feiert eine klassische Wahlkampfmethode anscheinend eine Renaissance: Der Haustürwahlkampf. Wie kommt das?

Kruschinski: Gerade in den 2000er Jahren wurde der Haustürwahlkampf als antiquiertes Wahlkampfinstrument gesehen und weniger darauf zurück­ge­griffen. Die Parteien setzten auf die Massenmedien, um ihre Botschaften zu verbreiten. Dabei mussten sie erkennen, dass es sehr große Streuverluste gab.
Deshalb sind die Wahlkampfstrategen dazu übergegangen, zu überlegen, wie man mit gezielten Botschaften die Menschen direkt erreichen kann – und kamen wieder auf den Haus­tür­wahl­kampf.

Express: Als Politiker an Haustüren zu klingeln, kann heutzutage doch kaum eine effektive Wahlkampfmethode sein – oder?

Kruschinski: Es gibt hierzulande seit 2013 wieder einen verstärkten Haus­tür­wahl­kampf. In Deutschland gibt es geografisch orientierte Daten zu den Wahl­bezirken, die sich einsehen lassen. Die zum Beispiel zeigen, in welchen Wahl­bezirken die CDU oder die SPD gut abschneidet, die Wahlbeteiligung aber sehr gering ist.
Dort wollen die Wahlkämpfer dann Parteisympatisanten an den Haustüren erreichen, die aus irgendwelchen Gründen bei der vergangen Wahl nicht abgestimmt haben.
So will man versuchen, die Wahlbeteiligung nach oben zu drücken – und erhofft sich natürlich als Partei, die eigenen Wähler wieder mobilisieren zu können.
Es geht beim Haustürwahlkampf generell darum, Leute zur Wahl zu bringen – und nicht darum, Leute von einer Partei zu überzeugen.

Express: Wie genau wissen die Politiker denn, an welche Tür sie klopfen?

Kruschinski: Was in den USA stattgefunden hat, dass die Parteien von beiden Lagern vor der Präsidentenwahl wussten, wer hinter der Haustür steht, dies ist in Deutschland in dieser Form nicht möglich. Das verhindern unsere Daten­schutz­gesetze.
In Deutschland kann man maximal auf Straßenzüge herunterrechnen, welche Parteiaffinität vorliegt. Aus Wählerperspektive können wir froh sein, dass wir durch den Datenschutz so abgesichert sind und nicht mehr möglich ist.

Express: Die CDU spricht von einen so intensiven Haustürwahlkampf wie noch nie. SPD-Politikerin Katarina Barley sieht im Haustürwahlkampf "das wichtigste Element". Sehen sie das auch so?

Kruschinski: Man sollte generell nicht dem Irrglauben verfallen, dass der Haustürwahlkampf das ultimative Instrument ist. Dafür sind die Wahl­kampagnen insgesamt viel zu komplex, als dass man das auf einen Faktor herunterbrechen kann: Es gibt Social Media-Kampagnen, TV-Duelle, thematische Botschaften, Kandidaten-Darstellungen, die alle einen Einfluss auf den Wähler haben können. Der Haustürwahlkampf spielt zur Mobilisierung der Wähler einen wichtige Rolle – aber alle anderen Bereiche müssen auch mit sehr guten Inhalten gefüllt werden.

Express: Wieviel Prozent kann man als Partei mit dem Haustürwahlkampf noch rausholen?

Kruschinski: Aus wissenschaftlicher Perspektive hat man in den USA versucht herauszufinden, wie hoch die mobilisierende Wirkung eines Tür-zu-Tür-Wahl­kampfs auf die Wahlbeteiligung ist.
Das Ergebnis: In Bezirken, in denen Parteien systematisch die Haustüren abge­klappert haben, sind 3 bis 4 Prozentpunkte mehr Menschen wählen gegangen, als in den anderen untersuchten Bezirken.
Auch wenn sich das wenig anhört: Bei knappen Wahlen kann der Haus­tür­wahl­kampf wahl­ent­scheidend sein.
Dabei dürfen die Parteienstrategen aber nie vergessen: Die empirischen Studien haben mehrheitlich nur die Steigerung der Wahlbeteiligung gemessen – und nicht, ob eine Partei mehr Stimmen bekommen hat.

Zur Person:
Simon Kruschinski arbeitet am Institut für Publizistik der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz. Sein aktuelles Forschungsprojekt behandelt den "Einfluss von Social Bots und Fake News auf die Bundestagswahl 2017". Kruschinski promoviert an der Universität Mainz zum Haustürwahlkampf.
Direktkandidaten im Wahlkreis 171 Marburg bei der Bundestagswahl:
CDU: Stefan Heck, Rechtsanwalt, SPD: Sören Bartol, Diplom-Politologe, Grüne: Rainer Flohrschütz, Diplom-Politologe, Die Linke: Elisabeth Kula, Studentin, AfD: Julian Schmidt, Student, FDP: Hanke Friedrich Bokelmann, Angestellter, Freie Wähler: Daniel Baron, Forstwirt, Marburger Pogo-Anarchisten: Richard Schmidtke, Kaufmann

Interview: Georg Kronenberg

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