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Thema der Woche | 31. August 2017

Kahle geht vom Dach

Bürgermeister Franz Kahle wird abgelöst – Foto: Coordes

"Solarkönig" nannten ihn die einen, "Öko-Diktator" die anderen. Mit der Marburger Solarsatzung brachte es der grüne Bürgermeister Franz Kahle nicht nur in alle überregionalen Zeitungen Deutschlands, sondern auch auf die Titelseite der New York Times sowie ins französische und kanadische Fern­sehen. Ungezählte Male kletterte er auf die Solardächer Marburgs, um für seine Idee zu werben: Alle Hausbesitzer Marburgs sollten sich Kollektoren an­schaf­fen, wenn sie ein neues Haus bauen, ihr Dach sanieren, die Heizungsanlage austauschen oder ein Gebäude erweitern. Die Idee scheiterte schließlich an der von der schwarzen-gelben Landesregierung geänderten Bauordnung. Nun räumt er auch selbst seinen Posten. Am 1. Oktober wird der Grüne von CDU-Mann Wieland Stoetzel abgelöst.

"Die Diskussion war ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Aus­ein­an­der­setz­ungen um die erneuerbaren Energien", sagt er heute. Im Prinzip wollten sich alle von den fossilen Energien verabschieden: "Aber zwischen der Einsicht und der Umsetzung klafft eine große Lücke." Ähnliches könne man bei der Debatte um die Windkraft in Marburg beobachten. Alle seien dafür, nur nicht bei sich vor der eigenen Haustür.

16 Jahre lang hat der Bauernsohn aus Westfalen – zunächst als Baudezernent, dann als Bürgermeister für Bauen und Soziales – die Marburger Politik mit­be­stimmt. Stolz ist der Jurist auf Marburgs Vorreiterrolle bei der Kinder­be­treuung. Schon lange vor dem Rechts­anspruch auf einen Kindergartenplatz mussten sich Eltern in der Universitätsstadt wenig Sorgen um die Plätze machen. Auch die Ganztagsbetreuung ist in Marburg kein Problem. Dafür wurden 15 Neubauten gestemmt. Das in eigenen Küchen zubereitete Mittagessen in den Kitas stammt entweder aus der Region oder hat Bioqualität. "Wir sind eine der familien­freund­li­chsten Städte in Deutschland, wenn nicht die familien­freund­lichste", sagt Kahle.

Zufrieden ist er auch mit dem Umbau weg von der autogerechten Stadt. Die Renaturierung der Lahn sowie zahlreiche zusätzliche Radwege und neue Brücken für Fußgänger und Radler nennt er als Beispiel: "Wir haben mit ganz vielen kleinen Maßnahmen die Situation in Marburg verbessert." Von der gescheiterten Solar­satzung übrig blieben sehr viele Photovoltaikanlagen auf Schul- und Verwaltungsdächern sowie eine städtische Förderung für Solar­anlagen, die Marburg regelmäßig vordere Ränge in der Solarbundesliga be­schert.

Kahle handelte sich aber nicht nur mit der Solarsatzung und der Windkraft Gegenwind ein. Gegen seine Idee von der Seilbahn auf die Lahnberge gründete sich eine Bürgerinitiative. Und auch der langjährige Koalitionspartner SPD verwies den Plan in das Reich der Wolkenkuckucksheime.

Mit den Sozialdemokraten knirschte und krachte es trotz der insgesamt positiven Bilanz der Rot-Grünen schon lange. Seit der Kommunalwahl haben die Partner auch keine Mehrheit mehr. Kahle, der zu den Gründungsvätern der Marburger Grünen zählt, hätte sich eine rot-rot-grüne Koalition gewünscht: "Man hätte es zumindest austesten müssen", sagt der 58-Jährige.

Oberbürgermeister Thomas Spies nennt er einen "persönlichen Freund", auch wenn ihm dieser im Zuge der Auseinandersetzungen auch schon einmal verbot, im Ausschuss zu sprechen. Er habe einfach weitergeredet, sagt Kahle. Und dann räumt er auf Nachfrage doch noch ein, dass er mit dem früheren Ober­bürger­meister Egon Vaupel (SPD) und selbst mit dessen Vorgänger Dietrich Möller (CDU) politisch besser klargekommen sei. Angesichts der finanziellen Engpässe "mit Sozial- und Kulturkürzungen zu reagieren, wäre selbst Möller nicht ein­fallen", sagt Kahle: "Da trennen uns Welten."

Einige Projekte hätte Kahle gern noch abgeschlossen. Dazu gehören die nun gestrichene Fuß- und Radwegebrücke am Afföller Wehr und der verschobene Umbau des Rudolphsplatzes. Aber er freut sich darauf, in Zukunft mehr Zeit für seinen 20 Monate alten Sohn zu haben. Der 58-Jährige plant einen Rollentausch mit seiner Ehefrau Nadine Bernshausen, die für die Grünen im Kreistag sitzt. Sie wird wieder als Richterin arbeiten, während er sich um Kind und Haushalt kümmert. Und natürlich um die Bienenzucht im eigenen Garten.

Gesa Coordes

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