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Express Online: Thema der Woche
Express Online: Thema der Woche | 16. Dezember 2004

JLU vs. Zukunft

Eine eher trockene Materie: Ab sofort ist der aktuelle "Entwicklungsplan der Justus-Liebig-Universität 2004" im Netz für Interessierte einsehbar und stellt Weichen für kommende Entwicklungen an der Hochschule

Seit Juli dieses Jahres sind "Perspektiven entwickelt", verspricht Universitätspräsident Stefean Hormuth. Die Rede ist vom "Entwicklungsplan der Justus-Liebig-Universität Gießen", dessen Ergebnisse Hormuth, als Präsident gleichsam Vorsitzender der "Kommission Entwicklungsplanung", zum Jahresende der Öffentlichkeit präsentiert. "Wir sind durchaus konkret geworden", freut sich der Präsident.

Freilich wären viele der angedeuteten Prozesse auch ohne Entwicklungsplan eingeleitet worden. Neu an dem unter www.uni-giessen.de/uni/informationen/
eplan2004.pdf
für Jedermann einsehbaren Schriftstück aber ist, "dass die übergeordnete strategische Zielsetzung der Universität in einem Papier zusammengefasst vorliegt, die die Basis des Entwicklungsplans bildet", wird Hormuth von der Hochschule zitiert.

Im Kern umfasst das Papier fünf konkrete Bereiche: die Leistungsperspektive, die Anspruchsperspektive, die Potenzialperspektive, die Prozessperspektive und natürlich eine Finanzperspektive.

Durch ihr jeweiliges Profil" sollen sich die Universitäten Gießen und Marburg sowie die Fachhochschule Gießen-Friedberg ergänzen "und zugleich in Wettbewerb treten". So ist es unter dem Stichwort "Leistungsperspektive nachzulesen. Zudem solle das Forschungsprofil der JLU mit seinen Schwerpunkten in den Kultur- und Geisteswissenschaften und den Lebenswissenschaften nachhaltig in seiner nationalen wie internationalen Wettbewerbsfähigkeit gestärkt werden. Dazu dienen nicht zuletzt "international kompatible" Studienabschlüsse wie Bachelor oder Master.

Die Verantwortung gegenüber der Gesellschaft, der Politik und dem Arbeitsmarkt steht der "Anspruchsperspektive" voran. Gezielt sollen Lehraufträge an Praktiker vergeben werden. Die Uni sieht sich als "anerkannter Partner in Wirtschaft und Gesellschaft", will verstärkt auf Wettbewerbsanalysen setzen.

Die "Potenzialperspektive" nimmt "interaktives und international ausgerichtetes wissenschaftliches Personal, hoch qualifizierte Mitarbeiter in allen Servicebereichen sowie informierte und engagierte Studierende in den Blick", heißt es von offizieller Seite. Zu einem ganzen Bündel von Maßnahmen gehöre eine gezielte Berufspolitik, Schulungen, Fort- und Weiterbildungen sowie der Ausbau des Informationsangebots für Studierende. Dazu zählt auch die Modernisierung von Lehrveranstaltungsräumen, dessen Finanzierung durch Kostenreduktion und "effizienten Ressourceneinsatz" realisierbar werden soll.

Modernes Wissenschaftsmanagement, wie es unter dem Punkt "Prozessperspektive" angedacht ist und alle Bereiche innerhalb der Universität umfasst, setzt eine "Strategiefähigkeit aller Beteiligten" zwingend voraus. Das Studienangebot müsse konsequent weiterentwickelt werden, zudem soll bei den neuen berufsbefähigenden Abschlüssen die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen im Vordergrund stehen.

Ziel der "Finanzperspektive" sei letztlich "die Steigerung der laufenden Einnahmen um einen Prozentsatz, der die zu erwartenden Infaltionsraten und Tarifsteigerungen abdeckt." Alternative Einnahmequellen müssten dazu erschlossen werden, wie beispielsweise Mieten, Weiterbildungsseminare, Patente und Forschungstransfers. Beantworten könne die Kostenfrage auch die Erhöhung des Anteils der JLU am Landeshochschulbudget: "Indem die im Rahmen der Leistungsorientierten Mittelzuweisung (LMZ) beeinflussbaren und durch das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst (HMWK) gesetzte Leistungsparameter gezielt genutzt werden", heißt es im Plan. Im Klartext bedeute dies eine bessere Auslastung all jener Fächer, die derzeit laut LMZ ineffizient seien. Im schlimmsten Falle aber droht nichts weiter als die Schließung betroffener Studienangebote.

red


Express Online: Thema der Woche | 16. Dezember 2004

"Neoliberale Töne"

Georg Fülberth
1939 geboren, bis 2004 Professor für Politikwissenschaft an der Marburger Philipps-Universität, Mitglied der DKP, für die er auch 1990 bis 1993 der Marburger Stadtverordneten-
versammlung angehörte. Zur Zeit sitzt er für die PDS im Kreistag Marburg-Biedenkopf und arbeitet an einem Buch über den Kapitalismus.
Oliver Demny
Georg Fülberth, einer der profiliertesten hessischen Links-Intellektuellen und gerade pensioniert, über Hartz IV-Demos und Studierende zwischen Protest und Affirmation

Express: Auch in Mittelhessen fanden Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV statt. Welche Chancen räumen Sie ihnen ein?
Georg Fülberth: Ich denke, sie hören jetzt erst mal auf.

Express: Welche Chance, welches Potential haben sie Ihnen bisher beigemessen?
Fülberth: Es war ein sehr unterschiedliches Potential. Im Osten – aber ich kenne den Osten nicht – gab es ein sehr großes Wutpotential. Bei uns im Westen sind es doch sehr schmale Demonstrationen gewesen, an denen das Gros derer, die von Hartz IVBetroffene sind, nicht beteiligt gewesen sind. Es hat auch seit Ende August keine Steigerung stattgefunden. Die Hartz IV-Demonstrationen im Westen sind Ableger der Ostdemonstrationen gewesen. Das hat sich bei der faktischen Schlussdemonstration am 2. Oktober in Berlin gezeigt, die wesentlich vom Osten aus beschickt worden ist.

Express: Also waren sie politisch uneffektiv?
Fülberth: Das kommt darauf an, an Hand welcher Kriterien man eine Demonstration oder eine Demonstrationswelle beurteilt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand, der an den Demonstrationen beteiligt war, angenommen hat, dass Hartz IV wegkommt. Insofern war die Losung selbst: Hartz IV muss weg, irreführend. Im Grunde ist die Bewegung durch diese Demonstrationen sogar schmaler geworden. Vorher gab es eine diffuse Front gegen Hartz IV, an der durchaus die Gewerkschaften auch teilgenommen haben. Aufgrund des Drucks der SPD hat sich der DGB dann von diesen Demonstrationen abgemeldet, sodass sie nur einen Teil des Spektrums der Gegner wiedergeben konnten.

Express: Sehen Sie Demonstrationen überhaupt noch als adäquates Mittel der Politik an?
Fülberth: Vielleicht sollte man sich von Anfang an klarer darüber sein, wie weit man gehen kann. Die Bewegung gegen Hartz IV ist in das Sommerloch gefallen und hat dadurch mediale Aufmerksamkeit erreicht. Als naturgemäß im September die Demonstrationen kleiner wurden, saßen die Medien dem Thema schon auf und konnten das Schrumpfen genau beobachten. Insofern sind die Demonstrationen die Bekundung der eigenen Ohnmacht gewesen. Die Demonstrationen hätten stattfinden müssen als der Gesetzgebungsprozess noch lief. Es wurde gegen ein Gesetz demonstriert, das schon beschlossen war. Solche Aktionen bewegen in der Regel nichts.

Express: Sie waren selbst Teilnehmer der Montagsdemos in Marburg. Ihre Losung, die sie auf einem Schild zur Schau trugen, lautete: Heute ist Dienstag. Was wollten Sie damit ausdrücken?
Fülberth: Die Montagsdemonstrationen als Montagsdemonstrationen haben ja eine komische Tradition: die begannen im Oktober 1989 als Demonstrationen gegen die SED und die DDR. Das Ergebnis dieser Demonstrationen ist nicht richtig erfreulich, denn es führte zu einer Ausdehnung des Kapitalismus zunächst mal in die DDR, mittlerweile bis Wladiwostok. Das ist der Grund warum ich an Montagsdemonstrationen in der Regel nicht teilnehme. Ich hätte es begrüßt, wenn die Demonstrationen an einem anderen beliebigen Wochentag stattgefunden hätten.

Express: Sie sind politisch mit der Studentenbewegung groß geworden. Wie beurteilen Sie das kritische Potential der Studentenschaft?
Fülberth: Kritisches Potential der Gesellschaft waren die Studenten nicht immer. Sie sind erst mal lange Zeit – sagen wir zwischen 1848 und 1968 – kein kritisches, sondern affirmatives Potential der Gesellschaft gewesen. Die größte Bewegung unter den Studierenden waren immer die schlagenden Verbindungen. Insofern ist das, was hier in den 60er Jahren passiert ist, allerdings schon vor 68 begonnen hat und bald nach 68 wieder geendet hat, eigentlich eine Ausnahmesituation. Akademiker sind nicht links. Und Studenten sind auch nicht auf kritisches Student-Sein festgelegt. Vielleicht machen wir manchmal den Fehler, diese sogenannte 68er-Bewegung zu stark aufzublasen.
Zunächst einmal: Was ist passiert? In den Jahrzehnten nach 1945 hat tatsächlich eine soziale Umschichtung stattgefunden, nicht nur in der Bundesrepublik, sondern in allen OECD-Ländern. Kern dieser sozialen Umschichtung ist die quantitative Stagnation der Arbeiterklasse, das weitgehende Verschwinden der Bauern und die Etablierung einer neuen Massenschicht – die Massenschicht der Intelligenz. Früher bestand die Intelligenz aus lauter einzelnen Individuen, jetzt ist es eine Schicht, die offensichtlich zur Reproduktion des kapitalistischen Systems unentbehrlich ist und die hat sich mit Ellenbogen und ziemlich viel Geschrei in den 60er Jahren ihren Platz, den sie jetzt im kapitalistischen System einnimmt, gesucht und geschaffen. Ihr Mittel, dies zu erreichen, war die Studentenbewegung gewesen. Nachdem sie etabliert war, brauchte sie keine Bewegung mehr zu sein. Insofern braucht man ihr nicht nachzuweinen.

Express: Wie sind mit so einer Sicht die diversen Uni-Streiks zu bewerten?
Fülberth: Wenn man sich die Uni-Streiks in Marburg ansieht, hat da tatsächlich ein Wandel stattgefunden. Die Streiks der 60er Jahre – den ersten hatten wir in Marburg 1969 – waren insofern auch nicht ganz unkonform, als sie gegen die Ordinarien etwas durchsetzen wollten, was erhebliche Teile des Kapitals und die sozialdemokratische Landesregierung auch wollten, nämlich die Umgestaltung der Universitäten. Was zunächst übrig geblieben ist, ist eine technokratische Universität, bei deren Herbeiführung zweifellos die Studierendenschaft stark mitgewirkt hat, wenn sie selbst auch mehr wollte, als sie erreicht hat. Sie machten sich da etwas vor mit Sozialismus und Demokratie. Die einzige offensive Studierendenschaft war im Grunde die Ende der 60er Jahre. In den 70er Jahren haben immer wieder Studierendenstreiks stattgefunden, über den Daumen so alle 5 Jahre, die in ihrer Zielsetzung immer defensiver wurden, gegen Zurückschraubung der Mitbestimmung im Hochschulrahmengesetz, gegen die jeweiligen hessischen Universitätsgesetze und dann zunehmend auch gegen Mittelbeschneidung. Das wiederholte sich – allmählich auch schon ritualisiert.
Und dann haben wir was Neues, glaube ich. Das Neue war im Wintersemester 1997/ 98. Dieser Streik war ein Streik um bessere Studienbedingungen, wie die vorangegangenen auch, aber in einem doppelten Sinn: einmal wollte man mehr Geld für die Unis (das ist normal, das wird immer gefordert: jeder Berufsstand, der nichts selbst produziert, fordert immer Transfer), zweitens aber waren neoliberale Töne unüberhörbar. Kein Wunder, dass damals die Betriebswirte erstmals eine große Rolle gespielt haben: die Uni soll besser auswählen, soll Rahmenbedingungen bereitstellen, damit den Tüchtigen auch besser freie Bahn geschaffen wird. Insofern hat der Streik 1997/ 98 dem vorgearbeitet, was dann anschließend umgesetzt worden ist, nämlich die Einführung des numerus clausus.

Express: Die Studienbedingungen verschärfen sich. Wie sieht Ihre Prognose für die Zukunft aus? Es wird ja wohl weiterhin Aktionen gegen Studienverschärfungen geben.
Fülberth: Das weiß ich nicht. Wir haben jetzt in absehbarer Zeit fast nur noch Studierende an der Uni, die über den numerus clausus reingekommen sind. Wir werden Studierende haben, die schnell fertig werden wollen, weil sie nicht unter die Guillotine der Studiengebühren kommen wollen. Wir werden Studierende haben, von denen ein erheblicher Teil nach drei Jahren schon ausgesiebt sein wird. Und ich nehme an, dass das einen sehr starken Anpassungsdruck erzeugen wird. Was danach kommen wird, nach diesem Anpassungsdruck, kann ich jetzt noch nicht sagen.

Express: Wo sehen Sie für sich als nun pensionierter Hochschullehrer und immer noch kritischer Intellektueller Wirkungsmöglichkeiten?
Fülberth: Intellektuelle sollten erst mal sich nicht überschätzen und sie sollten auch ihre Wirkungsmöglichkeiten nicht überschätzen. Ich glaube, es steht auch schlecht um Gesellschaften, bei denen man in erster Linie von Intellektuellen Wirkungsmöglichkeiten erhofft oder erwartet. Intellektuelle haben ein ganz einfache Aufgabe, nämlich ihre Arbeit zu tun. Und wenn sie nun Gesellschaftswissenschaftler sind, dann haben sie zu analysieren. Ob irgendjemand damit was anfangen kann, kann er nicht sagen. Und er sollte vor allem nicht versuchen, sich an die Spitze von irgendwas zu setzen.

Interview: Oliver Demny



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