Die Bilanz der Initiative "Notruf 113" klingt bitter: "Für Marburg haben wir nichts erreicht, nur die Bevölkerung sensibilisiert", sagt Sprecherin Ulrike Kretschmann. Aber immerhin: Andere hätten aus ihren Erfahrungen mit der Privatisierung des Uni-Klinikums Marburg gelernt. So nahmen CDU und FDP in Schleswig-Holstein Abstand vom Verkauf ihres defizitären Uni-Klinikums. Und die Gruppe mischt sich immer noch ein. Als SPD-Bundesvorsitzende Andreas Nahles im September nach Marburg kam, überreichte Kretschmanns siebenjähriger Sohn das "Märchen von einem Leuchtturm, der an die Piraten verkauft wurde" (s. Kasten). Die Sozialdemokratin fand es "super".
Jetzt will die Gruppe bis zu Gesundheitsminister Jens Spahn vordringen, um ihm klarzumachen, dass die von ihm angekündigten Personalmindeststandards in den Krankenhäusern nicht ausreichen. Nach den bisherigen Plänen sollen nämlich die gleichen Standards in Kreiskrankenhäusern wie in Uni-Kliniken gelten. In den Kliniken der Hochschulen landen jedoch viel schwerere und kompliziertere Fälle, die Uni-Klinika müssten daher besser ausgestattet werden. "Wenn es gute Mindeststandards gäbe, könnten Krankenhausbetreiber diesen Reibach nicht mehr machen", erläutert Kretschmanns Kollegin Marion Twelsiek.
Vor knapp zehn Jahren hat sich das Bündnis gegründet, in dem sich vor allem niedergelassene Ärzte, aber auch Psychologen, Juristen und Pflegekräfte engagieren. Damit schlossen sie sich erst drei Jahre nach dem Verkauf des Universitätsklinikums an den Krankenhausbetreiber Rhön zusammen. Gründungsversammlung war am 11.3.2009, daher der Name "Notruf 113". Erst zu diesem Zeitpunkt sei ihnen klar geworden, wie stark sich die medizinische Versorgung verschlechtert habe, sagt Allgemeinärztin Kretschmann: "Das war wirklich ein eklatanter Einbruch." Gemeinsam mit anderen Medizinern beklagte sie eine "Drehtürmedizin", die dazu geführt habe, dass vor allem die komplizierten Problemfälle schlechter versorgt wurden als früher. Ihr Kollege, der Psychologe Micha Brandt, sagt, das Universitätsklinikum sei nach seinem Eindruck "systematisch von einem Haus der Maximalversorgung hin zu einem Spezialisten für 'lukrative Erkrankungen' umstrukturiert worden. Zugleich klagten Klinik-Mitarbeiter über hohe wirtschaftliche Zielvorgaben und gestiegene Arbeitsbelastung. "Die Rhön AG folgt dabei einem kaufmännischen Rational", so Brandt: "Sie kann als Aktiengesellschaft gar nicht anders."
Notruf 113 organisierte Mahnwachen, Diskussionsrunden und prangerte die Zustände im Klinikum immer wieder in den Medien an. 2011 eskalierten die Auseinandersetzungen mit dem Rhön-Konzern derart, dass Ulrike Kretschmann und zwei weitere Ärzte eine sogenannte Unterlassungserklärung erhielten, in der sie aufgefordert wurden, strittige Aussagen gegen das Unternehmen in Zukunft zu unterlassen. Sonst drohten hohe Geldstrafen.
In den letzten Jahren wurde es ruhiger um das privatisierte Uni-Krankenhaus. Doch Kretschmann betont: "Die Ökonomie steht weiterhin im Vordergrund." Die Arbeitsbelastung der Beschäftigten sei weiter sehr hoch. Sie müssten nicht nur Gewinne erwirtschaften auch die Investitionen müssten aus dem laufenden Betrieb finanziert werden. Zudem habe sich die Ausbildung der Studierenden verschlechtert.
Durch die aktuelle Entwicklung sehen sich die Privatisierungsgegner erneut bestätigt. Das Ionenstrahltherapiezentrum für Krebskranke ein weiteres "Leuchtturmprojekt" der Regierung Koch hat im September Insolvenz angemeldet. Für einen kostendeckenden Betrieb konnte das Zentrum nicht genügend Patienten behandelt. Unikliniken seien schon immer defizitär und teuer gewesen, sagt Kretschmann dazu. Und Micha Brandt erinnert daran, dass das aufwändige Zentrum Bestandteil des Kaufvertrages zwischen Rhön und dem Land war: "Da steht nichts davon, dass es auch rentabel sein muss." Deswegen sei der Kaufpreis niedriger gewesen. Brandt: "Das ist ein gutes Beispiel dafür, was passieren kann, wenn man die Kontrolle über so einen wichtigen Bereich abgibt."