Welche Folgen hat es für Pflanzen, wenn sich das Klima wandelt? Der Gießener Ökologieprofessor Christoph Müller forscht darüber gemeinsam mit Wissenschaftlern aus Marburg und Geisenheim auf der ältesten Klimafolgenforschungsstation Europas. Sein Fazit: "Wir haben es längst fünf nach zwölf."
Die 4,5 Hektar große Umweltbeobachtungs- und Klimafolgenforschungsstation in der Talaue des Lückebachs südlich von Gießen erinnert unaufmerksame Spaziergänger auf den ersten Blick an eine Kläranlage. Das liegt an den vielen kleinen Rohren, mit denen kreisrunde Wiesenflächen begast werden. Sie simulieren das Jahr 2050: Gräser, Giersch, Storchenschnabel, Labkraut und Wiesenknopf müssen hier Kohlendioxidmengen aushalten, wie sie in gut 30 Jahren zu erwarten sind etwa 20 Prozent mehr als bislang.
Seit 25 Jahren läuft der Versuch, länger als an jeder anderen CO2-Anreicherungsanlage in Europa. Um Veränderungen im Ökosystem zuverlässig zu registrieren, brauche man die langen Zeiträume, erklärt Müller, dessen Team zurzeit ähnliche Experimente zu den Auswirkungen steigender Temperaturen startet.
Regelmäßig wird das Grün registriert, beobachtet, geschnitten, gewogen und untersucht. Dabei zeigt sich nicht nur, dass es in Zukunft mehr Gräser und weniger Kräuter geben wird. Müller und sein Team müssen auch mit einer Hoffnung aufräumen: Die bisherigen Klimaberechnungen gingen davon aus, dass Grünland den Anstieg der CO2-Konzentration massiv bremsen kann. Weltweit wird etwa ein Viertel der Landmasse mit Grasflächen bedeckt. Ähnlich wie Wälder binden die Pflanzen das Treibhausgas Kohlendioxid, das sie für Photosynthese brauchen. Ein erhöhter CO2-Gehalt in der Luft wirkt sogar wie Dünger auf die Pflanzen.
Allerdings stellte sich bei einer Studie des Marburger Geographen Wolfgang Obermeier heraus, dass unter den Bedingungen der Zukunft sogar vermehrt Lachgase entstehen, die das Klima weiter anheizen. Nach den Langzeituntersuchungen der Wissenschaftler profitieren Gräser und Kräuter bei extremeren Wetterbedingungen wie Starkregen, Hitze und Trockenheit nämlich weniger von den höheren CO2-Konzentrationen in der Luft. Die Forscher erklären das Phänomen mit Änderungen im Stoffwechsel der Pflanzen. Und da sehr heiße Sommer, sehr feuchte Winter und Gewitter zunehmen werden, müssen die Ergebnisse in die Modelle für den Klimawandel einkalkuliert werden. "Zu befürchten ist ein noch schnellerer Anstieg der globalen Temperaturen", so Müller.
Der Pflanzenökologe erinnert an den außerordentlich heißen Sommer 2003: "In 50 Jahren werden das die Normalbedingungen in Mitteleuropa sein." Doch der Klimawandel hat auch in Mittelhessen bereits begonnen. "Unsere Messdaten zeigen eindeutig, dass etwas im Argen ist", sagt Müller. Auf dem Versuchsfeld gibt es nämlich auch einen phänomenologischen Garten, der wie eine Streuobstwiese aussieht. Anhand von Zeigerpflanzen Bäume, Büsche und Sträucher beobachten die Forscher die Veränderungen der Jahreszeiten und die regionalen Klimaveränderungen. So ist die durchschnittliche Temperatur in Hessen seit 1980 bereits um ein Grad gestiegen. Das Frühjahr für die Pflanzen beginnt heute zwei Wochen früher als noch vor 20 Jahren. Daher säen auch die Landwirte 14 Tage eher. Die Apfelblüte startet zehn Tage früher. Allerdings müssen sich die Obstbauern weiter auf Spätfröste einstellen, die Kirsch- und Apfelernten komplett zerstören können. Vorzeitig starten auch Sommer und Herbst.
Müller kooperiert im Rahmen des Loewe-Forschungsprojekts "Face2Face" mitForschern der Hochschule Geisenheim, wo es vor allem um Weinbau geht. Dem Rheingau wird die Zukunft ein arides Klima wie in Spanien bringen. Dass die Winzer dann keinen Riesling mehr anbauen können, ist indes offenbar schwer zu vermitteln. "Die Menschen reagieren erst dann, wenn es wirklich weh tut", so Müller.
Gibt es auch Hoffnung? Zumindest einen Hoffnungsschimmer hat der Ökologe aus dem brasilianischen Regenwald und dem Siegerland mitgebracht. Dort sorgen sehr alte Bewirtschaftungsmethoden nicht nur für fruchtbare Böden, sondern auch für eine dauerhafte Speicherung von Kohlendioxid im Boden. Die tiefschwarzen Amazonasböden sind durch die Ablagerung von Holzkohle, Dung und Kompost entstanden. Auch im Siegerland gibt es noch alte Meilerflächen, auf denen vor Hunderten von Jahren Holzkohle hergestellt wurde. Die Holzkohle ist zugleich ein dauerhafter CO2-Speicher. Deswegen gibt es auf den Gießener Versuchsflächen auch ein sogenanntes Biokohle-Experiment, bei dem Holzkohle zusammen mit Gülle aufgebracht wird. "Die Biokohle-Applikation ist die derzeit effektivste Methode, um Kohlenstoff in Form von CO2 der Atmosphäre zu entziehen und in dauerhafter Form im Boden zu speichern", sagt Müller: "Das ist zumindest ein Mosaikstein im Kampf gegen den Klimawandel."