Wenn der kleine Emil mit seinen Eltern ins Marburger Ionenstrahl-Therapiezentrum geht, trägt er eine lustige Mütze über seinem Helm. Holzautos und Bilderbücher hat der quirlige Knirps mitgebracht. Weder die knallgelben Wände noch die Ärzte scheinen ihn zu schrecken. "Er spaziert hier herein, wie andere Kinder in den Kindergarten", sagt Kinderonkologin Barbara Zezschwitz. Emil ist das erste Kleinkind, das im Marburger Ionenstrahl-Therapiezentrum behandelt wird. Der Junge leidet unter einem sehr seltenen, hochaggressiven Gehirntumor, einem atypischen Teratoid-Rhabdoid-Tumor. Der hellblaue Helm schützt seinen Kopf.
"Hochdramatisch" sei die Situation gewesen, als Emil am 5. Oktober vergangenen Jahres in die Notaufnahme des Universitätsklinikums kam, berichtet die Direktorin der Klinik für Strahlentherapie in Marburg und Gießen, Prof. Rita Engenhart-Cabillic. Der 15 Monate alte Junge war bereits kaum mehr ansprechbar und halbseitig gelähmt. Die Computertomographie zeigte einen sieben Zentimeter großen Gehirntumor, der einblutete. Innerhalb weniger Minuten wurde er in den Operationssaal geschoben und von Prof. Christopher Nimsky, dem Direktor der Klinik für Neurochirurgie, operiert. "Ohne die Not-OP wäre er innerhalb weniger Stunden gestorben", so Engenhart-Cabillic.
Seitdem wird Emil interdisziplinär sowohl in Gießen, wo die Chemotherapie stattfindet, als auch in Marburg behandelt. Im Ionenstrahltherapiezentrum ist er der jüngste Patient. "Das ist ein großer Glücksfall", sagt seine Mutter, die 28-jährige Lena Quahl aus Schwalmstadt. Das Marburger Zentrum arbeitet erst seit 18 Monaten. Vergleichbare Einrichtungen sind sehr selten. Innerhalb Deutschlands gibt es diese Behandlung nur noch in Essen und Heidelberg. Normalerweise wartet man allerdings auch länger mit der Bestrahlung bei so kleinen Kindern, da die Gehirnentwicklung noch nicht abgeschlossen ist. Bei Emil ließ sich die Strahlentherapie allerdings nicht mehr hinausschieben, da der Tumor bereits eingeblutet hatte.
Seit März kommt die Familie vier- bis fünfmal pro Woche nach Marburg, wo Emil unter Vollnarkose bestrahlt wird. Bei erwachsenen Patienten ist keine Narkose nötig, da sie unter ihrer Kopfmaske ausreichend ruhig bleiben. Die zielgenaue Bestrahlung des Tumors dauert bei Emil nur zehn Minuten. Während dieser Zeit trägt auch er eine eigens für ihn angefertigte Kunststoffmaske, die seinen Kopf unbeweglich hält. Die Bestrahlung auf der robotergesteuerten Patientenliege wird mit neun Bildschirmen überwacht.
Bislang verträgt er die Bestrahlungen besser als die Chemotherapie, auf die er jedes Mal mit Fieber, einmal sogar mit einem Lebervenenverschluss reagiert hat. Viele Bluttransfusionen waren nötig. "Emil ist ein kleiner Kämpfer und unser kleines Wunder", sagen die Eltern Lena Qual und Marc Hussmüller. Sie wissen, dass der Tumor hochaggressiv ist. Mehr als die Hälfte der betroffenen Kinder sterben. Doch die Eltern sind zuversichtlich. Er erhalte die optimale Therapie, sagen sie. Kognitive Folgen gibt es bislang nicht. Emil lernt täglich neue Wörter. Er hat sogar seine ersten Schritte in der Gießener Uni-Klinik gemacht.
"Derzeit sind wir optimistisch", sagt Kinderonkologin Zezschwitz. Bis zu seinem zweiten Geburtstag im Juli sind die Behandlungen wahrscheinlich abgeschlossen. Eine große Party gemeinsam mit Familie, Freunden und allen Helfern soll es aber erst im Spätsommer geben, sagt Lena Qual: "Wir wünschen uns vor allem normalen Alltag mit einem gesunden Kind." Und im nächsten Jahr, so hofft sie, geht Emil in den Kindergarten.