Express: Sie haben lange in Marburg gelebt. Haben Sie herausgefunden, ob der Landkreis ein besonders mörderisches Pflaster ist?
Christina Bacher: Tatsächlich habe ich über zwölf Jahre in Marburg gelebt und mir wurde in der ganzen Zeit nicht mal ein Fahrrad geklaut. Aber dann fing ich an, mich mit dem Genre des Krimis zu beschäftigen. Ich las zunächst Kriminalromane, die im urbanen Milieu spielten: Paris, New York, Moskau. Ich begann Ratekrimis für den Hessischen Rundfunk zu schreiben und mischte beim Marburger Krimifestival mit. Doch wie naiv war ich, nicht einfach mal eine Tour durch den Landkreis zu unternehmen! Denn dort, und das hat mich die Arbeit an der Anthologie "SOKO Marburg-Biedenkopf" jetzt gelehrt, meuchelt es sich offenbar am allerbesten. Biedenkopf, Rauschenberg und Wenkbach heißen ab sofort die neuen Hotspots des (literarischen) Verbrechens.
Express: Sie haben selbst eine Geschichte für die Anthologie geschrieben. Was macht das Morden in einer Fachwerksidylle besonders?
Bacher: Mein Kurzkrimi "Blindlings in den Tod" spielt in der Deutschen Blindenstudienanstalt. Da bietet sich das barrierefreie Treppenhaus der Schule natürlich vortrefflich an, um darin eine Leiche zu platzieren, die sonst nicht da liegt. Es ist immer eine Herausforderung für eine Autorin oder einen Autor, einen Ort für eine Geschichte vorgegeben zu bekommen, wie es ja bei der Anthologie der Fall war. Die 26 Kurzkrimis in dem Buch zeigen aber, dass sich Schlösser, Synagogen, Kapellen oder Flüsse wie die Lahn ganz hervorragend als Setting für Krimis eignen. Und letztlich ist es hier ja wie überall: Es menschelt. Und wo es menschelt, gibt es auch Niedertracht Fachwerk hin oder her.
Express: Wie dicht sind die Geschichten an der Realität? Beim Fall an der Marburger Sommerakademie kommen einem Namen aus der Stadtverwaltung bekannt vor, in der Geschichte "Gericht in Rauischholzhausen" spielt die Landrätin eine tragende Rolle ...
Bacher: Es war jedem Autor vollkommen frei gestellt, wie intensiv er sich vor dem Schreiben mit den Begebenheiten vor Ort vertraut machen und wie nah er sich fiktiv am realen Alltagsgeschehen abarbeiten mochte. Die "Paten" und ihre Autoren führten da eine ganz eigenständige Liaison meine Aufgabe als Herausgeberin war es erst einmal nur, beide Seiten zusammen zu bringen und schließlich darauf zu achten, dass die Geschichten einen spannenden Plot haben und gut geschrieben sind. Und da haben es mir die SYNDIKATS-Kolleginnen und -Kollegen leicht gemacht, sind ja alles Profis.
Express: Tatorte sind unter anderem Marburg, Neustadt, Amöneburg, Bad Endbach, Rauschenberg, Rauischholzhausen oder Biedenkopf. Wie sind Sie auf die Orte gekommen?
Bacher: Als klar war, dass die Criminale in ihrem 30. Jahr den ganzen Landkreis bespielen würde, wurden nicht nur viele Vorgespräche geführt, sondern zeitgleich auch ein Aufruf in der Tageszeitung gestartet: Gesucht wurden "Paten" für die Anthologie und somit möglichst ungewöhnliche und spannende Handlungsorte. Einige haben sich daraufhin beworben, andere kamen auf anderen Wegen auf mich zu. Schließlich hatten wir eine gute Mischung aus Privatpersonen, Geschäftsleuten, Multiplikatoren oder Bürgermeistern aus Stadt und Land, die mit viel Begeisterung ihre persönlichen Autoren "gebrieft" und in die Besonderheiten des literarischen Tatorts eingewiesen haben.
Express: Was ist Ihr Lieblings-Mord-Ort im Buch?
Bacher: Die frisch renovierte, kleine Kapelle in Niedereisenhausen vielleicht? Klaus-Jürgen Frahm hat die Geschichte "Der Schatz des Lutheraners" dort platziert und diesen historischen Ort ganz neu bespielt. Oder vielleicht doch der Burgwald mit seinen sagenumwobenen Franzosenwiesen, wo Nadine Buranaseda ihre Moorleiche platziert hat... Hach, ich kann mich nicht wirklich entscheiden. 26 Geschichten, 26 tolle Tatorte.
Express: Krimis mit regionalem Bezug sind in Deutschland sehr beliebt. Warum? Ist der Spaß am Mord in der Provinz ein deutsches Phänomen?
Bacher: Ja und nein. Donna Leons Venedig-Krimis kann man ja auch in diese Schublade stecken, wenn man möchte. In der Tat floriert hierzulande der Markt mit den sogenannten Regionalkrimis nach wie vor und immer mehr Labels, Verlage und Autoren schießen aus dem Boden, die sich daran versuchen. Letztlich geht es aber in diesem Genre ja auch "nur" um Mord, Totschlag, Raub oder Entführung und da zählt für mich eher, ob das Buch gut geschrieben ist oder eben nicht. Und wenn es mir gefällt, dann lasse ich mich gerne auch mal auf eine Region ein, die ich vorher noch nicht kannte oder mir beim Lesen nochmal ganz neu erschließe.
Express: Gibt es eine Region, in der besonders gerne literarisch gemordet wird? Oder die Sie persönlich besonders schätzen?
Bacher: Ich bin ja großer Fan der "Wilsberg"-Krimis von Jürgen Kehrer, die in und um Münster spielen. Inzwischen hat es der Stoff ja sogar in die Samstagabendkrimi-Reihe im ZDF geschafft. Ich finde, dass Jürgen Kehrer in diesem Jahr vollkommen zu Recht den "Ehrenglauser" durch das SYNDIKAT verliehen bekommt, unter anderem ja auch deshalb, weil er das Genre des Regionalkrimis ganz neu definiert hat. Genauso gut wie Münster oder die viel beschriebene Eifel eignet sich aber auch der Landkreis Marburg-Biedenkopf als Krimiregion wer weiß, was in Zukunft aus dieser Steilvorlage erwächst. Der Beweis, dass es funktioniert, ist jetzt jedenfalls erbracht.
Interview: Georg Kronenberg