Thema der Woche | 3. November 2011

Auftritt!

Von der Uni auf die Bühne: Wie Bakad Kapelye erfolgreich die Studentenzeit überlebt hat / Nächstes Konzert am 12. November Foto: Markus Mue
 

Ohrenbetäubende Proben mit Metal und Hardcore-Bands hatte Björn Rückert mehr als genug hinter sich gebracht. Also reaktivierte der junge Musiker 2004 eine alte Hass-Liebe – zu seinem Akkordeon. Hass deswegen, weil er als Ju­gend­licher darauf deutsches volkstümliches Liedgut spielen lernte, was ihm gar nicht behagte. Heute ist er Akkordeonist in Gießens Klezmer & East­european Folk-Band – Bakad Kapelye und liebt diese Tätigkeit. Wieso dieser Wandel? Die Band hat Schuld!

Als Student der Musikwissenschaft am Musikwissenschaftlichen und Musik­pädagogischen Institut der Uni Gießen, der er seit 2002 war, suchte Björn nach einer neuen Live-Band der etwas anderen Art. Akustisch sollte sie sein und, geprägt durch Kusturicas Filme, Musik machen die an die dortigen Blas­orchester erinnern. Schnell, lebensfroh und voller Energie. So wurde seine Vorliebe für osteuropäisches Musikmaterial geprägt.

Im Umfeld, des Musikinstituts fanden sich rasch Interessenten für ein akustisches Ensemble, Alina Bauer (Geige) und Alexander Hock (Drums) zählen zu den Mitgliedern der Band seit Anbeginn. Dem Umstand geschuldet, dass niemand ein Blechblasinstrument spielen konnte, orientierte man sich zunächst in Richtung Klezmer. Kristin Lesch (Klarinette) und David Babier (Bass) vervollständigten die Besetzung, die sich dann zu den ersten Proben im März 2007 einfand. Die Bakad(nach den Anfangsbuchstaben der Vornamen der Musiker) Kapelye erblickte das Licht der Welt.

Anfangs völlig unbedarft spürte wir den Traditionen jiddischer Festmusik nach und erarbeiteten uns ein Wissen über die jeweiligen kulturellen Hintergründe und Musiken", berichtet Björn. Die junge Band trat bei Universitätsfestivitäten wie Zeugnisverleihungen und Jubiläumsveranstaltungen auf. Bald gab's das ein oder andere Konzert in Kneipen und Clubs. Nach kurzer Zeit verließ Bassist David Barbier die Band, woraufhin Andreas Feil für gut zwei Jahre seine Nachfolge antrat.

Das Bandgefüge festigte sich", blickt Alina zurück. "Wir besuchten Klezmerworkshops in Fürth, Hamburg und Weimar, ließen uns von Konzertbesuchen und Tonträgern inspirieren und begannen, angetrieben durch die positive Resonanz des Publikums, uns immer ernsthafter mit dem Repertoire der jiddischen Folklore, der Klezmermusik, zu befassen."

Mit diversen regionalen Auftritten unter anderem in Gießen, Wetzlar, Marburg und Lich erspielte sich Bakad Kapelye schnell einen Ruf als stimmungsvolle Live-Band, die auch diverse Privatfeiern zu bereichern vermag. Erste Highlights waren 2008 der Auftritt auf dem World Music Festival in Loshausen, "3 Tage-Marburg", das Gießener Stadtfest und verschiedene Auftritte im Zusammenhang mit der 60. Wiederkehr der Reichspogromnacht. Außerdem produzierten sie ihre erste CD, betitelt nach dem Bandnamen Bakad Kapelye.

Anfang des darauf folgenden Jahres folgten entscheidende Veränderungen in der Bandbesetzung: Die Klarinettistin Kristin Lesch verließ die Kapelye, woraufhin Peter Incze, ein weiterer Studienfreund und Musikerkollege, ihren Platz einnahm. Er bereicherte den Sound der Gruppe nicht nur um Alt- und Tenor-Saxophon sowie Gesang und Klarinette, sondern brachte auch eine besondere jazzige Note mit ein. Auch Andreas Feil verließ die Band und es fand sich bald ein würdiger Ersatz: Tobias Ohrmann. Für den angehenden Physiker sind die Schwingungsverhältnisse der Basssaiten längst kein Mysterium mehr.

Das Jahresabschlusskonzert 2009 war gleichzeitig der Auftakt eines viel versprechenden Kooperationsprojektes, in dem sich Live-Musik und Tanzshow miteinander verbinden. Unter dem Titel "Romania Klezmania" bringen Bakad Kapelye mit den beiden Tänzerinnen Astrid Jäger und Rosa Dibowski von "Duo Noaem" eine mitreißende Show auf die Bühne.

2010 veröffentlicht die Band in Eigenregie ihren ersten Longplayer "Eins... und spielt!". Es schließen sich Monate mit Konzerten und Workshopbesuchen an.An allen Ecken und Enden wird geplant, geprobt, gespielt und veröffentlicht: Der befreundete Produzent und DJ Bodo Wissemann bastelt einen Remix, der aktuell bei dem Techno- und Electro-Label What What Records auf Vinyl erschienen ist. Und die "Eins... und spielt!"-Auskopplung "Russian Sher" schafft es neben Größen wie dem Boban Markovic Orkestar, Fanfare Ciocarlia, Frank London's Klezmer Brass All Stars und The Klezmatics auf die neuste Veröffentlichung von ZYX-Ayianapa "Balkan Party".

2011 folgt eine Tour gen Osten: Österreich, Ungarn und Rumänien lagen auf der Reiseroute. "Die zweiwöchige Tour war ein großartiges Erlebnis, da man erstmals ein Feedback von wahren Kennern osteuropäischer Musik bekam", sagt Peter Incze. "Die Resonanz war für uns durchweg überwältigend."

Da nicht alle Bandmitglieder derselbe Jahrgang sind, haben sie nacheinander die Uni verlassen und darüber hinaus die Band aufrecht erhalten. Keiner hat die Region nicht verlassen, so dass die Band weiter Bestand haben konnte: "Wir sind auf einer Wellenlänge, können uns angiften und auch verzeihen. Eine Band ist in dieser Hinsicht ähnlich wie eine Ehe."

Björn ist nach langem hin und her im musikalisch Freiberuflichen und Universitären jetzt Referendar für Haupt- und Realschulen für u.a. das Fach Musik. Alexander ist ebenfalls als Lehrer tätig und unterrichtet nebenbei, ebenso wie Peter und Alina, Menschen an ihren jeweiligen Instrumenten. Peter arbeitet zudem bei der Gießener Booking-Agentur o-tone music und ist auch als DJ tätig.

Die Band ist für jeden zu einem Standbein von mehreren geworden. Björn: "Ich beobachte, wie wir uns von Jahr zu Jahr steigern – unsere letzte Tour hat uns musikalisch so nahe zusammen gebracht, wie nie zuvor. Wenn ich Bands wie Bratsch sehe, die seit fast 40 Jahren zusammen musizieren, dann denke ich gerne an Bakad, wie wir als alte Herren und alte Dame zusammen auf der Bühne stehen und man sich blind versteht."

In dem Ensemble übernimmt jeder einen Teil der anfallenden Aufgaben. So kümmert sich Björn beispielsweise um die Buchhaltung der GbR und das Booking, in dem Alina ihn tatkräftig unterstützt. Peter pflegt die digitalen Medien (facebook etc.) und Alex den Proberaum, während Tobias den CD-Versand betreut. Fazit: "Unser kleines Unternehmen floriert."

Zum 118. Konzert
... ihrer bisherigen Karriere lädt die Bakad Kapelye am Samstag, 12.11., um 20 Uhr ein. In der Lukaskirche (Löberstraße 4 in Gießen) wird ein Gemeinschaftsprojekt der Jüdischen Gemeinde und der Evangelischen Lukasgemeinde Gießen in Kooperation mit Bakad Kapelye bestritten. Die Musik des Ensembles spannt einen Bogen über Kulturen und Religionen hinweg und baut so Brücken, die zu Begegnungen einladen.
Die nächste CD ist in Arbeit, – geplant sind fast ausschließlich Titel mit Gesang, eine fast 100%ige Veränderung zur vorherigen Platte – und soll im Frühjahr 2012 erscheinen.

kro/pe