Es war ein historischer Tiefstand: Nicht einmal die Hälfte von Hessens Wahlberechtigten haben 2006 bei der letzten Kommunalwahl ihre Stimme abgegeben. Und der Negativ-Rekord liegt voll im Trend:So lag die Wahlbeteiligung etwa bei der Gemeindewahl (ohne die Kreisparlamente) 1981 noch bei stattlichen 76,4 Prozent und ging 1989 mit 78,1 Prozent sogar noch einmal leicht in die Höhe, danach ging's allerdings rapide bergab, mit 71,3 Prozent 1993, 66,1 Prozent 1997, 53 Prozent 2001 und schließlich zu traurigen 46 Prozent 2006.
Was schade ist, denn in wohl keinem anderen politischen Bereich lässt sich so schnell etwas umsetzen, verändern, wie in der vermeintlich "kleinen" Politik vor Ort. Weil es meist um ganz konkrete Projekte, beispielsweise Bauvorhaben, Geschwindigkeitsbegrenzungen, etc. geht. Lust auf das Mitmischen und in jedem Fall das Mitabstimmen bei der Wahl sollen deshalb die drei folgenden Kurzporträts von politisch interessierten Bürgern unterschiedlicher Couleur machen, die sich für die Stadtverordnetenversammlung haben aufstellen lassen (ausgewählt nach den drei stärksten Fraktionen im aktuellen Stadtparlament).
Dass am kommenden Sonntag in Marburg auch die Direktwahl des Oberbürgermeisters ansteht, könnte sich positiv auf die Wahlbeteiligung auswirken. Dabei treten insgesamt sieben Kandidaten an. Neben dem Amtsinhaber und Favoriten Egon Vaupel (SPD) auch Bürgermeister Franz Kahle (Grüne) Der aussichtsreichste Bewerber des in vier Gruppen mit drei Kandidaten zersplitterten bürgerlichen Lager ist CDU-Mann Wieland Stötzel.
Ein politischer Mensch sei er immer gewesen, sagt Ralf Laumer. 1985 entschied er sich für die SPD. Damals war ihm zudem das grün-alternative Milieu etwas suspekt heute hält er eine rot-grüne Zusammenarbeit nach dem 27. März für am besten.
Trotz dieser Präferenz meint er, dass in der Kommunalpolitik alle miteinander reden können müssen. Politik- und Parteirituale nerven, um die Lösung konkreter Probleme geht es ihm. Politik solle offen und transparent stattfinden gerade im Konflikt: "Hinterzimmerpolitik ist nicht meins, und auch nicht das unter der Hand organisieren von politischen Mehrheiten."
In den letzten Jahren hat Laumer immer wieder auch über Dinge in der SPD gemeckert. Nur hilft meckern allein ja nicht. Gewohnt, sich als Familienvater, Unternehmer und als Bürger zu engagieren, ist er seit 15 Monaten Chef des größten Marburger SPD-Ortsvereins, engagiert sich im Wahlteam Egon Vaupels. Und will jetzt selbst ins Stadtparlament, um sich mit seinen Themen Stadtentwicklung, Bürgerbeteiligung, Kultur und Wirtschaft zu beschäftigen. Und um Egon Vaupel aus der SPD-Fraktion heraus zu unterstützen.
Wo es früher hieß: Alles ist Politik!, sei er heute etwas gelassener, sagt er. Viele Menschen lebten, ohne ständig über Politik nachzudenken. "Dennoch finde ich es gerade spannend, die vermeintlich große Politik auf die Kommune herunter zu brechen, hier konkrete Beiträge leisten zu können zu Chancengleichheit, besserer Bildung, Atomausstieg oder mehr Bürgerbeteiligung. Und das reizt!"
Das Schönste ist immer,wenn man nach der Parlamentssitzung nach Hause gehen und sagen kann, ,dein Antrag ist angenommen", berichtet Manfred Jannasch. Seit fünf Jahren sitzt der 64-jährige Radio- und Fernsehtechnikermeister für die CDU im Stadtparlament. Früher war er im Handwerksbereich stark ehrenamtlich aktiv, seit er mehr Zeit hat, engagiert er sich nun auch kommunalpolitisch, weil ihm in der Stadt "manches nicht gepasst" habe. Deshalb will Jannasch jetzt selbst vor Ort etwas bewegen: "Ich will politisch auch keine Karriere mehr machen und kann auch mal jemandem auf die Füße treten, wenn ich mich für eine wichtige Sache einsetze."
Was allerdings in der politischen Diskussion absolut nichts zu suchen habe, seien persönliche Angriffe. "Das ist nicht mein Stil und der Politik generell auch nicht dienlich." Viel besser sei es, wenn man nach der engagierten Sachdebatte mit dem politischen Gegner auch mal ein Bier trinken gehen könne.
Ärgerlich sei natürlich auch, wenn im Stadtparlament alle Anträge, für die man sich stark gemacht habe, von der Mehrheit abgeschmettert werden. Aber zu derartigen Niederlagen hat der ehemalige Werbekreis-Vorsitzende Jannasch dann doch ein entspanntes Verhältnis: "Das gehört zum Wesen der Demokratie. Wenn man Niederlagen nicht ab kann, sollte man nicht im Parlament arbeiten."
Im Auslandssemester Ende 2009, Anfang 2010 in Italien hat es Marco Nezi erwischt: "Ich glaube, entscheidend für meinen Entschluss, mich kommunalpolitisch zu engagieren, war der Blick von außen auf Deutschland, auf die Schlussphase des Bundestagswahlkampfs." Schon vorher habe er sich mehrfach mit Ideen für Zebrastreifen, Geschwindigkeitsregulierungen, etc. an städtische Behörden gewandt. "Ich bin angehört worden, hatte aber den Eindruck, dass ich doch eher abgewimmelt werde", sagt der 26-jährige Lehramtsstudent. Also folgerte der zu seiner Schulzeit schon als Schulsprecher engagierte, verändern lasse sich nur direkt etwas über die Politik vor Ort, über das Engagement in einer Partei und ging zu den Grünen.
Jetzt steht der in Marburg Aufgewachsene auf Platz 6 der Liste für's Stadtparlament und ist ganz überrascht, dass sich in den letzten Wochen einiges verändert hat, wenn er mal in Marburg unterwegs ist:"Ich bin inzwischen oft und von den verschiedensten Bekannten sehr positiv auf meine Kandidatur angesprochen worden. Das freut mich, ist aber auch ein Auftrag. Diesen Vorschusslorbeeren muss man erstmal gerecht werden."
Ein Thema, dass ihm freilich nicht nur lokalpolitisch am Herzen liegt, ist die Bildungspolitik. "Wie katastrophal die in Hessen in die Hosen gegangen ist, erlebt man als Student jeden Tag."
Es war ein historischer Tiefstand: Nicht einmal die Hälfte von Hessens Wahlberechtigten haben 2006 bei der letzten Kommunalwahl ihre Stimme abgegeben. Und der Negativ-Rekord liegt voll im Trend:So lag die Wahlbeteiligung etwa bei der Gemeindewahl (ohne die Kreisparlamente) 1981 noch bei stattlichen 76,4 Prozent und ging 1989 mit 78,1 Prozent sogar noch einmal leicht in die Höhe, danach ging's allerdings rapide bergab, mit 71,3 Prozent 1993, 66,1 Prozent 1997, 53 Prozent 2001 und schließlich zu traurigen 46 Prozent 2006.
Was schade ist, denn in wohl keinem anderen politischen Bereich lässt sich so schnell etwas umsetzen, verändern, wie in der vermeintlich "kleinen" Politik vor Ort. Weil es meist um ganz konkrete Projekte, beispielsweise Bauvorhaben, Geschwindigkeitsbegrenzungen, etc. geht. Lust auf das Mitmischen und in jedem Fall das Abstimmen bei der Wahl sollen deshalb die drei folgenden Kurzporträts von politisch interessierten Bürgern unterschiedlicher Couleur machen, die sich für die Stadtverordnetenversammlung haben aufstellen lassen (ausgewählt nach den drei stärksten Fraktionen im aktuellen Stadtparlament).
Eigentlich sei es keine große Geschichte, wie er zu seinem kommunalpolitischen Engagement gekommen sei, berichtet Markus Schmidt. "Ich habe mich in der Schule schon für Politik interessiert und weil ich in Gießen aufgewachsen bin, habe ich mich auch für das Leben in der Stadt interessiert." Und so sei er dann in die CDU eingetreten.
Die Christdemokraten wurden die Partei seiner Wahl, weil er insbesondere an der Bildungspolitik der früheren rot-grünen Landesregierungen einiges auszusetzen hatte. Ein Schlüsselerlebnis sei sein Studienbeginn an der TU Darmstadt gewesen -als er erkannt habe, wie schlecht ihn sein hessisches Abitur auf das Informatiker-Studium vorbereitet habe.
Am meisten Spaß macht dem 31-jährigen Diplom-Informatiker, dass er "Politik für das direkte Umfeld" machen kann: "In der Kommunalpolitik kennt man einen Großteil der Menschen, für die man arbeitet noch persönlich, hier kann man natürlich engeren Kontakt mit den Bürgern halten als wenn man beispielsweise im Bundestag sitzt."
Was ihn manchmal bei der politischen Arbeit stört ist, "dass man auch für Sachen verantwortlich gemacht wird, für die man überhaupt nichts kann". Aktuelles Beispiel sei die Diskussion über die Atompolitik seiner Partei.
Dagegen freut ihn, wenn seine Partei ein gutes Projekt für die Stadt voranbringe, wie etwa die Umgestaltung der Fußgängerzone, die Landesgartenschau oder das geplante Großkino am Berliner Platz:"Als Gießener will man für gutes Kino nicht immer nach Marburg fahren."
Dass sich Menschen für ihre Belange vor Ort stark machen, findet Natalie Orlowski wichtig. Deshalb will sich die gebürtige Gießenerin auch mit ihrer Partei dafür einsetzen, "dass alle Bürgerinnen und Bürger über Bürgerforen die Möglichkeit bekommen, themen- und projektbezogen an der Gestaltung Gießens mitwirken zu können. Das stärkt das Miteinander in der Stadt und bringt Gießen voran."
Themen, die sie persönlich bewegen seien schon immer Umwelt- und Klimaschutz. Deshalb setzt sich die 26-jährige Doktorandin des Umwelt- und Ressourcenmanagements insbesondere für ein ökologisches Gießen mit einer nachhaltigen Stadtentwicklung ein. "Die drastische Reduzierung des Energieverbrauchs und des CO2-Ausstoßes, zum Beispiel durch die Umstellung des städtischen Fuhrparks auf Erdgas- und Elektro-Fahrzeuge und die energetische Sanierung städtischer Gebäude, sind für mich Projekte, die mir sehr am Herzen liegen." Außerdem möchte Orlowski mit der SPD den massiven Ausbau erneuerbarer Energien in Gießen voran bringen.
Wieviel Zeit sie das kommunalpolitische Engagement durchschnittlich kostet, fällt ihr schwer zu sagen: "Ich bin in verschiedenen Gremien aktiv, mein politischer Einsatz ist daher von Woche zu Woche unterschiedlich. Entscheidend ist für mich auch nicht, wie viel Zeit ich genau investiere, da mir meine politische Arbeit Spaß macht und ich gerne etwas in Gießen verändern möchte."
Warum sich Christian Otto in der Kommunalpolitik, engagiert, obwohl die "verächtlich auch schon einmal als Gullydeckelpolitik" bezeichnet werde und er öfters sechsstündigen Sitzungen beiwohnte, in denen dann bisweilen über eine Stunde lang mehr oder weniger leidenschaftlich über Dinge diskutiert wurde, über die schon längst Einigkeit bestand?
Für den 30-jährigen Studenten ist die Antwort ganz klar: "Die Kommunalpolitik ist die konkreteste Ebene der Politik." Was im Stadtparlament zu Umwelt, Sozialem, etc. beschlossen wird, und hier haben Kommunen wie Gießen einigen Spielraum, lasse sich direkt in der Stadt beobachten: "Gelohnt hat sich für mich beispielsweise mein kommunalpolitisches Engagement und damit auch manche nervenaufreibende Sitzung fast schon alleine durch die Einführung der von uns im Wahlkampf geforderten Nachtbuslinien. Das ist schon ein Supergefühl, wenn Du nachts mit dem Rad vom MuK wegfährst und 40 Leute in den Nachtbus, in das eigene politische Steckenpferd, einsteigen siehst."
Zur Politik im Allgemeinen gekommen ist Otto über die Hochschulpolitik, also von der Fachschaftsarbeit zu UniGrün, ein wenig später zu den Grünen und dann in den AStA.
In den nächsten Jahren möchte er sich dafür engagieren, dass das Studieren in Gießen, beispielsweise über mehr Wohnraum und bessere Verkehrsanbindungen, attraktiver wird. Dass der faire Handel z.B. über das städtische Einkaufsverhalten gestärkt und trotz Schuldenbremse in Bildung investiert wird.