Express Online: Thema der Woche | 24. Februar 2011

Vaupel ist der Favorit

"Marburger Millionendieb" wird zum Wahlkampfthema
CDU und Marburger Bürgerliste fordern den Rücktritt von Oberbürgermeister Egon Vaupel (SPD), nachdem der Sozialdemokrat in einer persönlichen Erklärung die politische Verantwortung für den Veruntreuungsfall in der Marburger Verwaltung für den Zeitraum ab 2005 übernommen hat. Nach den Ermittlungen der Stadt hat ein Verwaltungsbeamter seit Ende der 90er Jahre mindestens 1,6 Millionen Euro Steuergelder in die eigene Tasche gesteckt. Der inzwischen suspendierte Mann arbeitete in der Beihilfestelle. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.
Die Rücktrittsforderung hält der SPD-Parteivorsitzende Steffen Rink für "hanebüchen und durchsichtig": "Denjenigen köpfen zu wollen, der die Aufklärung der Veruntreuungsgeschichte vorantreibt, ist nicht logisch." Auch Georg Fülberth von der Marburger Linken hält die Rücktrittsforderung für "dummes Zeug". Zudem hätten die Unterschlagungen bereits unter Christdemokrat Dietrich Möller begonnen, der von 1993 bis 2005 Oberbürgermeister war.
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Sieben Kandidaten bei der Marburger Oberbürgermeisterwahl am 27. März

Marburg. Sie sind die Gesichter der ältesten rot-grünen Koalition Hessens. Im Marburger Rathaus arbeiten sie fast Tür an Tür. Trotzdem treten sie bei der Oberbürgermeisterwahl der Universitätsstadt am 27. März gegeneinander an: Amtsinhaber Egon Vaupel (SPD) und Bürgermeister Franz Kahle (Grüne) wollen beide Oberbürgermeister werden. "Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass die Grünen mich unterstützen", sagt Vaupel. Bei der letzten OB-Wahl haben sie es noch getan. Die tägliche Zusammenarbeit sei aber nicht beeinträchtigt, betonen beide: "Wir haben ein gutes Verhältnis", so Kahle.

Obwohl insgesamt sieben Kandidaten bei der Wahl antreten, kann es gut sein, dass Vaupel und Kahle in die Stichwahl kommen. Schließlich haben die Grünen in ihrer Hochburg Marburg bei der Europawahl 2009 schon einmal CDU und SPD übertrumpft. Jetzt wollen sie auch bei der Kommunalwahl stärkste Kraft werden. Schließlich ist das bürgerliche Lager in vier Gruppen mit drei Kandidaten zersplittert. Der aussichtsreichste Bewerber ist CDU-Mann Wieland Stötzel.

Als Oberbürgermeister ist Sozialdemokrat Egon Vaupel indes weitgehend unangefochten. Seit 2006 regiert der 60-jährige gelernte Finanzbeamte. Dass ein Mitarbeiter geschätzte 1,5 Millionen Euro unterschlagen hat, schadet aber auch Vaupel. Christdemokraten und Marburger Bürgerliste fordern seinen Rücktritt. Dabei haben die Unterschlagungen bereits unter CDU-Oberbürgermeister Dietrich Möller begonnen.

Den Genossen hat Vaupel gesagt, dass er für die rot-grüne Koalition steht. Das war nötig, weil das älteste rot-grüne Bündnis Hessens seit zwei Jahren wackelt. Im Herbst 2009 wäre es fast zerbrochen. Hauptgrund: Manchen Sozialdemokraten sind die Grünen zu selbstbewusst geworden. Dabei haben die Partner große Projekte vorangebracht: Bundesweit machten sie sich mit der umstrittenen Solarsatzung einen Namen. Die Kinderbetreuung ist vorbildlich. Marburg ist die einzige deutsche Stadt, die bis heute eine Abwrackprämie für Fahrräder hat. Durch hohe Gewerbesteuereinnahmen ist Marburg vergleichsweise reich. Sie wurde mehrfach für ihre sozialen und klimapolitischen Initiativen ausgezeichnet.

Ob die neuen Projekte der Grünen ihrem Kandidaten nützen, ist allerdings noch fraglich: Die Umweltpartei möchte eine Seilbahn auf die Lahnberge bauen. Die Genossen halten das für unrealistisch und bevorzugen eine Express-Buslinie, um den Verkehr auf den Lahnbergen zu entkrampfen. Strittig sind auch die geplanten Windräder bei Marburg. Die Grünen wollen sie aus Prinzip. Die SPD sorgt sich um die Proteste vor Ort und bevorzugt die ertragreicheren Windräder im Hinterland.

Andererseits punkten die Grünen mit ihrem wortgewandten Bürgermeister Kahle. Zwischenzeitlich war unklar, ob der 51-jährige frühere Richter überhaupt antreten würde. Er hat erst vor wenigen Monaten eine Krebserkrankung überstanden und muss sich noch einer Operation unterziehen. Nun hofft er, dass "kräftemäßig bald wieder der Alte" zu sein.

Auch CDU-Kandidat Wieland Stötzel ist überzeugt, zumindest in die Stichwahl gegen OB Vaupel zu kommen. Der 32-jährige Rechtsanwalt setzt sich vor allem für Parkplätze in der Innenstadt und den Neubau der Stadthalle ein. Tempo 80 auf der Stadtautobahn und "Hirngespinste wie die Seilbahn" werde es mit ihm nicht geben. Außerdem will er den "Solarzwang" abschaffen.

Der Kandidat der Marburger Bürgerliste könnte auch der SPD zu schaffen machen. Reinhold Becker ist nach langen Querelen erst vor wenigen Monaten bei den Sozialdemokraten ausgetreten. An der Spitze der Bürgerliste plädiert er für einen harten Sparkurs und die Abschaffung des dritten hauptamtlichen Magistrats-Postens.

Die in der Universitätsstadt starken Marburger Linken treten mit dem 61-jährigen Lehrer Henning Köster an, der die soziale Frage in den Mittelpunkt stellt. Die erst seit fünf Jahren wieder im Parlament vertretenen Liberalen schicken den 42-jährigen Landwirt Jörg Behlen ins Rennen. Keine Chancen werden Michael Klapschinsky von der Anarchistischen Pogo-Partei eingeräumt.

Gesa Coordes


Express Online: Thema der Woche | 24. Februar 2011

Bewegung 2.0

Sportwissenschaftler der Uni Gießen entwickeln Web 2.0-Technologie für sportbegeisterte Jugendliche

Jedes fünfte Kind in Deutschland ist mittlerweile übergewichtig. Zwar leben deutsche Studenten und Abiturienten laut einer Umfrage der DAK unter 1.000 jungen Erwachsene im Alter von 18 bis 29 Jahren gesund: Fast 60 Prozent halten sich danach mit Sport fit für Hörsaal und Schulbank. Doch der Schein trügt ein wenig, denn gerade der Nachwuchs ist nach Angaben der Krankenkasse längst nicht mehr so sportbegeistert wie vor einigen Jahren. Vor allem Kinder und junge Jugendliche spielen Fußball lieber inzwischen virtuell - am Computer.

Wie Jugendliche echten Sport und virtuelle Welten verbinden können, ist der Inhalt eines Projekts am Institut für Sportwissenschaft der Uni Gießen unter Federführung von Dr. Marco Danisch: Titel ist "Mobile Tagging im Sport" (MoTagS). Bei MoTagS können sportbegeisterte Kinder und Jugendliche Infos über Bewegungs-, Spiel und Sporträume online zur Verfügung stellen, also beispielsweise kleine Handy-Filmchenüber ihre sportlichen Aktivitäten. Das Projekt wird vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst gefördert.

Hintergrund: Social Networks oder auch Wikis zu unterschiedlichsten Themen bieten Kindern und Jugendlichen immer mehr Möglichkeiten zur Selbstdarstellung oder Präsentation eigener Inhalte im Internet. Angesichts der innerhalb dieser Generation quasi von Geburt an vorliegenden, medialen Vollversorgung spricht man nicht umsonst von den sogenannten "Digital Natives". Daher ist es für diese Altersgruppe nach Einschätzung der Gießener Sportwissenschaftler fast alltäglich, Freizeitsportaktionen mit dem Handy aufzuzeichnen, sie auf Websites oder Videoplattformen hochzuladen und damit innerhalb kürzester Zeit weltweit zu verbreiten.

Aus dieser verstärkten Beteiligung an der Erschließung von Bewegung, Spiel und Sport auf virtuellem Wege resultiere jedoch keineswegs zwangsläufig eine geringere Beteiligung am aktiven Sport, wie es häufig in den Massenmedien vermittelt werde, ist das Team von Marco Danisch überzeugt. Kinder und Jugendliche betrieben vielmehr freizeitsportliche Aktivitäten bei denen sie neue "Bewegungsräume" eroberten oder bestehende Infrastrukturen für ihre Zwecke umfunktionierten.

Die Auswahl solcher Bewegungsräume erfolge nach Gesichtspunkten wie der grundsätzliche Attraktivität, baulichen Herausforderungen, aber auch den Möglichkeiten zur kreativen Umgestaltung. Die Darstellung bleibe jedoch meist innerhalb der eigenen "Szene" und gelangt damit nicht über einen bestimmten Kreis hinaus. Das soll durch MoTagS anders werden: Auf diesem Wege sollen Kinder und Jugendliche die Möglichkeit erhalten, detaillierte Informationen und Bewertungen ihrer sportlichen Lebenswelt aus persönlicher Perspektive zu präsentieren, mit anderen zu teilen, zu kommentieren und letztlich dadurch anderen Kids online zu vermitteln,welchen Spaß Spiel und Sport machen können.

Die technische Grundlage für die Sammlung, Publikation und nachhaltige Sicherung von Informationen über Bewegungs-, Spiel- und Sporträume bildet die Verknüpfung des Mobile Taggings mit einem Wiki-System. Mobile Tagging ist der Begriff für die Bereitstellung und das Auslesen von Informationen über ein- bzw. zweidimensionale Barcodes mit Hilfe eines mobilen Endgerätes (Handy, Smartphone etc). In einem solchen Barcode werden Informationen zu einem physischen Ort (Sporthalle, Schwimmbad, Skaterpark etc.) in der Welt verschlüsselt. In Verbindung mit einem Wiki-System, das von einem oder mehreren Nutzern nicht nur eingesehen, sondern bearbeitet beziehungsweise ergänzt werden kann, lassen sich in kürzester Zeit neue "Bewegungsräume" in virtueller Form anlegen oder bestehende aktualisieren.

Vorgestellt wird das Projekt MoTagS erstmals vom 1. bis 5. März am Gemeinschaftsstand der Hessischen Hochschulen auf der Cebit in Hannover (Halle 9, Stand C 22).

pe/kro