Express: Burgen und Heavy Metal: Wie kommt man auf diese Kombination?
Michael Losse: Als Historiker/Kunsthistoriker mit dem Schwerpunkt Burgenforschung, der sich der Metal-Szene zugehörig fühlt, musste ich dieses Thema einfach aufgreifen. Metal ist eine Lebenseinstellung, die Toleranz, Verantwortung und Individualität fordert. Der Metal, der sich vorwiegend als unpolitische, trendunabhängige Szene versteht, zeigt bei oberflächlicher Betrachtung Realitäts- und Wirklichkeitsflucht, doch ist dieser Eskapismus meist symbolisch gemeint: Geschichte, "das Mittelalter" und historische Orte sind besonders wichtige Dimensionen im Metal. Burgen und Schlösser sind für viele Metaller Sehnsuchtsorte, Symbole einer besseren, aufrichtigeren Zeit, wie meine Umfrageergebnisse belegen. Der symbolistisch-eskapistische Weg der Metaller ins "Mittelalter" wird optisch nachvollziehbar, beispielsweise auf einer Homepage, auf der sich ein Burgtor öffnet (Emerald; Molly Hatchet) oder wenn die Konzertbühne Burgkulissen aufweist (Axel Rudi Pell: The Crest Tour 2010). Viele Metaller stehen damit in der Tradititionslinie der Burgenromantik des 18./19. und des Historismus des 19./frühen 20. Jahrhunderts. Doch gibt es auch Querverbindungen zur gegenwärtigen Fantasy-Literatur der Autor Wolfgang Holbein ist ein erklärter Metal-Fan -, zu Fantasy-Filmen und Computer-Spielen.
Es gibt innerhalb der Metal-Szene Widersprüche bei der Verwendung der Burg als Motiv oder Symbol. Die markantesten Gegensatzpaare sind "Bedrohung" vs. "Sicherheit" und "Sitz der Gerechtigkeit" vs. "Symbol der Unterdrückung" Letzteres jedoch sehr selten. Auch als Symbole der in Liedern thematisierten Heimat können Burgen stehen, so bei Festung Nebelburg (Die Sage von Burg Weißenstein, 2007) und XIV Dark Centuries (Die Drei Gleichen, 2002).
Express: Wo liegen die Schwerpunkte des Forschungsprojekts?
Michael Losse: Aspekte der aktuellen Forschungen sind Burgen, Schlösser und Festungen als oder in Band-Namen (z.B. Dark Fortress), als Themen und Motive in Liedtexten, als Kulissen für Videos von Metal-Bands, als Elemente auf Band-Homepages, als Kulissen für Band-Fotos, als Festival- und Konzertorte sowie im Kontext von Bühnendekorationen. Besonders wichtig sind Abbildungen realer und fiktiver Burgen, Schlösser und Festungen auf und in CD-Booklets (z.B. Emerald: Forces of Doom, 2007). Beachtung finden auch Band-Logos, die Burgen oder "Mittelalter" assoziieren sollen (z.B. Schwerter in Bandnamensschriftzügen, etwa bei Medieval Steel) sowie die Burgenrezeption seitens der Fan-Clubs von Metal- und Gothic-Bands, der Fan-Club der Band Rage etwa gab die Mitgliederzeitung 'Festungs-Kurier' heraus. Zudem werden Kontakt- und Kleinanzeigen in Metal- und Gothic-Magazinen ausgewertet, die das starke Interesse der Leser/-innen an Burgen und Mittelalter belegen.
Ganz wichtig sind Interviews von Musikern/-innen der Metal-Szene. Fast alle angesprochenen Künstler reagierten innerhalb weniger Tage auf meine Anfragen; ich traf auf großes Interesse und fand viel freundliche Unterstützung, aus der schon neue Freundschaften hervorgingen.
Express: Warum ist ausgerechnet Metal mit dem Bezugsfeld "Mittelalter" verbunden und nicht etwa HipHop oder Punk?
Michael Losse: Punk und HipHop haben nicht das kreative Potential, das im Falle der Mittelalter-Rezeption im Metal in romantisch-eskapistischer oder politisch-symbolistischer Weise seinen Ausdruck findet. Die Metal-Forscher Rolf F. Nohr (Braunschweig) und Herbert Schwaab (Regensburg) haben es so formuliert: "Heavy Metal ist die letzte große Erzählung der westlichen Kultur." Zudem ist der Metal eher wertkonservativ und bedient sich somit einer traditionellen Symbolik.
Express: Wer arbeitet mit, und wer unterstützt das Vorhaben?
Michael Losse: Verschiedene Universitäten haben Metal als Forschungsthema entdeckt, doch stehen wir, die wir uns mit diesem Thema beschäftigen, bislang nur in einem lockeren Austausch. Geplant ist jedoch mittelfristig die Gründung einer Forschungsgemeinschaft.
An der Uni Braunschweig fand im Sommer 2010 der Kongress Metal Matters statt, der allerdings unter primär medienwissenschaftlicher Ausrichtung verschiedene Aspekte des Metal hinterfragte. Und das Mittelrhein-Museum in Koblenz präsentierte 2010 die Kabinettausstellung Metal(l) Musik in Farbe mit CD-Cover-Entwürfen der polnischen, in Italien lebenden Künstlerin Jowita Kaminska, die 45 Cover für Metal-CDs entwarf. Das Thema Metal ist also inzwichen in der akademischen Welt angekommen. Für 2013 plane ich eine Ausstellung zu meinem Thema.
Express: Wie steht die etablierte Burgenforschung zu dem Projekt?
Michael Losse: Die führende Fachzeitschrift ,Burgen & Schlösser' der Deutschen Burgenvereinigung (DBV) hat in ihrer letzten Ausgabe meinen Arbeitsbericht "Die Burg als Thema, Symbol und Motiv im (Heavy) Metal" veröffentlicht, und ich habe noch nie so schnell einen Leserbrief von einem Fachkollegen auf eine Veröffentlichung erhalten. Unter Burgenforschern und Archäologen finden sich übrigens recht viele Metaller.
Express: Schauspieler Sir Christopher Lee sagt, er sei Metal gewesen, ohne es zu wissen. Steht so eine Behauptung für einen geänderten Stellenwert von Metal in der gesellschaftlichen Wahrnehmung?
Michael Losse: Ja! Metal hat inzwischen einen Platz selbst im Feuilleton der F.A.Z. gefunden.
Negative Folgen dieser gesellschaftliche Wahrnehmung sind jedoch die inzwischen auf verschiedenen Festivals, etwa dem Wacken Open Air, in größerer Zahl erscheinenden Zeitgeistler, die den Medien entnommen haben, daß Metal angeblich "in" ist, und deren teils schlechtes Verhalten die Außenwahrnehmung des Metal-Szene teilweise schon prägt.
Der Historiker, Kunsthistoriker, Burgen- und Festungsforscher Dr. Michael Losse M.A. war 198797 im Deutschen Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte/Bildarchiv Foto Marburg am Kunstgeschichtlichen Institut der Uni Marburg tätig, 199799 Lehrstuhlvertreter am Lehr- und Forschungsgebiet Baugeschichte/Geschichte des Städtebaues/Denkmalpflege der Uni Kaiserslautern. Seit 1999 ist er als Dozent, Gutachter und Publizist tätig. 18 Jahre lang arbeitete er nebenberuflich als Studienreiseleiter in Malta und auf Rhodos. Losse, der zahlreiche Fachbücher und -artikel vorlegte, war 19972006 Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Festungsforschung; er ist Mitglied in mehreren Wissenschaftlichen Beiräten, so der Deutschen Burgenvereinigung und im EUROPA NOSTRA Scientific Council.
Interview: Michael Arlt