Express Online: Thema der Woche | 13. Januar 2011

Wege zur Bildung

Hochschulpolitisches Forum: Die Universität und die Bildung
Geld gibt's immer weniger, Studenten zurzeit immer mehr – und auch die Ansprüche von Politik und Gesellschaft, was die Hochschulen leisten sollen, steigen kontinuierlich. Wie geht's weiter an den Universitäten? Wie lässt sich die immer noch mangelhafte Bildungsgerechtigkeit nachhaltig verbessern? Macht die Universität gleichermaßen fit für die Wissenschaft, den Beruf und das Leben?
Auf diese Fragen wird der Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks Achim Meyer auf der Heyde bei seinem Eröffnungsvortrag des Hochschulpolitischen Forums "Die Universität und die Bildung" an der Philips-Uni eingehen.
Bei der anschließenden Podiumsdiskussion "Wird eigentlich noch Bildung gewünscht?" diskutieren Unipräsidentin Katharina Krause, der Vorsitzende des Hochschulrates Prof. Uwe Bicker, Prof. Renate Renkawitz-Pohl (Mitglied des Wissenschaftsrats der Bundesregierung), Theologe Patrick Mähling (Senatsmitglied für die Gruppe der wissenschaftlichen Mitarbeiter), Jan Beberweyk von der Initiative Bildungsstreik Marburg sowie Studentenwerks-Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde.
Termin: Donnerstag, 20. Januar, 18.30 Uhr, Veranstaltungsort: Aula der Alten Universität
Der Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks Achim Meyer auf der Heyde über Einschreiberekorde, Bildungsgerechtigkeit und die Kernaufgaben der Unis

Express: 2,2 Millionen Studenten sind zurzeit an deutschen Hochschulen eingeschrieben, so viele wie nie zuvor. Freut Sie das? Oder sind die Unis und die Studentenwerke in Zeiten knapper Kassen mit den aktuellen Studierendenzahlen finanziell nicht völlig überfordert?
Meyer auf der Heyde: Grundsätzlich ist es zu begrüßen, wenn möglichst alle jungen Menschen mit entsprechender Befähigung ein Hochschulstudium aufnehmen. Wir müssen angesichts der drohenden Fachkräftelücke daraufhin arbeiten. Leider scheitert dies noch zu oft am sozialen Background.
Die Hochschulen erhalten über den Hochschulpakt zusätzliche Mittel, um ihre Kapazitäten zu erhöhen. Sicher sind die sehr eng kalkuliert, da es aus den vergangenen Jahren noch einen Nachholbedarf gibt, weil sich viele Schulabgänger erst zeitversetzt für ein Studium entschieden haben bzw. entscheiden. Und für den gleichermaßen notwendigen Ausbau der sozialen Infrastruktur an den Hochschulen sind im Hochschulpakt keine Mittel vorgesehen, obwohl die jungen Leute ein Dach über dem Kopf und Beratungsangebote benötigen. Mit der Aussetzung der Wehrpflicht und den doppelten Abiturjahrgänge wird sich vor allem die Wohnsituation verschärfen. Wir brauchen daher rund 25.000 weitere Wohnheimplätze und das möglichst schnell.

Express: Was sehen Sie als die Kernaufgabe einer Universität? Wissensvermittlung? Junge Menschen passgenau auf ihre späteren Jobs vorzubereiten? Forschung? Persönlichkeitsbildung?
Meyer auf der Heyde: Mit der Bolognareform verhalten sich die Hochschulen anschlussorientierter, indem sie den an die Hochschulausbildung folgenden Arbeitsmarkt in den Fokus nehmen. Dies ist auf jeden Fall ein positiver Effekt. Dies beinhaltet jedoch keine eindimensionale Ausbildung auf eine singuläre Berufstätigkeit, vielmehr ist die Hochschulbildung Bestandteil eines lebensbegleitenden Lernprozesses. Insofern gilt für Hochschulbildung weiterhin: sie soll wissenschaftliche, persönliche und soziale Handlungskompetenz in Theorie und Praxis vermitteln, die entsprechend der akademischen Ausbildung auf Basis eines fundierten generalistischen Überblickwissens die schnelle Erfassung von Sachverhalten und deren spezifische vertiefte Durchdringung ermöglicht.

Express: Erfüllen die Unis diese Aufgaben? Wo hakt es?
Meyer auf der Heyde: Die Studierendenproteste im vorletzten Jahr haben verdeutlicht, dass viele Fachbereiche in der Umstellung der Studiengänge die Strukturierung zu detailliert umgesetzt haben und damit die Lehre zu verschult ist. Die "Neugier des Forschers" wird damit kaum noch angestachelt. Hier gibt es Korrekturbedarf, worauf die verschiedenen nachträglichen Justierungen zielen. Auch wird die mit der Umstrukturierung notwendige Verbesserung der Relation Lernende zu Lehrenden bislang nur partiell erfüllt, dies bleibt aber eine conditio sine qua non der Studienstrukturreform.

Express: Wie beurteilen Sie die Entwicklung der deutschen Unis in den letzten Jahren? Sind die Hochschulen auf einem guten Weg?
Meyer auf der Heyde: Die Hochschulen hatten und haben eine immens schwierige Aufgabe: Die Umstellung der Studiengänge im laufenden Prozess bei gleichzeitig – zum Teil deutlich – wachsenden Studierendenzahlen, bei stärkerer Internationalisierung und wachsender Autonomie sind Herausforderungen, für deren organisatorische Bewältigung ich den Hochschulen – bei allen Problemen im einzelnen – meinen tiefen Respekt ausspreche.

Express: Die Wirtschaft hat einen steigenden Bedarf an naturwissenschaftlicher und technischer Ausbildung – kommen darüber die geisteswissenschaftlichen Fächer zu kurz?
Meyer auf der Heyde: Das Problem ist eher, dass sich zu wenig Studierwillige für die sogenannten MINT-Fächer entscheiden. Deshalb versuchen ja Politik und Wirtschaft, stärker für die Studienaufnahme in diesen Fächern zu werben und entsprechende Berufsperspektiven aufzuzeigen. Daraus ergibt sich noch kein Nachteil für die geisteswissenschaftlichen Fächer, zudem auch viele Geisteswissenschaftler von Unternehmen gefragt sind und dort Karrierewege beschreiten. Problematisch würde es jedoch, wenn Hochschulen auf Druck den Status von Volluniversitäten aufgäben und sich nur noch auf bestimmte Fächergruppen konzentrierten und eine Knappheit an Studienplätzen in geisteswissenschaftlichen Fächern nach sich zögen. Dies wäre auch konträr zur Freiheit der Berufswahl.

Express: Sind die Probleme bei der Bachelor- und Master-Umstellung – bspw. zu viele Prüfungen, kaum zu schaffender Lernstoff – inzwischen behoben?
Meyer auf der Heyde: Aus Gesprächen mit Hochschulleitungen höre ich, dass in den Hochschulen im Hinblick auf Bologna 2.0 vieles in Bewegung ist. Was tatsächlich realisiert worden ist, wird der Bologna-Gipfel der Bundesbildungsministerin im Sommer zeigen.

Express: Bei der Bildungsgerechtigkeit hat sich nicht viel getan, wie Ihre jüngste Sozialerhebung zeigt. Von 100 Akademiker-Kindern studieren 71, von 1.00 Kindern aus Nicht-Akademiker-Familien studieren nur 24. Warum ändert sich das in Deutschland kaum?
Meyer auf der Heyde: Da haben wir in der Tat noch viel zu tun. Hier muss bereits im vorschulischen und schulischen Bereich angesetzt werden. Wir brauchen umfassende nicht nur Kinderbetreuungsangebote und flächendeckend Ganztagsschulen, sondern wir müssen auch eher bildungsferne Eltern darin bestärken, ihre Kindern eine gute Schul- und anschließende Hochschulbildung zu ermöglichen. Und wir müssen in der Lehrerbildung wesentlich stärkere Akzente darin setzen, dass Lehrer diese Eltern darin bestärken. Haben die jungen Menschen die Schule erfolgreich durchlaufen, dann benötigen sie beim Übergang Schule–Hochschule vernünftige und verlässliche Rahmenbedingungen, damit niemand nur aufgrund finanzieller Schwierigkeiten vom Studium abgehalten wird. D.h. Sicherung und Ausbau des Bundesausbildungsförderungsgesetzes, Abschaffung von Studiengebühren, Förderung ausreichend bezahlbaren und studiengerechten Wohnraum.

Interview: Georg Kronenberg