Express Online: Thema der Woche | 4. Juni 2009

Knappe Mehrheitsverhältnisse

Die Kandidaten im Internet:
Oberbürgermeisterwahl 2003
Bei der Oberbürgermeisterwahl im Herbst 2003 hatte sich Christdemokrat Heinz-Peter Haumann knapp mit 50,5 Prozent gegen Gerhard Merz (49,5 Prozent) von der SPD durchgesetzt. Mit einem Vorsprung von 158 Stimmen hatte der als Favorit ins Rennen gegangene Haumann die damalige Stichwahl für sich entschieden. Die Wahlbeteiligung lag bei niedrigen 30,5 Prozent (von rund 53.000 Gießener Wahlberechtigten).
Haumann, langjähriger Geschäftsführer des Gießener CDU-Kreisverbands, arbeitete bereits seit dem Sieg von CDU, FWG und FDP bei der Kommunalwahl 2001 als Bürgermeister in Gießen. Als zweiter Mann im Rathaus und Vertreter des damaligen Oberbürgermeisters Manfred Mutz von der SPD hatte er bereits seit eineinhalb Jahren die Geschicke der 73000-Einwohner-Stadt gelenkt, weil sich Mutz für einen Jobwechsel in den Dauerurlaub verabschiedet hatte, um seine Altersversorgungs-Ansprüche bei der Stadt nicht zu verlieren. Durch diesen in Gießen heftig umstrittenen Vorgang konnte Haumann 2003 als OB-Kandidat der CDU von einem Amtsbonus profitieren, den ihm sein amtsmüder sozialdemokratischer Vorgänger verschafft hatte.
Kommunalwahlen 2001 und 2006
Nach 16 Jahren Regierungsverantwortung von SPD und Grünen war nach der Kommunalwahl 2001 Schluss mit der rot-grünen Mehrheit im Stadtparlament. Danach regiert eine bürgerlichen Koalition von CDU, FWG und FDP die Lahnstadt, die bei der Kommunalwahl 2006 die Mehrheit verlor. Seitdem wird Gießen von einer sogenannten "Jamaika"-Koalition aus CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP regiert.
kro

Oberbürgermeisterwahl in Gießen: Bleibt Christdemokrat Heinz-Peter Haumann Rathauschef in Gießen oder gibt es mit Dietlind Grabe-Bolz ein Comeback der SPD?

Gerade erst ist Gießens "Kulturrathaus" mit einem Festwochenende eingeweiht worden, da könnte der Chef in der neugebauten Stadtverwaltung am Berliner Platz sein schmuckes Eckbüro mit Blick aufs Stadttheater auch schon wieder räumen müssen:

Denn nicht wenige Beobachter rechnen damit, dass es bei der Gießener Oberbürgermeisterwahl – wie bereits 2003 – auch diesmal wieder ziemlich knapp werden könnte. Dass der seit sechs Jahren amtierende Oberbürgermeister Heinz-Peter Haumann einen völlig ungefährdeten Sieg einfährt, glauben selbst unerschütterliche Optimisten unter den CDU-Parteigängern dieser Tage kaum. Zu kurz liegt da etwa noch die Landtagswahl 2009 zurück – bei der Gießens CDU-Chef Klaus Peter Möller völlig überraschend gegen den Trend aus dem Landtag flog.

Auf seinen Amtsbonus vertrauen kann der als leutselig geltende 50-jährige Oberbürgermeister Heinz-Peter Haumann Haumann, der in Lich-Langsdorf wohnt, zudem nicht: Seine Herausforderin Dietlind Grabe-Bolz, die als Pädagogin an der Kreisvolkshochschule den Bereich Kultur und Kreativität leitet und Gesangspartnerin des populären Kinderliedermachers Fredrik Vahle ist, ist in der Stadt verwurzelt und weit über die Parteigrenzen hinaus bekannt.

Freilich kann Rathauschef Heinz Peter Haumann bilanzieren, dass sich seit seinem Amtsantritt 2001 als Bürgermeister und 2003 als Oberbürgermeister in der 74.000-Einwohner-Stadt Gießen "viel getan" hat. So hat die CDU-geführte Regierungskoalition etwa vor Wochenfrist den Weg für das Großkino am Berliner Platz frei gemacht. Das Kulturrathaus ist fertig. Das große Einkaufszentrum "Galerie Neustädter Tor" längst hochgezogen und Gießens zentrale Bushaltestelle am Marktplatz zwischenzeitlich erneuert. Just diese weithin sichtbaren Infrastrukturprojekte gehören weniger zur Oberbürgermeister-Bilanz als zur Bilanz von Haumanns Parteifreund und Baudezernent Thomas Rausch – und waren beziehungsweise sind nicht unumstritten, wie die aktuelle Diskussion um das Großkino zeigt.

Herausforderin Grabe-Bolz hat folgerichtig im Wahlkampf erklärt, dass sie im Falle eines Wahlsiegs die Stadtentwicklung zur »Chefinsache« machen will und CDU-Mann Rausch ein bittersüßes Lob mitgegeben: er sei ein "sehr fleißiger Stadtbaurat", dem es aber an "Visionen" und an "Kommunikationsfähigkeit" fehle. Letzteres habe immer wieder zu unnötigen Streitigkeiten geführt. Die SPD-Politikerin, die seit 2004 SPD-Fraktionsvorsitzende im Stadtparlament ist, will sich denn auch für mehr Bürgerbeteiligung in der Kommunalpolitik stark machen.

Der amtierende OB hat derweil andere Pfunde, mit denen er Wuchern kann, die aber in der Öffentlichkeit weniger bekannt sind. So hat der erfahrene Sozialpolitiker sehr früh in Gießen eine Stelle für eine Integrationsbeauftragte geschaffen, lange bevor das in der CDU zum Thema wurde.

Georg Kronenberg


Express Online: Thema der Woche | 4. Juni 2009

Waisenhaus für Eichhörnchen

Marburger Auffangstation kümmert sich um in Not geratene Nager

Skippi hat es sich in einer kleinen Hängematte gemütlich gemacht. Nur der Kopf des rot-braunen Nagers lugt aus der Fliesdecke, unter der er Nüsse und Mais hortet. Spaziergänger haben das Eichhörnchenbaby vor sieben Wochen schreiend im strömenden Regen gefunden. Jetzt lebt es in der Marburger Eichhörnchen-Auffangstation. Die Biologin Bianca Ludwig hat den Findling mit Katzenaufzuchtmilch wieder aufgepäppelt. Inzwischen knabbert Skippi sogar schon geschälte Haselnüsse und Sonnenblumenkerne. Gemeinsam mit vier weiteren Findlingen turnt sie von Ast zu Ast. Nachts kuscheln sich die Nager alle aneinander. In den nächsten Wochen werden sie ausgewildert. "Wir geben den Tieren eine zweite Chance", erklärt Ludwig.

Die Tierheim-Mitarbeiterin hat die Station vor drei Jahren ehrenamtlich aufgebaut, nachdem sie durch einen Zufall selbst ein Hörnchen aufziehen musste. Heute nimmt sie verletzte, aus dem Kobel gefallene und allein gelassene Eichhörnchen-Kinder aus ganz Nord- und Mittelhessen auf. Weitere hessische Stationen des Eichhörnchen-Notrufs gibt es in Gründau, Obermörlen und Rüsselsheim.

Bianca Ludwig ist fasziniert von den unter Schutz stehenden Wildtieren, die ihre Milchspritze wie Menschenkinder halten. Jedes Jahr rettet sie mit ihrer ehrenamtlichen Arbeit 20 bis 30 Findelkindern das Leben. Viele haben ihre Mutter durch Baumfällarbeiten oder Räuber verloren. Wenn sie richtig ausgehungert sind, laufen sie sogar Menschen hinterher und klettern an ihren Beinen hoch: "Das ist ein absoluter Hilferuf", sagt die Biologin. Vor Tollwut müsse man aber keine Angst haben. Wer ein kleines Eichhörnchen findet, darf es entgegen der landläufigen Meinung anfassen. Die Mutter wird es deswegen nicht ablehnen. Wenn die Mutter es nicht zurückholt, sollten die Jungtiere mit Wärmflaschen und Handtüchern gewärmt werden.

Viele sind völlig unterernährt, unterkühlt oder verletzt, wenn sie bei Bianca Ludwig landen. So lange sie noch Milch trinken, ist die Marburgerin fast rund um die Uhr gefordert. Alle drei bis vier Stunden, zum Teil sogar stündlich, flößt sie ihnen mit einer Spritze Nahrung ein. Eingemummelt auf einem Heizkissen kommen sie langsam zu Kräften.

Bis zum Alter von acht Wochen sind die possierlichen Tiere handzahm und brauchen die Nähe ihrer Ziehmutter, von der sie sich gern streicheln lassen. Als Haustiere sind sie dennoch völlig ungeeignet, betont die Biologin: "Man kann sie einfach nicht artgerecht halten." Schließlich haben sie in der Natur ein Revier von zwei bis fünf Hektar. Wenn sie Käfigen leben – laut Gesetz sind sechs Quadratmeter ausreichend -, werden sie oft hyperaktiv, apathisch oder laufen ständig am Gitter hin und her. Langfristig müsse dies verboten werden, fordert die Expertin.

Deswegen kommen die Jungtiere nach der in Ludwigs Wohnung eingerichteten "Baby-Station" in ein Auswilderungsgehege am Marburger Ortenberg. Dort gewöhnt sich die acht Wochen alte Frieda gemeinsam mit acht Artgenossen an die Temperaturen und die Geräusche der freien Natur. Sie wurde vor einigen Wochen auf einem Firmengelände neben einem toten Geschwisterchen entdeckt. Noch kommt sie zum Schlafen und Futtern in das Auswilderungsgehege, das durch eine Klappe freien Ausgang sichert. Kuscheln mit Bianca Ludwig ist allerdings schon nicht mehr angesagt. Wie lange es dauern wird, bis Frieda das Gehege vollends gegen die Baumwipfel im angrenzenden Wald tauscht, weiß Ludwig nicht: "Manchmal sind sie nach zwei Tagen weg. Manchmal dauert es auch Wochen."

Der Eichhörnchen-Notruf ist rund um die Uhr unter Tel. 0700-463762436 erreichbar. Weitere Informationen: www.eichhoernchen-notruf.de

Gesa Coordes

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