Express Online: Thema der Woche | 6. November 2008

Schuhabdruck im Gesicht

Elf Jahre Haft für Haupttäter: Vier junge Leute prügelten einen 22-Jährigen fast tot

Das Opfer war im Gerichtssaal nur auf Video präsent. Der 22-jährige kann sich heute kaum mehr bewegen, kaum sprechen und ist voll pflegebedürftig. Dass der junge Mann aus Frankenberg die massiven Misshandlungen überhaupt überlebt hat, grenzt für die Staatsanwaltschaft an ein Wunder. Während die Bilder des heute vollkommen hilflosen, mageren Mannes über den Bildschirm des Gerichtssaals flimmern, starren zwei seiner Peiniger stur geradeaus. Die angeklagten Frauen beginnen zu weinen.

Weil sie den 22-Jährigen fast zu Tode geprügelt haben, hat das Marburger Landgericht den 20-jährigen Haupttäter zu elf Jahre Haft verurteilt. Richter Thomas Wolf bezeichnete ihn als einen Menschen, "von dem man fast nichts anderes sagen kann, als das er böse ist". Für die beiden Frauen hat das Gericht die Unterbringung in einer Psychiatrischen Klinik angeordnet. Die 17 und 22 Jahre alten Frauen leiden unter einer Borderline-Störung – die Ältere ist daher schuldunfähig, die Jüngere nur vermindert schuldfähig. Bis sie wieder in Freiheit kommen, kann es aber viele Jahre dauern, betonte Wolf. Das Verfahren gegen den vierten Angeklagten, der die Taten nicht gestand, wurde abgetrennt.

Scheinbar ungerührt nahm der 20-jährige das Urteil auf. Er hat bereits sechs einschlägige Vorstrafen und im Gefängnis erneut einem Mithäftling auf den Kopf geschlagen. Zudem habe er die seelisch kranken Frauen erst zum "richtigen" Treten angeleitet, erklärte das Gericht. Sein Anwalt betonte jedoch, dass er die Tat bereue.

Den Grund für den Gewaltexzess konnte das Gericht auch an vier Verhandlungstagen nicht wirklich klären. Staatsanwältin Yvonne Vockert sprach von einer "Faszination der Gewalt". Die Vier hätten sich nach einer Eifersüchtelei in Rage geredet. Und der 22-Jährige war offenbar das "perfekte Opfer". "Klein und schwach, wie er innerlich und äußerlich war", so Wolf, konnte er sich nicht gegen die Angreifer wehren, die ihn mit Schlägen traktierten. Und sie wendeten die Gewalt "absolut professionell" an, wie Staatsanwältin Vockert formulierte. Sie setzten den nur 50 Kilogramm schweren Mann immer wieder auf einen Stuhl, um besser auf ihn einprügeln zu können. Sie traten mit dem seitlichen Schaft zu wie Fußballspieler. Sie schlugen mit Glasflaschen auf seinen Kopf. Und als er schließlich wimmernd am Boden lag, übten sie das "Bordsteinkicken". Dazu sprangen sie abwechselnd auf seinen Kopf. Erst, als sie ihr Opfer für hirntot hielten, ließen sie von dem 22-Jährigen ab. Und weil der 20-Jährige keine Leiche in der Wohnung haben wollte, schleppten sie ihn huckepack über die Bahngleise bis zum Parkplatz des Frankenberger Landratsamtes. Dort alarmierten sie anonym den Rettungsdienst. Nur deshalb wurden sie nicht wegen versuchten Mordes angeklagt. Auf dem Gesicht des Schwerstverletzten fanden die Sanitäter den Abdruck einer Schuhsohle.

Gerettet wurde das Opfer nur, weil es draußen minus fünf Grad kalt war. Dadurch wurde der Kreislauf des 22-Jährigen so verzögert, dass er die schweren Hirnblutungen nach mehreren Operationen überlebte. Zwei Wochen lang kämpfte er mit dem Tod. Bis heute ist er halbseitig gelähmt und kann sich nur mit viel Hilfe im Rollstuhl fortbewegen. "Das ist ein Martyrium", sagte der Vertreter der Nebenklage, Frank Zimmermann. Sein Überleben sei ein "bitteres Wunder um den Preis des lebenslangen Siechtums", urteilte der Richter. So absurd es sei, sagte Wolf: "Man möchte einem solchen jungen Menschen fast wünschen, dass er doch gestorben wäre."

Gesa Coordes

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