Express Online: Thema der Woche | 30. Oktober 2008

Knoten geplatzt

Gießens Bundesliga-Basketballer sind vorerst an der Pleite vorbeigeschrammt – und haben endlich auch ihre erstes Spiel in der Saison gewonnen

In einer eigens anberaumten Pressekonferenz in der Sporthalle Gießen-Ost gab Christoph Syring, Geschäftsführer des sich seit längerem in Schieflage befindenden Basketball-Bundesligisten Entwarnung: Der Klub habe durch konzertierte Hilfe der Gesellschafter, von Sponsoren und Privatpersonen sowie das großzügige Entgegenkommen von Gläubigern die drohende Insolvenz abgewendet. "Die Zahlungsfähigkeit der LTi 46ers konnte unter Zuhilfenahme aller Hände, die sich uns entgegen gestreckt haben, nachhaltig gesichert werden", sagte Syring.

Insgesamt konnte ein Rettungspaket aus Euro 230.000 neuen Geldern und 150.000 Euro Darlehen beziehungsweise bindenden Darlehenszusagen geschnürt werden. Gläubiger verzichteten auf über 100.000 Euro ihrer Forderungen – teilweise wurden diese mit neuen Sponsoringpaketen verrechnet.

Unser Dank gilt allen Unterstützern, zu vorderst unseren Exklusiv- und Premiumpartnern, aber auch der überraschend großen Anzahl an mittleren kleineren Sponsorpartnern, die insgesamt eine nicht für möglich gehaltene finanzielle Unterstützung gaben oder halfen, diese zu mobilisieren", unterstrich Syring.

Der 43-jährige Diplom-Kaufmann richtete seine Dankesworte auch an jene Geschäftspartner, die durch ihre Forderungsverzichte die Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit in wesentlichem Maße mit ermöglicht hätten. Auch für den Moment geltende Zahlungsstundungen hätten sehr weiter geholfen.

Syring warnte davor, die Abwendung der Insolvenz mit dem vollständigen Erfolg des immer noch anhaltenden Sanierungsprozesses zu verwechseln. "Man braucht nicht zu glauben, dass wir uns jetzt auf einmal im Schlaraffenland befinden. Mit der Abwendung der Insolvenz ist ein erster großer und wichtiger Schritt erreicht", so Syring.

Unternehmenssanierungen seien nicht eine Frage von Wochen, sondern von Monaten bis hin zu Jahren. Die Sanierung des Klubs werde eher in der nächsten als in der jetzt laufenden Saison abgeschlossen sein. Jetzt habe man jedoch die nötige Ruhe, um an die nächsten unternehmerischen Aufgaben heran zu gehen.

Der Geschäftsführer der 46ers betonte, dass weiter konsequent daran gearbeitet werde, dass sich die 46ers zu einem effektiven, nach klaren kaufmännischen Regeln handelnden Unternehmen entwickeln: "Diejenigen, die uns ihr Geld zur Verfügung gestellt haben, haben ein Anrecht darauf, das diese Mittel effizient eingesetzt werden."

Erheblicher Aufwand sei auch auf einem anderen Feld zu leisten. "Ein Schwerpunkt meiner Aufgabe bei den LTi 46ers wird ab jetzt darin bestehen, dass der Klub das verloren gegangene Vertrauen bei unseren Sponsoren, Geschäftspartnern und auch unseren Fans zurück gewinnt."

Auch den Imageschaden, den der Bundesligist von der Lahn der Basketball-Bundesliga (BBL) zugefügt habe, ließ der gebürtige Frankfurter in seinen Ausführungen nicht unerwähnt. "Wir sind uns dieses Schadens, den wir verursacht haben, bewusst und werden unseren Teil dazu beitragen, diesen Schaden so gut es geht zu beheben", so Syring.

Das erste gewonnene Saisonspiel bezeichnete der Geschäftsführer als einen fantastischen Erfolg, der zu keinem besseren Zeitpunkt hätte kommen können. Ein volles Haus, eine tolle Stimmung und eine Dramaturgie mit dem Quäntchen Glück des Tüchtigen auf unserer Seite seien das richtige Signal zum richtigen Zeitpunkt gewesen. Syring bedankte sich bei der Mannschaft, aber besonders auch bei den Fans, die bei dem 70:67-Erfolg genau der sprichwörtliche sechste Mann gewesen seien, den das 46ers-Team gebraucht habe. "Natürlich brauchen wir die Eintrittsgelder für die Sanierung, aber vor allem braucht unsere Mannschaft Eure emotionale Unterstützung."

pe/kro


Express Online: Thema der Woche | 30. Oktober 2008

Finanzkrisen-Guantanamo auf der Bühne

Mit der "Waggonhalle Produktion No.6: Erreger" inszeniert der Regisseur Steffen Schmidt mit dem Schauspieler Nisse Kreysing einen Theatermonolog von Albert Ostermaier und bringen ein Stück auf die Bühne, dass sich um den Fall eines Börsenmaklers dreht. Das Sezieren einer Bankerseele.

Nach "Der Auftrag", (Publikumspreises des Open-Stage -Wettbewerbs freier Produktionen im Schauspielfrankfurt 2006) und "Indien" (2006) ist "Erreger" die dritte Theaterarbeit von Steffen Schmidt und Nisse Kreysing.Fragen an die beiden Theatermacher.

Express: Worum geht es in dem Stück von Ostermaier?
Kreysing: "Erreger" spielt mit dem alltäglichen Wahnsinn der Finanzgeschäfte, der Geldmacher und deren Abgründe.Ein Börsenmakler, der sich in einem hermetisch abgeriegelten Zimmer wiederfindet. Ein Trader in Quarantäne.
Schmidt: Es geht um ein persönliches Schicksal, nicht so sehr um das "System" oder irgendwelchen theoretischen Quatsch. Absoluter Ausnahmezustand. Ein Trader am Abgrund unternimmt den Versuch, Erklärungen für sein Desaster zu suchen, seinen Körpern zu spüren, sich wieder zu finden. Eigentlich ist dieser Typ isoliert von sich selbst.

Express: Isolation und Quarantäne mit der Folge von Realitätsverlust, wie er gegenwärtig einigen Kapitänen der Finanzwelt unterstellt wird?
Schmidt: Genau, der Trader in Ostermaiers Stück verkörpert eine Isolation und Quarantäne, in der sich die Abspaltung der Turbogeldmaschinerien von den realen Lebensbedingungen der Menschen gut ablesen lässt. Alles ist in Zahlen übersetzbar, in ihrer hochmütigen Arroganz versteht sich die Börsenwelt als DNS der Gesellschaft, die man zu entschlüsseln wissen muss und die letztendlich das Leben pervertiert.

Express: Kein Mitleid, keine Erlösung?
Kreysing: Nein, eher die Welt der Börsen als Vernichtungskampf der größtmöglichen Menschenferne und Orientierungslosigkeit. "Wenn man die Währung eines Landes abschlachtet sieht man die Jungs mit geweiteten blutunterlaufenen Augen vor den Börsennachrichten, wie sie sich mit Macheten die Hälse durchschneiden."
Schmidt: Seine Worte sind eine Art Kriegsberichterstattung, eine langsame Demontage des Ichs, um es wieder neu zusammensetzen. Es geht aber auch um Erdung. Du ziehst die Schuhe aus und läufst aus der Stadt, die Straße, der Asphalt, dann vielleicht Kieselsteine und endlich Waldboden. Die Füße bluten, kalte Erde. So in etwa. Keine wirkliche Erlösung, die halte ich für unrealistisch.

Express: Was sind die Fragen, die das Stück aufwirft?
Schmidt: Wie kommt der Typ in diese unangenehme Situation? Wie fühlt sich das an: mit blutigen Füße auf dem Waldboden laufen?

Express: Was werden die Zuschauer erleben?
Schmidt: Zunächst einmal werden Sie Zeugen einer dramatischen und mitreißenden Geschichte. Das war mir ganz wichtig – Zeit für Geschichte, Zeit für Emotionen, Zeit für Etablierung einer authentischen Situation. Es geht mehr um Erleben, als um Verstehen – die sinnliche Erfahrung und Wahrnehmung eines Körpers, der sich seine Seele zurück holt.
Kreysing: Unser Regieassistent findet das Stück übrigens abstoßend ...
Schmidt: Aber auch interessant!

Express: Was war Euch besonders wichtig?
Schmidt: Der Text an sich. Die Rhythmik, die Poesie und Kraft der Sprache, des Sprachflusses, der Bilder. Die Körperlichkeit und Sinnlichkeit des Textes.
Kreysing: Da er ohne Punkt und Komma geschrieben ist, muss man ihn erst entschlüsseln.
Schmidt: Auch die Musik ist wichtig, die ich mit Clemenz Korn (smood&cornsen) entwickelt habe. Diese funktioniert wie ein Bühnenbild. Es geht um die Definition und Emotionalisierung des Raumes, in dem wir uns für die Dauer des Stückes befinden, die Musik unterstützt die Sinnlichkeit – und nicht zuletzt geht es darum, die Rhythmik und Dynamik der Sprache zu unterstützen.

Express: Wie ist die Arbeit der Inszenierung gelaufen?
Kreysing: Es ist für mich das intensivste Stück, das ich bisher geprobt habe. Es ging uns oft darum Grenzen auszuloten, psychisch wie körperlich. Da wir uns gut kennen, kokettiert man schnell damit, diese Grenzen auch zu überschreiten.
Schmidt: Ich kann Nisse nur zustimmen – das ist schon sehr besonders, sehr intim, sehr ehrlich. Da steckt schon viel persönlicher Wahnsinn drin. Manchmal schnürt es einem die Kehle zu, manchmal fließen Tränen oder es gibt blaue Flecken. Aber das meine ich mit Körperlichkeit.

Waggonhalle Produktion No.6: Erreger: Premiere Do 30.10., Fr 31.10. & Sa 1.11., So 2.11., 20 Uhr

Interview: Thomas Gebauer

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