Express Online: Thema der Woche | 21. August 2008

China Town an der Uni

Deutschland im Trend: Chinesen sind inzwischen die größte Gruppe ausländischer Studierender an deutschen Hochschulen.

Von China Town an der Universität zu sprechen, kommt Deutschlehrerin Lan Diao nur ein bisschen übertrieben vor. Schließlich hocken ihre Landsleute nicht nur in Vorlesungen, Arbeitsgruppen und den Küchen der Studentenwohnheime beisammen. Sie haben auch ihre eigenen Tischtennis-, Federball- und Fußballclubs, die gegen chinesische Mannschaften aus anderen Hochschulen spielen. Dafür sieht man sie in Kneipen, Café und Kinos praktisch nicht.

Dabei bilden die Chinesen inzwischen die größte Gruppe ausländischer Studierender an deutschen Hochschulen. Seit 2002, als China die Grenzen weiter öffnete, studieren immer mehr Hochschüler aus dem fernöstlichen Land im Ausland. Und dabei wird Deutschland immer beliebter – auch, weil es billiger als die USA oder Großbritannien ist. 2005 kamen bereits mehr als 27 000. Allein in Marburg leben 300 chinesische Gaststudierende, die drei eigene Vereine haben.

Im Unterschied zu ihren Landsleuten beherrschte Lan Diao die Sprache bereits hervorragend, als sie vor vier Jahren nach Marburg kam. Die ausgebildete Deutschlehrerin betreute eine Gruppe von chinesischen Studierenden. Und sie wunderte sie sich über die Schwierigkeiten der chinesischen Hochschüler, in Deutschland zurecht zu kommen. Um dem Phänomen auf die Spur zu kommen, startete sie ein Promotionsprojekt zum Thema: "Ich wollte wissen, woran es liegt", sagt die 30-Jährige.

Erstes Ergebnis der noch nicht abgeschlossenen Arbeit: Etwa 85 Prozent der Gaststudierenden aus China bewegen sich nur in chinesischen Kreisen und haben kaum Kontakt zu deutschen Kommilitonen. In Seminaren melden sie sich sehr selten zu Wort. Dafür haben sie eigene Internetseiten, auf denen sie sich über Veranstaltungen für Chinesen informieren, Prüfungserfahrungen austauschen und über Heimweh sprechen.

Einen wichtigen Grund sieht Lan Diao in den überraschend schlechten Deutschkenntnissen. Fast alle müssen chinesische Fachliteratur zu Rate ziehen, um den Unterrichtsstoff zu verstehen. Dabei sprechen sie oft relativ gut deutsch, wenn sie ihre Sprachprüfung am Anfang des Studiums ablegen, weiß der Leiter des Marburger Referats für ausländische Studierende, Kurt Bunke. Wenn sie am Ende ihres Deutschlandaufenthalts Examen machen wollen, hat sich ihr Deutsch indes deutlich verschlechtert. "Da schlägt der Ghetto-Effekt zu", sagt Bunke, der dieses Phänomen aber auch bei US-Amerikanern beobachtet.

Freilich trauen sich die chinesischen Studierenden offenbar nur selten, einfach einmal drauf los zu plappern. Und es gibt tatsächlich eine Reihe von kulturellen Unterschieden, die Kontakte zwischen Chinesen und Deutschen erschweren, erklärt Diao. Die Studierenden aus dem fernen Osten essen in der Regel schon um 18 Uhr zu Abend. Obgleich sie in ihrer Heimat zu den Wohlhabenden zählen, müssen sie in Deutschland sehr sparsam leben. Sie verabreden sich daher ungern in einer Kneipe oder einem Café. Gekocht wird fast immer selbst. Die meisten müssen viel jobben, um sich das Studium zu finanzieren. Zudem nutzen sie ihre Freizeit zum Lernen, weil sie das Studium so schnell wie möglich abschließen wollen. Und gegen 22 Uhr, wenn viele studentische Feten erst richtig anfangen, gehen die chinesischen Kommilitonen ins Bett.

Natürlich gilt dies nicht für alle chinesischen Gaststudierenden. Ein kleiner Teil versucht, sich stark in den deutschen Alltag zu integrieren. Manche von ihnen reagieren sogar regelrecht allergisch auf ihre Landsleute, hat Diao beobachtet.

Immerhin: Von direkten Konflikten zwischen chinesischen Studierenden und ihren deutschen Kommilitonen und Professoren berichtet fast niemand der Interviewten. Aber es kommt öfter vor, dass Kontakte gleich ganz vermieden werden, sagt Diao.

Um das Problem anzugehen, empfiehlt sie studienbegleitende Kurse, die Raum zur Selbstreflexion geben. Erklärt werden sollten die Unterschiede der Universitätssysteme. Thematisiert werden müssten die sprachlichen Hürden von Hausarbeiten, Klausuren und E-Mails an Lehrende. Und ihren Landsleuten empfiehlt sie: "Sie sollten sich weniger absondern."

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