Express Online: Thema der Woche | 3. Juli 2008

Die Côte d'Azur liegt an der Lahn

So schön war die Zeit: Nachttanzdemo in Memoriam der Proteste gegen Studiengebühren am 4. Juli

Erinnern wir uns an Frankreich im Frühjahr 2006 – ein Gesetz, das den Kündigungsschutz für Berufseinsteiger abschaffen sollte, führt zu massiven Demonstrationen, Blockaden und Besetzungen durch zehntausende Schüler, Studenten und Berufstätige. Nach 3 Monaten offenem Aufruhr wird das bereits beschlossene Gesetz zurückgenommen. Im März desselben Jahres werden die Pläne Roland Kochs ruchbar allgemeine Studiengebühren in Hessen einzuführen. Die Hessen reagieren mit Demonstrationen, Blockaden und Besetzungen. In Gießen unter anderem mit der größten Demonstration seit Studentengedenken, der mittlerweile legendären "KILL BILLdung" mit nahezu 8000 Teilnehmern.

Trotz des Widerstandes werden allgemeine Studienbeiträge dann doch eingeführt, ab dem Wintersemester 2007/2008 mussten alle Studierenden in Hessen mindestens 500 Euro zahlen. Für viele Studierende war das der berühmte Tropfen, der das Fass zum überlaufen brachte. So mancher Lebensentwurf wurde so gewaltsam verunmöglicht, der der meisten Studierenden nur noch komplizierter. Damit war sie da: die Frankreich-Situation. Hier ein beschlossenes Gesetz, da die Bürger, die es nicht wollten. Trotz der scheinbaren Aussichtslosigkeit wollten sie: "nicht mit der Scheiße aufhören bis die Scheiße aufhört", und haben gekämpft. Ob Demo, Verfassungsklage, Boykott oder bürokratische Sabotage, alle friedlichen Mittel waren recht – und haben letztendlich zum Erfolg geführt. Hessen hat "es gekickt wie Frankreich". Ein bestehendes Gesetz wurde durch den Druck der Betroffenen wieder zurückgenommen. Die Côte d'Azur liegt an der Lahn.

Viele haben Hoffnung geschöpft, das sich die bestehenden Verhältnisse mit den Mitteln des Protestes ändern lassen. Grund genug für das unabhängige und überparteiliche Protest-Plenum-Gießen, mit Unterstützung beider Gießener Asten, den DGB-Gewerkschaften, attac und dem Gießener Nachtleben zu einer großen, gemeinsamen Demonstration aufzurufen – pünktlich zum Ende des letzten gebührenpflichtigen Semesters soll der öffentliche Raum ohne Konsumzwang und Schikanen genutzt werden um zu tanzen, und die Befreiung zu zelebrieren ...

Die Nachttanzdemo beginnt mit einer musikalischen Kundgebung um 20 Uhr am Kirchplatz, ab 21 Uhr tanzt Gießen zu Musik von "Under the Ground", "DJ Jimmy", "Mammut Freshest", "Hörfunk", dem "Gießener Jam-Projekt" und anderen auf dem Anlagenring dem Sonnenuntergang entgegen. Nach dem Abschluss der Demonstration geht es in den aufrufenden Clubs MUK, Scarabée, Enjoy, Domizil, Sowieso und Café Amélie weiter zur Sache, wobei für jeden Musikgeschmack etwas dabei ist. Wer nicht tanzt, kann also nur verloren haben.

av

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