Express Online: Thema der Woche | 5. Juni 2008

Marburgs neue Mitte ist trocken

Nach dem Auslaufen des Alkoholverbots in Marburgs Mitte setzt die Stadt wieder verstärkt auf Kontrollen

Vier Monate lang waren öffentliche Saufgelage in Marburgs neuer Mitte tabu. Auf den Straßen rund um den Elisabeth-Blochmann-Platz durfte nach 18 Uhr niemand mehr eine Bierflasche an den Hals setzen. Damit ist Marburg die erste Kommune in Hessen, die Erfahrungen mit einem öffentlichen Alkoholverbot sammelt.

Es hat sofort gewirkt", freut sich Regina Linda vom Marburger Ordnungsamt: "Die Situation hat sich extrem beruhigt". Die Szene habe sich auch nicht in die Oberstadt oder andere Stadtteile verlagert.

Trotzdem ist das probeweise eingeführte Alkoholverbot Anfang Mai wieder abgeschafft worden. Das hängt nicht nur damit zusammen, dass die dauerhafte Einführung rechtliche Probleme aufwirft. Oberbürgermeister Egon Vaupel (SPD) sieht in einem Verbot auch nur das "letzte Mittel". Inzwischen sei die Gruppendynamik unter den Jugendlichen gestört und eine öffentliche Diskussion angestoßen worden. Nun wolle die Stadt ausprobieren, ob verstärkte Kontrollen reichen. Allerdings müsse das Problem noch einmal neu durchdacht werden, sollten öffentlich saufende Jugendliche im Sommer wieder an der Tagesordnung sein.

Das sieht man in der zweiten deutschen Universitätsstadt, in der kürzlich ein Alkoholverbot eingeführt wurde, anders. In Freiburg ist das öffentliche Trinken seit Anfang Januar in einem Teil der Altstadt, dem so genannten Bermuda-Dreieck, verboten. Wenn es sich bewährt, soll es aber bleiben, sagt Stadtsprecherin Petra Zinthäfner. Nach dem ersten Eindruck hat die Zahl der Schlägereien und Sachbeschädigungen im Freiburger Kneipenviertel abgenommen: "Es ist merklich ruhiger geworden", sagt Zinthäfner. Auch eine Verlagerung der Szene sei bislang nicht festgestellt worden. Man müsse aber noch die wärmere Jahreszeit abwarten, um eine Bilanz ziehen zu können.

Hintergrund für das Alkoholverbot in beiden Städten sind trinkende junge Leute. Allerdings sorgten in Freiburg vor allem junge Erwachsene für eine drastisch gestiegene Zahl von Gewaltdelikten. In Marburg geht das Gros der auffälligen Trinker noch zur Schule. "Wir wollten nicht mehr zuschauen, wie sich Kinder mit Wodkaflaschen bis zur Bewusstlosigkeit betrinken", erklärt Linda.

Die "Partymeile" vom Kino über die Mensa bis zum Erlenring entstand, nachdem Einkaufsmärkte in der Nähe bis 24 Uhr öffneten. An Wochenenden trafen sich mitunter mehr als 100 krakeelende junge Leute – meist aus gutbürgerlichen Verhältnissen. Sie pöbelten Passanten an, rissen Betonbänke aus ihrer Verankerung und zettelten Schlägereien an. Kontrollen in den Geschäften zeigten, dass kein Alkohol an Jugendliche verkauft wurde – offenbar kauften Ältere für die Minderjährigen ein. Auch Briefe an die Eltern nützten nichts.

Inzwischen hat Oberbürgermeister Egon Vaupel viele Gespräche mit Schülern und Jugendeinrichtungen geführt. Die Saufgelage erklärt er sich vor allem mit dem großen Druck, dem die Jugendlichen heute in Schule und Elternhaus ausgesetzt seien. Sie hätten eine 50- bis 60-Stunden-Woche. "Mit dem Trinken schaffen sie sich Freiraum", meint Vaupel. Nach den Erfahrungen der Stadt sei der Alkoholmissbrauch unter den Schülern nicht mit Jugendarbeit zu verhindern. Zur Prävention empfiehlt Vaupel, die verkürzte Gymnasialzeit wieder abzuschaffen.

Gesa Coordes


Express Online: Thema der Woche | 5. Juni 2008

Ein Stadtteil wird geboren

Wie gestaltet man aus einem Ex-Militärgelände familienfreundlichen Wohnraum? Nach dem Abzug der US-Soldaten stehen in Gießens Norden umwälzende Veränderungen an

Passivhäuser mit Solardächern, ein Car-Sharing Parkplatz, gemeinsame Gärten, bunte Häuser mit Aufzügen, rollstuhlgerechte Eingänge und Wohnungen, ein kleiner Park, ein Super-Markt, in dem fast nur Menschen mit einem Handicap arbeiten -- so ähnlich stellen sich viele Gießenerinnen und Gießener den neuen Stadtteil in Gießens Nordosten vor. Nachdem die US-Soldaten weg sind, sollen in deren Wohnungen Studentische Wohngemeinschaften, generationsübergreifenende Hausgemeinschaften, Genossenschaftler, Eigentümer oder Mieter einziehen.

Das sind die Vorstellungen, die sich in zwei gut besuchten Veranstaltungen des Gießener Bündnis für Familie herauskristallisiert haben. Während sich die Parteien in der Stadt noch streiten, wer den nun das Gelände kaufen darf, hat sich der Arbeitskreis Wohnen und Verkehr des Gießener Bündnis für Familie darangemacht, gemeinsam mit der Bevölkerung darüber zu reden, wie der neu entstehende Stadtteil familienfreundlich und lebenswert gestaltet werden kann.

Es geht um die beiden US-Wohnsiedlungen an der Grünberger Straße und der Rödgener Straße, freie Flächen des US-Supermarktes und des ehemaligen Motorpools. 180 größere Wohnungen in der Dulles-Siedlung, 380 Wohnungen in der Marshall-Siedlung und 60 Appartements in der Rödgener Straße sowie die ehemalige Zahnklinik im Edlef-Köppen Weg. Dazu kommt ein Kino, eine Kirche, der Woodland- und der Alpine Club, das Keller-Theater sowie die Miller-Hall – viele Flächen für Kultur, aber auch Gewerbeflächen hinter der US-Supermarkt, eine Tankstelle sowie Schulen und Kindereinrichtungen.

Ging es auf der ersten Veranstaltung vor allem um ein umfassende Information, stehen nunmehr konkrete Projekte zur Diskussion. Wie können die Häuser für generationsübergreifendes Wohnen umgebaut werden und wer kann und will dort leben? Wie können gemeinschaftliche Wohnformen organisiert aber auch finanziert werden? Wie kann Barrierefreiheit für Groß und Klein hergestellt werden oder wie muss das Umfeld gestaltet werden, damit ein attraktiver Stadtteil entsteht.

Auf dem kommenden Treffen wird über das Modell "Mietshäusersyndikat" berichtet und die Finanzierung von Wohnungen über Genossenschaften vorgestellt.

Geplant ist auch, das sich erste Projektgruppen bilden, die ihre Vorstellungen zusammentragen und vielleicht schon die Keimzellen von Hausgemeinschaften sind.

Die Treffen finden immer im ZIBB im Wohnprojekt Pendleton-Barracks statt. Diese Kaserne war schon vor über 10 Jahren modellhaft umgebaut worden. Die nächste Veranstaltung ist am 12. Juni um 20 Uhr. Nach den Ferien geht es am 21. August ebenfalls im ZIBB in der Hannah-Arendt-Straße 8 in weiter. Infos: www.wohnprojekte-giessen.de

pe/kro

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