Express Online: Thema der Woche | 22. Mai 2008

Tierquäler auf der Autobahn

Mehr als jeder zweite Tiertransport auf Mittelhessens Straßen wurde 2007 beanstandet. Um Tierquälern das Handwerk zu legen, stehen eine Tierärztin und ein Polizeikommissar jede Woche eine Nacht an der Autobahn.

Manchmal flüchtet sich Polizeihauptkommissar Gerhold Bunge in Galgenhumor: "Am Ende kommt alles in die Wurscht", sagt der 48-jährige Experte für Tiertransporte bei der Butzbacher Autobahnpolizei. Dabei deutet er auf das Foto des Schweins mit dem kindskopfgroßen Abszess am Bein und das totkranke Pferd, das schon liegend in den Transporter von Polen nach Frankreich gesteckt wurde. Das habe auch ihm zeitweise jeden Appetit auf Fleisch verdorben.

Um Tierquälern das Handwerk zu legen, steht Bunge jede Woche eine Nacht gemeinsam mit Tierärztin Claudia Eggert an den Autobahnen rund um Gießen. Schon von Ferne erkennen sie die großen Transporter mit den charakteristischen Luken und den grinsenden Tiergesichtern an den Lkw-Wänden. In den meisten Fällen sind Bullen, Kälber oder Schweine auf dem Weg zum Schlachthof – nicht den nächsten in der Umgebung, sondern den, der die besten Preise für die Tiere zahlt.

Gleich der erste Fahrer hat gravierend gegen Tierschutzbestimmungen verstoßen. Ein Teil der 33 Bullen aus dem Emsland, die in zwei Stockwerken auf Zugmaschine und Anhänger stehen, haben so wenig Platz, dass sich ihre Rücken an der Decke verletzen. Ängstlich schauen sie ins grelle Licht der Kontrolleure. In diesem Fall reicht es, die Zwischendecke hoch zu setzen. Doch den Transporteur wird der Fehler etwa 1200 Euro kosten.

Ob die verletzten Hinterbeine der Rinder im nächsten Viehlaster tatsächlich mit den scharfen Kanten an den Luken zu tun hat, vermag die Tierärztin nicht zu sagen. Behände klettert sie bis in vier Meter Höhe an der Lkw-Wand empor und leuchtet mit der Taschenlampe ins Innere. Dabei muss sie ihre Hände gut vor den Hufen schützen. Schweine schnappen auch gern einmal nach ihr. Unruhig trampeln die Schlachtbullen im Hänger: "Heute haben wir nervöse Tiere", behauptet der Fahrer. Claudia Eggert belässt es in diesem Fall bei einer Verwarnung.

Ohne Bußgeld kommt der Geflügeltransporteur davon, der knapp 1000 Puten geladen hat. Aus der Sicht des Tierschutzes ist alles in Ordnung. Der Fahrer hat nur die aktuelle EU-Transportzulassung vergessen.

Die Viehhändler fahren am liebsten nachts, weil sie glauben, dass sie dann seltener erwischt werden, erzählt die amtliche Tierärztin vom Gießener Kreis-Veterinäramt. Tagsüber sind dann nur die leeren Laster zu sehen. Eggert hat die Kontrollen daher schon vor Jahren auf die Zeit nach 21 Uhr verlegt. Anfangs gab es noch bei fast jedem Viehlaster Beanstandungen: Kranke, geschwächte oder kaum mit Futter und Wasser versorgte Tiere, überladene oder zu hohe Transporte und unzureichende Papiere.

Inzwischen fahren zumindest 40 Prozent der Kontrollierten korrekt. Allerdings haben Bunge und Eggert den Verdacht, dass die Gießener Region inzwischen von Langstrecken-Transporteuren umfahren wird. Sie hätten den Ruf, besonders viel zu kontrollieren, erzählt Eggert.

Manchmal zwingt die Tierärztin die Fahrer auch dazu, ihre Tiere abzuladen. So wie die mehr als 200 Schweine, die von den Niederlanden nach Ungarn geliefert werden sollten. Gleich mehrere von ihnen waren so krank, dass sie sofort getötet werden mussten.

Eine Zwangspause von 24 Stunden verordnete die Veterinärin auch den 230 erst zwei Wochen alten Kälbchen, die ohne Pause von Litauen bis nach Israel durchfahren sollten. Die Tierbabys lassen sich in den Lastern noch nicht einmal richtig tränken, weil sie noch kein Wasser vertragen. "Erstaunlicherweise überleben das viele Kälbchen", sagt die Expertin. Doch auf ihrem weiteren Weg in den Nahen Osten konnte Eggert den Tieren nicht mehr helfen.

Ähnlich ist dies bei den Fahrten nach Russland. Viele Zuchtrinder werden inzwischen in den ehemaligen Ostblock exportiert. Doch die Kontrollen enden meist an der EU-Grenze. Danach können die Tiere auch schon einmal am Transporter festfrieren, weiß Eggert.

Den Grund für die quälenden Fahrten sieht Johannes Maue von der Tierschutzorganisation Animals Angels im Profitdenken. Die Internationale Organisation, die eng mit Polizei und Veterinärämtern zusammenarbeitet, fordert die vollständige Abschaffung von Langstreckentransporten. Doch der Export von Zuchtrindern aus der Europäischen Union in Länder Nordafrikas und nach Russland werde aus Steuermitteln subventioniert, berichtet Maue. Auch durch den Wegfall von Importzöllen würden mehr Kälber über weite Strecken in die EU importiert. Innerhalb Deutschlands lockten höhere Fleischpreise an weiter entfernte Schlachthöfe. Unterwegs gebe es indes viele zu wenig Kontrollen, sagt Maue. Deshalb würden auch nur die verantwortungsbewussten Transporteure für genügend Pausen und ausreichende Versorgung sorgen.

Gesa Coordes

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