Express Online: Thema der Woche | 10. April 2008

Deutschlands WG-Hauptstadt

Rund 35 Prozent der Gießener Studis leben im "Hotel Mama". Die Hochburg der Wohngemeinschaften ist dagegen Marburg.

In der alten Universitätsstadt Marburg wohnen knapp 42 Prozent der Studierenden in einer WG. Dagegen setzen bundesweit nur 25 Prozent auf die Kommune. "Damit sind wir Deutschlands WG-Hauptstadt", sagt der stellvertretende Geschäftsführer des Studentenwerks Hans Emmerich, der die Zahlen aus der aktuellen Sozialerhebung des Studentenwerks ausgewertet hat.

Höchstwahrscheinlich gehe die Vorliebe für das gemeinschaftliche Wohnen noch auf die Studentenbewegung zurück, vermutet Emmerich. Damals seien linke Studierende aus ganz Deutschland nach Marburg gezogen – vorzugsweise in die WG. Schließlich gebe es vor allem in den Altbauten viele größere Wohnungen, die sich oft leichter an die weniger anspruchsvollen Studierenden vermieten lassen. Zudem können mehrere WG-Mitglieder oft mehr zahlen als eine Familie. Freilich ist die Wohngemeinschaft auch für die Hochschüler billiger als eine eigene Wohnung. Bis heute existiert mit dem Bettenhaus sogar ein selbst verwaltetes, aus Wohngemeinschaften zusammengesetztes Wohnheim. Bei den Eltern wohnen indes nur zwölf Prozent der Marburger Hochschüler.

Das ist in Frankfurt, Gießen und Darmstadt völlig anders. Alle drei Städte weisen einen überdurchschnittlichen Anteil von so genannten "Elternwohnern" auf. Rund 35 Prozent sind es in Darmstadt und Gießen. Zumindest unter den männlichen Studierenden Gießens leben sogar noch mehr als 45 Prozent im "Hotel Mama". Dabei liegt der Bundesdurchschnitt bei 23 Prozent. Allerdings hat sich die finanzielle Situation der Gießener Studierenden verschlechtert. Im Vergleich zu 2003 haben sie laut Statistik 36 Euro weniger in der Tasche. Susi Gerisch, Sprecherin des Gießener Studentenwerks, erklärt sich das Phänomen zudem mit dem großen ländlichen Einzugsgebiet: "Hier fahren viele."

Geradezu als Pendleruniversität gilt Frankfurt. Dass dort so viele Studierende noch zu Hause wohnen, liegt aber nicht in erster Linie an der Bequemlichkeit der Hochschüler aus dem Rhein-Main-Gebiet. "Es gibt einen großen Druck auf den Wohnungsmarkt in der Region", erklärt der stellvertretende Geschäftsführer des Frankfurter Studentenwerks, Gerd Zoller: "Die Mieten sind insgesamt sehr hoch." Für viele sind sie unbezahlbar. Mit durchschnittlich 327 Euro für Miete einschließlich Nebenkosten müssen die Studierenden bundesweit nur noch in München und Köln mehr blechen. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 266 Euro. "Wenn es irgendwie geht, bleibt man zu Hause wohnen und pendelt", sagtZoller.

Geht es nach den Mietpreisen, sollten die Studierenden nach Kassel wechseln, wo die Studiosi mit unterdurchschnittlichen 238 Euro pro Monat auskommen. Nach der aktuellen Sozialerhebung weisen die Kasseler Studierenden eine ganz andere Besonderheit auf. Sie sind deutlich häufiger verheiratet (neun Prozent) und haben mehr Nachwuchs. Zehn Prozent von ihnen ziehen neben dem Studium Kinder auf – bundesweit sind es nur 6,6 Prozent. Das liegt nach Einschätzung des Studentenwerks daran, dass die Nordhessen viel häufiger als Studierende anderer Universitäten bereits eine Berufsausbildung hinter sich haben. Jeder dritte hat bereits vor dem Studium einen Beruf gelernt – im Bundesdurchschnitt sind es nur halb so viele. Das Alter der Kasseler liegt mit 25 bis 26 Jahren aber nur wenig höher als im Bundesdurchschnitt.

An den Kinderreichtum der Kasseler kommt keine der übrigen Universitäten Hessens heran. In Gießen haben vier Prozent der Studierenden Nachwuchs, in Darmstadt sind es drei Prozent und in Marburg sogar nur ein Prozent. Allerdings sind die Marburger Hochschüler mit durchschnittlich 23 Jahren auch etwas jünger als ihre Kommilitonen in anderen Städten.

Gesa Coordes

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