Express Online: Thema der Woche | 3. April 2008

"Mit ein bisschen gutem Willen"

Kooperation trägt Früchte: Seit einem Jahr arbeitet das Marburger Herder-Institut mit dem Gießener Uni-Zentrum Östliches Europa intensiv zusammen.

Das hat Modellcharakter", schwärmt der Direktor des Herder-Instituts, Prof. Peter Haslinger: "Die enge Verbindung ist ein Riesengewinn für alle Beteiligten." Mit gemeinsamen Tagungen, Lehrveranstaltungen und Projekten trägt die Kooperation des Marburger Instituts mit dem Gießener Uni-Zentrum bereits Früchte.

Allerdings war die Vorgeschichte äußerst schwierig: Die Universitäten von Gießen und Marburg stritten sich darum, bei wem das vom Land Hessen geplante Zentrum Östliches Europa eröffnet werde. Die Gießener Justus-Liebig-Universität erhielt den Zuschlag. Die Marburger Hochschule musste die Fächer Slawistik und Osteuropäische Geschichte nach Gießen verlagern, obgleich sie das renommierte Herder-Institut mit seinen wertvollen Beständen zu Ostmitteleuropa immer wieder als Argument für den Standort Marburg anführte. Bis heute gibt es in mitunter heftige Kritik an der Entscheidung. Das Herder-Institut selbst mochte sich nicht in den Streit einmischen. Es habe für beide Universitäten Gründe gegeben, meint Haslinger.

Dass die Gießener Universität nun intensiv mit dem Herder-Institut zusammenarbeitet, ist indes auch ein Ergebnis der Zentrenbildung. 2006 wurde ein Kooperationsvertrag zwischen der Einrichtung der Leibniz-Gemeinschaft und der Justus-Liebig-Universität geschlossen. Zentraler Punkt: Der Direktor des Herder-Instituts wird gemeinsam mit der Gießener Hochschule berufen. Er ist Mitglied des Lehrkörpers im Zentrum Östliches Europa, wo er zwei bis vier Semesterwochenstunden lehrt.

Ich bin quasi das Produkt dieser Zusammenarbeit", sagt Haslinger. Der gebürtige Tiroler, der in Wien und Budapest studiert hat sowie an den Universitäten von München, Regensburg und Freiburg arbeitete, ist der erste gemeinsam berufene Professor. Der Osteuropahistoriker hat bereits in der Vergangenheit viel interdisziplinär gearbeitet: "Das ist ein Leibanliegen von mir", sagt der 37-Jährige, der seine Arbeit vor einem Jahr aufgenommen hat.

Rund ein Drittel seiner Zeit verbringt er an der Justus-Liebig-Universität, wo er Vorlesungen über die Geschichte Ostmitteleuropas sowie Seminare über "Transnationale Erinnerungsorte" oder "Raum und Politik in Ostmitteleuropa" hält. Die Gießener Studierenden lockt er zu eintägigen Blockseminaren ins Herder-Institut. Hier können die angehenden Historiker nicht nur mit Originalkarten und Urkunden arbeiten. Sie schulen auch ihre rhetorischen Fähigkeiten, wenn sie vom Pult aus in ein Publikum sprechen. "Wir simulieren eine Tagung mit knallharten Zeitlimits", erklärt Haslinger.

Das Zentrum Östliches Europa mit seinen mehr als 300 Studierenden profitiert von der hervorragenden Bibliothek des Herder-Instituts. Statt wochenlang auf die Fernleihe zu warten, können Studierende und Lehrende in Gießen die Bücher neuerdings innerhalb eines Tages ausleihen. Ein Fahrdienst sorgt für den ungewöhnlichen Service. Nur wer Drucke, Karten, Zeitschriften oder besonders wertvolle Bücher anschauen möchte, muss persönlich in dem Institut auf dem Marburger Schlossberg vorsprechen.

Für Prof. Monika Wingender, geschäftsführende Direktorin des Gießener Zentrums Östliches Europa, sind vor allem die seltenen Sammlungen des Herder-Instituts wichtig. Bei der Forschung über Ostmitteleuropa würden die wertvollen Archivalien dringend gebraucht.

Das Herder-Institut weiß die Anbindung an eine Universität nicht nur wegen der lebendigen Diskussionen mit den Studierenden zu schätzen. Auch die Chancen beim Einwerben von Drittmittelprojekten steigen. So gelang es den Partnern, sich mit einem gemeinsamen Projekt über "Kulturtechniken und ihre Medialisierung" beim Forschungsförderungsprogramm Loewe zu positionieren.In diesem Jahr ist eine gemeinsame Summerschool mit dem Graduiertenzentrum Kulturwissenschaften geplant, das Doktoranden aus der ganzen Welt anlocken soll. Die Kooperation sei "nicht nur eine Zweckgemeinschaft, sondern eine gegenseitige Bereichung", meint Wingender. Auch in der räumlichen Entfernung von 35 Kilometern sehen die Beteiligten kein großes Problem. "Mit ein bisschen gutem Willen" sei dies gut zu überbrücken.

Gesa Coordes

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