1989 machte André Heller mit dem Programm "Begnadete Körper" den Chinesischen Nationalcicus erstmals in Europa bekannt. Seitdem sahen mehr als sechs Millionen Besucher das völkerverbindende Großprojekt. Wurden die Meisterakrobaten zu Beginn in reisenden Zeltpalästen vorgestellt, bezieht man sich in den letzten Jahren wieder auf die Wurzeln der fernöstlichen Artistik und präsentiert den offiziellen Kulturbotschafter der Volksrepublik China unter festen Dächern.
Begnadete Körper sind auch bei der aktuelle Produktion mit den Ausnahmeartisten zu bewundern. "Marco Polo" ist eine Entdeckungsreise durch das Reich der Mitte mit den Augen eines der ersten Europäer, der im Mittelalter fast zwei Jahrzehnte in China verbrachte. Das Land in seiner komplexen Geschichte, Tradition und Fremdheit mit all seinen Geheimnissen erfassbar machen war eine Maxime bei der Entwicklung des neuen Spektakels.
Das Können der chinesischen Meisterakrobaten bedarf keiner Anpreisung. Die Künstlerinnen und Künstler sind konkurrenzlos in ihren Darbietungen und setzen immer wieder unverrückbare Maßstäbe. Zu schier unglaublicher Körperbeherrschung und anmutiger Perfektion gesellen sich farbenprächtige Kostüme und eine raffinierte Bild- und Lichttechnik. Das Ganze ist untermalt von einer stimmungsvollen musikalischen Mischung, interpretiert von Dong Fang, einer der aufregendsten Neo-Traditions-Gruppen Chinas. Erweitert wird die Show mit clownesker Komik "So bekommt der Chinesische Nationalcircus zum ersten Mal eine der positivsten Elemente des europäischen Circus an die Seite gestellt, die klassische Clownerie", berichtet Produzent Raoul Schoregge, der während seiner Lehr- und Wanderjahre selbst als Clown Correggio mit und ohne rote Nase in der Manege vieler Circusunternehmen stand. In der Rolle des Marco Polo schlüpft er selbst ins Kostüm des venezianischen Reisenden. Der kam bekanntlich schon vor 800 Jahren aus den Staunen nicht heraus. Anzunehmen, dass es den Besuchern an einem solchen Abend voller Akrobatik und Poesie, Geschichte und Traum, Körper und Geist genauso ergehen wird.
Minutenlange stehende Ovationen in der vollbesetzten Uniaula und ein Ausgezeichneter, der über die Gründe, die ihm nun doch die Ehrenbürgerschaft eingebracht haben, sinniert: "An meinem Denken und Tun kann es nicht liegen, denn das ist gleich geblieben", sagte der 84-Jährige Horst-Eberhard Richter bei seiner Dankesrede. "Vielleicht macht es mein gestiegenes Alter. Je älter einer wird, umso mehr rührt sich das Gewissen, wenn man ihn unfein behandelt."
Vor vier Jahren hatte der von der SPD initiierte erste Anlauf, Horst-Eberhard Richter zum Ehrenbürger zu machen, für einen blamablen Parteienstreit in der Universitätsstadt und bundesweiteNegativschlagzeilen gesorgt. Nach monatelangen Zwistigkeiten im Stadtparlament stimmten damals nur die Oppositionsfraktionen SPD, Grüne, PDS und Bürgerliste Gießen für die Verleihung der Ehrenbürgerwürde.
Richter fehle "eine breite Unterstützung in der Öffentlichkeit" und "eine gewisse überparteiliche Akzeptanz", urteilte FDP-Fraktionsvorsitzender Harald Scherer im Herbst 2003 in der Begründung der Ablehnung des Ehrenbürgerschafts-Antrags. Wochen zuvor hatte CDU-Stadtverbandsvorsitzender Klaus-Peter Möller noch deutlichere Worte gefunden: Mit seiner pazifistischen Grundhaltung und der Kritik an der US-Regierung wegen des Irak-Kriegs vertrete Richter große Teile der Bevölkerung im "traditionellen Garnisonsstandort" Gießen nicht, so Möller 2003.
Erst die seit der Kommunalwahl 2006 zusammen mit CDU und FDP regierenden Grünen sorgten für Bewegung im bürgerlichen Lager und machten die Ernennung Richters zum Ehrenbürger zu einem Bestandteil der Koalitionsvereinbarung.
Archiv 2007 >> | Archiv 2006 >> | Archiv 2005 >> | Archiv 2004 >> |
Copyright © 2008 by Marbuch Verlag GmbH |