Express Online: Thema der Woche | 15. November 2007

Denken als Spaßfaktor

Info: Mathematikum
Grundlage für das im November 2002 vom damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau eröffnete Mathematikum ist die seit 1994 mit Mathematik-Studenten der Gießener Uni von Albrecht Beutelspacher ständig weiterentwickelte Wanderausstellung "Mathematik zum Anfassen". Sie war in ganz Europa, Kanada und auf dem Weltkongress der Mathematik (Berlin 1998) zu sehen und ist immer noch auf Tour.
Im Jahr 2000 wurde Beutelspacher für sein Engagement zur Popularisierung der Mathematik mit dem Communicator-Preis des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft ausgezeichnet. Das Preisgeld in Höhe von 50.000 Euro steckte der Gießener Mathe-Professor in die Entwicklung des Mitmachmuseums, dessen Ausbau insgesamt 2,6 Millionen Euro kostete. Etwa die Hälfte stellten das Land Hessen und die EU zur Verfügung. Die andere Hälfte stammt von privaten Spendern und Sponsoren aus der Wirtschaft. Das Mathematikum wird von einem gemeinnützigen Verein getragen und finanziert sich eigenständig. Die Stadt Gießen stellt das Gebäude mietfrei zur Verfügung.
2006 zählte das Mathematikum zu den 365 Orten im Land der Ideen. Die Kampagne unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Horst Köhler stellte an jedem Tag des Jahres einen innovativen Ort in Deutschland vor. Infos unter www.mathematikum.de
kro/pe
725.000 Besucher, bedeutende Rolle beim bundesweiten Jahr der Mathematik 2008: Das Gießener Mathematikum wird fünf und hat sich als Institution längst etabliert.

Der Satz des Pythagoras, die Kreiszahl Pi und platonische Körper taugen zur Begeisterung tausender Menschen? Im Mathematik-Museum in Gießen ist das so: Seit der Eröffnung im November 2002 haben sich 725 000 Besucher von der "Mathematik zum Anfassen" in Bann ziehen lassen. "Die Überraschung schlechthin", nennt Albrecht Beutelspacher, Direktor und Erfinder des Mathematikums, den Ansturm. Das erste mathematische Mitmachmuseum, das am 16. und 17. November sein fünfjähriges Bestehen feiert, ist längst aus der bundesdeutschen Museenlandschaft nicht mehr wegzudenken – und ist mit weitem Abstand die Touristenattraktion Nr. 1 in Gießen. Kein Wunder, dass es in Mittelhessen inzwischen auch einige Nachahmer-Projekte gibt: das Marburger "Chemikum", das Wetzlarer "Viseum" das geplante Gießener "Criminalium" oder die Idee für ein "Religionikum".

Seifenblasen, Kugelbahnen, Knobelspiele oder Puzzles laden im Originalnahe des Gießener Bahnhofs Erwachsene wie Kinder, Mathe-Liebhaber und Mathe-Hasser dazu ein, sich mit einer der ältesten Wissenschaften auseinander zu setzen. "Hands on" heißt die Devise für die gut 120 Exponate auf mehr als 1000 Quadratmetern im ehemaligen Gießener Hauptzollamt. Jeden Monat kommt bei einer Exponat-Premiere ein neues Ausstellungsstück dazu. Nahezu alles, was gezeigt wird, ist zum Ausprobieren da. Mathematik-Professor Beutelspacher hat damit das Prinzip der Science Center umgesetzt wie im Exploratorium in San Francisco oder im Technorama im Schweizer Winterthur.

Selber machen und selber denken", laut Beutelspacher Erfolgsgeheimnis: "Denken ist bei uns keine Last, sondern Befreiung dank gewonnener Erkenntnisse." Wer beispielsweise die transportable Brücke von Leonardo da Vinci nachbaut, hantiert plötzlich mit Winkeln. Und wer den Textverschlüsselungen des römischen Feldherren Julius Cäsar im Mathematikum nachspürt, landet unversehens in der spannenden Welt der Kryptografie.

Kunst im Mathematikum" wagt sich seit 2004 an eine ungewöhnliche, aber funktionierende Kombination. "New York meets Giessen" mit Bildern des Pop-Art-Künstlers James Rizzi machten den Auftakt. "Tiger, Bär und Tigerente" von Janosch waren 2005 zu Gast. Zeichnungen und Fotos von "Christo and Jeanne-Claude" zogen die Besucher 2006 ins Mathematikum. In diesem Jahr war mit "Kunst im Kasten" die bislang größte Schau des Objektkünstlers Volker Kühn zu sehen.

Weltrekorde haben im Mathematikum ebenfalls eine Heimat: So zog Gert Mittring, Weltmeister im Kopfrechnen, 2004 in der Weltrekord-Zeit von 11,80 Sekunden die 13. Wurzel aus einer 100-stelligen Zahl. Und im November 2006 wurde die Weltmeistermeisterschaft im Kopfrechnen im Mathematikum ausgetragen.

In der kurzweiligen Talkreihe "Beutelspachers Sofa" bittet Beutelspacher seit Anfang 2004 einmal im Monat Mathematiker, Journalisten und andere, die sich der Mathematik und ihrer Verbreitung verschrieben haben, zum Gespräch auf sein rotes Sitzmöbel.

Zum Jubiläum am 16. und 17. November bekommt das Mathematikum außerdem Nachwuchs: Ein Mini-Mathematikum für Kinder von vier bis acht Jahren wird eröffnet und soll 2008 – dem bundesweiten "Jahr der Mathematik" – auf Wanderschaft durch Deutschland gehen.

Wir wollen im Wissenschaftsjahr eine wichtige Rolle spielen", hat sich Beutelspacher vorgenommen. Er ist Mitglied des Koordinierungsausschusses "Jahr der Mathematik" unter Federführung des Bundesbildungsministeriums und tourt 2008 selbst mit etwa 80 Vorträgen über die spielerische Wissenschafts-Vermittlung durch die Republik.

Auf dem Programm fürs kommende Jahr im Mathematikum stehen Ausstellungen wie "Alles Spiel" über Unterhaltungsmathematik (März bis Mai), "Physikalische Experimente" (Sommer) und "Jugend macht Kunst und Mathematik" der Kinderakademie in Fulda. "Zukunftsmathematik" heißt ein neuer Bereich, der 2008 im Mathematikum gestaltet und dauerhaft eingerichtet wird. In den jährlichen Veranstaltungskalender wird die Wissenschaftsfest-Reihe "4 Zeitalter der Mathematik" (Antike, Mittelalter, Neuzeit, Moderne) aufgenommen. Für Oberstufenschüler gibt es in einer Mathe-Uni Vorlesungen zu moderner, angewandter Mathematik.

pe/kro

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