Express Online: Thema der Woche | 27. September 2007

Von Suppe wird abgeraten

Das Marburger Dunkelcafé soll es in dieser Form zwar nirgendwo sonst in Deutschland geben. Es ist aber selbst in der Universitätsstadt ein Geheimtipp.

Es ist nicht einfach dunkel. Es ist schwarz, völlig schwarz. Ohne die Hilfe von Svenja und ihren Kolleginnen wären die Besucher des Marburger Dunkelcafés verloren. Die blinde Psychologiestudentin nimmt die Neuankömmlinge am Eingang des Gewölbekellers an der Hand und führt sie auf ihren Platz. In völliger Dunkelheit sitzen hier rund 20 Kneipengäste, plaudern, trinken Bier, Wein und versuchen sich am Essen. Von Suppe rät Projektinitiator Jörg Bechthold ab. Da geht zu viel daneben. Aber auch der Salat gerät zum Abenteuer. Der undefinierbare Brocken auf der Gabel entpuppt sich als Tomatenstück. Die Soße des großen Salatblattes landet auf der Wange. "Wenn ein Malheur passiert, sieht es keiner", tröstet Bechthold. Nur der Wirt des Bistros am Marburger Hirschberg weiß, wie der Fußboden anschließend aussieht.

Das Marburger Dunkelcafé soll es in dieser Form zwar nirgendwo sonst in Deutschland geben. Es ist aber selbst in der Universitätsstadt ein Geheimtipp. Zwei- bis dreimal im Monat öffnet sich die ungewöhnliche Kneipe im Kellergewölbe desBistro Caveau. 2004 – Bechthold war damals noch Behindertenreferent des AStA – wurde sie von einer studentischen Projektgruppe eingerichtet. Schließlich hat Marburg mit seinen etwa 700 Blinden so viele Sehbehinderte wie keine andere Stadt dieser Größenordnung.

Das Dunkelcafé richtet sich aber in erster Linie an die Sehenden. Sie können zumindest für einen Abend einen Eindruck davon erhalten, wie es ist, sich wie ein Blinder zu bewegen. Allerdings wagt kaum einer, den kurzen Weg vom Tisch zum Ausgang allein zu unternehmen. "Ich schaffe es bis heute nicht, um die Theke herum zum Kühlhaus zu gehen", erzählt Wirt Eugen Leipner. Bedienen könne er im Gewölbekeller nicht. Das übernehmen drei Sehbehinderte: "Wir sind darin geübt, im Dunkeln Sachen durch die Gegend zu tragen", sagt Bechthold.

Einige wenige Besucher können die Dunkelheit nicht aushalten. Viele finden es aber sehr entspannend, einmal nicht sehen zu müssen. "Es ist schön, nicht gerade sitzen zu müssen, sondern sich einfach hinlümmeln zu können", erzählt Julia Heute. Auch das Aussehen werde plötzlich unwichtig. Allerdings müsse man deutlich mehr reden, um klar zu kommen.

Viele Gäste betrachten das Dunkelcafé als Abenteuer. Wie erkennen Blinde die richtigen Geldstücke und Geldscheine? Wie schaffen sie es, nicht dauernd mit anderen zusammenzustoßen? Blinde und Sehende kommen leicht ins Gespräch. "Die Leute merken, dass es gar nicht so schlimm ist, wenn man nichts sieht", freut sich Svenja.

Um das Dunkelcafé aufrecht zu erhalten, ist viel ehrenamtliche Arbeit nötig. Zwei Sehende nehmen die Besucher in der Kneipe über dem Gewölbekeller in Empfang, erklären ihnen, dass Zigaretten, Handys und Digitaluhren verboten sind, weil sie zu viel Licht spenden. Drei Blinde bedienen in der Umsichtbar selbst. Gelegentlich gibt es noch Hörspiele, Konzerte, Spieleabende und Sinnesparcours. Doch eigentlich wollen die Initiatoren ganz normale Kneipenatmosphäre – nur eben im Dunkeln.

Die Umsicht-Bar ist jeden ersten und dritten Montag im Monat ab 19 Uhr geöffnet. Internet: www.umsicht-bar.de

Gesa Coordes

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