Express Online: Thema der Woche | 19. April 2007

Botschafter

Sivan Perwer
... wurde 1955 nahe der Stadt Urfa im türkisch administrierten Gebiet Kurdistans geboren. In den 70ern schrieb er sich als Geologie- und Mathematik-Student in Ankara ein. Stets begleitet und bedroht durch Organe des von einer Militär-Junta regierten türkischen Staats, fallen in diese Zeit seine ersten öffentlichen Konzerte vor bis zu 30.000 Zuhörern. 1976 flüchtete Sivan Perwer vor drohenden Repressalien ins Exil, wo er fortan die meiste Zeit seines Lebens verbrachte. Er studierte Musikwissenschaft in Köln, lebt in Deutschland und Schweden und ist schwedischer Staatsbürger.
In den 90er Jahren trat er unter anderem beim Live-Aid-Konzert an der Seite von Peter Gabriel, Sting und Paul Simon auf.
Sivan Perwer International Cultural Foundation: www.sp-f.org/index.php
MiA
Er stand mit Sting und Peter Gabriel auf einer Bühne, hat zwei Dutzend Alben veröffentlicht und muss im Exil leben – Der kurdische Sänger Sivan Perwer gilt als die musikalische Stimme seines Volkes. Vor seinem Auftritt in der Marburger Waggonhalle am 20.4. spricht er mit dem Express über Kultur und Politik.

Express: Sivan Perwer, die Tradition kennt drei Arten kurdische Musiker: Geschichtenerzähler, Sänger und Barden. Was davon bist Du?
Sivan Perwer: Ich bin ein politischer Sänger; ich interpretiere aber auch Lieder der kurdisch verwurzelten Dengbej-Musikrichtung und erzähle dabei auch politische Geschichten.

Express: Welche Elemente zeichnen Deine Musik aus?
Sivan Perwer: Ich habe in den 70er Jahren unter großen Schwierigkeiten eine politische Musik gemacht, die sich sowohl gegen die Unterdrückung durch kurdische Aghas (große Landbesitzer) und Scheichs (Islamische Geistlichen), als auch gegen die Besatzer von Kurdistan richtet. Ich habe mich mit meiner Musik gegen die Unterdrückung der kurdischen Frau eingesetzt und mein rechtloses Volk unterstützt und begeistert. Und ich habe am Anfang der 70er Jahre eventuell als erster Musiker in der Weltgeschichte Rap-Musik durch mein Lied ,,Kine Em?" ,,Wer wir sind?") gemacht, bevor diese bei den Schwarzen in den USA entdeckt und entwickelt wurde.

Express: Kurdische Kultur und Musik wurden in der Türkei jahrzehntelang ignoriert. Wie ist die aktuelle Situation in der türkischen Medienlandschaft?
Sivan Perwer: Es gibt trotz vieler Veränderungen und Erleichterungen immer noch viele Schwierigkeiten für kurdische Musik und Kultur in der Türkei. Viele Gesetze sind zwar auf Papier beschlossen, werden aber kaum angewendet. Immer noch sind einigemeiner Lieder verboten. Die Rechte der kurdischen Musiker werden in der Türkei verachtet. Viele kurdische Musiker leben unter großen politischen und finanziellen Schwierigkeiten. Türkische Medien betreiben mit wenigen Ausnahmen grundsätzlich eine Isolation der kurdischen MusikerInnen. Es besteht keine Chancengleichheit zwischen kurdischen und türkischen MusikerInnen.

Express: Die kurdische Musik vereint Elemente aus Volksmusik und gelehrter Musik. Wie sieht die Verbindung zwischen diesen beiden Disziplinen in deiner Musik aus?
Sivan Perwer: Das kurdische Volk war nie frei und politisch unabhängig, seit kurzem ist das im Irak anders. Zuvor hatte die gelehrte eigenständige kurdische Musik, die institutionalisiert war, keine Möglichkeit. Es gab kurdische musikalische Familien, die kurdische Musik mit ihren Möglichkeiten ihren Kindern beigebracht haben. Ich habe selbst zuerst das Interesse an kurdischer Musik durch meine Familie – insbesondere den Gesang meiner Mutter – bekommen. Als Student in Ankara war ich mit anderen kurdischen Studenten politisch engagiert und bin zuerst nur mit meiner Saz (Laute) aufgetreten. Meine ersten fünf Alben habe ich nur mit der Saz aufgenommen.
Ich muss aber betonen, dass zuallererst die kurdischen Barden (Dengbêj) großen Einfluss auf meine Musik hatten. Ich habe am Anfang meine Lieder ohne bestimmte musikalische Richtung und Lehre improvisiert. Viele kurdische Musiker sind durch die politische Verfolgung ins Exil gegangen und haben erst im Exil die Möglichkeit bekommen, Musikunterricht zu nehmen bzw. Musikakademien zu besuchen. Ich habe in Köln angefangen, Musik zu studieren, konnte das aber aus verschiedenen Gründen nicht zu Ende bringen.

Express: Einige kurdisch-stämmige Sänger sangen ihre Lieder in türkischer Sprache und hatten damit kommerzielle Erfolge. Warum bleibst du beim Kurdischen?
Sivan Perwer: Ich habe mehr Interesse für die Freiheit als materielle Werte. Ich möchte doch meine Würde nicht für Geld verkaufen. Die Freiheit meines Volkes ist wichtiger als alles Andere. Mit meiner Musik habe ich die Kurden vor allem aufklären und politische Botschaften verbreiten wollen. Ich hoffe sehr, dass ich mit meiner Musik dazu einen wichtigen Beitrag geleistet habe. In meinem kommenden Album beabsichtige ich, auch in anderen Sprachen zu singen, um vor allem meine politischen Botschaften verständlicher zu machen.

Express: Welches Publikum erreichst Du mit Deiner Musik? Ist es notwendig, die kurdische Sprache zu verstehen?
Sivan Perwer: Musik ist international, hat Melodien, Rhythmen etc., die international verstanden werden. Es gibt im Allgemeinen keine nationale Sprache der Musik. Ich erreiche mit meiner Musik vor allem die kurdischen Massen, werde aber überall in der Welt von für Weltmusik Interessierten gehört. Ich habe sogar viele türkische Fans.

Express: Du hast Dich als politischen Sänger bezeichnet. Kann man mit Mitteln des Künstlers politische Veränderung bewirken?
Sivan Perwer: Ich werde überall als politischer Sänger wahrgenommen. Ich habe mit meiner Musik viele Kurden in der Entwicklung und Verankerung ihres Bewußtseins, ihrer Identität, ihrer reinen Seele und Begeisterung für den kurdischen Befreiungskampf beeinflusst. Wenn ich im Irak bin, sprechen mich viele Pesmerga (kurdische Befreiungskämpfer im Irak) als Musiker für revolutionäre Lieder an. Sie sagen, dass sie sich mit meinen Liedern und meiner Musik motiviert und Kraft für ihren Kampf bekommen haben.

Express: Wie stehst Du zur PKK?
Sivan Perwer: Es ist für mich eine schwierige Frage. Ich halte Distanz zu allen kurdischen politischen Parteien und Organisationen und bezeichne mich als unabhängigen Musiker. Die PKK ist sicher eine linke kurdische Partei, die für die Rechte der Kurden kämpft und insofern eine Befreiungsorganisation ist. Ich wünsche aber, dass sie sich auf demokratische Art und Weise artikuliert und in die Weltgemeinschaft integriert wird. Die Weltgemeinschaft und insbesondere die EU und Deutschland müssen für eine friedliche Lösung der kurdischen Frage in der Türkei eintreten und den türkischen Staat beeinflussen. Dafür haben sie viele Möglichkeiten und Instrumente. Ich rechne damit, dass die PKK sich entwaffnen und sich als eine demokratische Organisation betätigen wird. Die Kurden und Türken brauchen dringend Frieden.

Interview: Michael Arlt

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