Express Online: Thema der Woche | 12. April 2007

"Wir senden wider den Mainstream"

Im April feiert der nichtkommerzielle Lokalsender Radio Unerhört Marburg sein zehnjähriges Bestehen. Auf 90,1 Mhz sind die Unerhörten täglich 24 Stunden lang in der Marburger Region zu hören. Studierende sind das Rückgrat des Projekts. Die Zahl der Hörer wird auf 12.000 geschätzt. Im Interview erzählt Mitgründer Steffen Käthner (35) von Sorgen, Erfolgen und Pannen des Senders.

Express: Radio Unerhört Marburg hat 1400 Unterschriften gesammelt, um gegen die bevorstehende Rundfunkgesetzgebung zu protestieren. Müssen Sie ausgerechnet im Jubiläumsjahr um Ihre Zukunft bangen?
Steffen Käthner: Wir können das Zehnjährige noch unbefangen feiern, weil dieses Jahr noch sicher ist. Frühestens im Mai wird der Landtag die Entscheidung über die Gesetzgebung treffen.

Express: Welche Gefahren drohen Ihnen?
Steffen Käthner: Aus GEZ-Gebühren bekommen wir im Moment ebenso wie die sieben anderen Lokalradios in Hessen 75 000 Euro pro Jahr. Damit decken wir drei Viertel unseres Jahresbudgets. Im Falle einer Gesetzesänderung könnten die Mittel gekürzt, halbiert oder gestrichen werden. Damit ist unklar, ob wir unsere hauptamtliche Stelle weiter finanzieren können.

Express: Der Name von Radio Unerhört versprüht den Charme eines Piratensenders. Liegen dort die Ursprünge des Lokalradios?
Steffen Käthner: Jein. Das Piratenradio war eine Option. Aber wir haben nie schwarz gesendet. Kurz nach der Gründung der Initiative für Radio Unerhört durfte das Radio legal betrieben werden.

Express: Warum braucht man ein nichtkommerzielles Radio?
Steffen Käthner: Wir wollen eine Gegenöffentlichkeit herstellen, um Themen zu senden, die sonst im Mainstream einfach nicht vorkommen. Bei uns können Blinde, Kinder, Hochschulgruppen, Kulturinitiativen und der Weltladen regelmäßig Programm machen. Das ist ein Experimentierfeld. Wir sind basisdemokratisch, senden keine Werbung, keine rassistischen, sexistischen und diskriminierenden Themen.

Express: Was zeichnet Ihr Programm aus?
Steffen Käthner: Das Entscheidende ist die große Vielfalt, die wir mit sehr begrenzten, bescheidenen Mitteln leisten. Wir haben Sendungen in sieben verschiedenen Muttersprachen. Das ist ein ganz wichtiges Forum, das es nirgendwo sonst gibt. Es gibt eine Protestsendung, die aus den Aktionen gegen die Langzeitstudiengebühren entstanden ist. Wir haben 26 verschiedene Musiksendungen. Die Charts spielen bei uns keine Rolle. Das ist ungewöhnlich in einem Zeitalter, in dem alle anderen Programme immer stärker auf Gleichförmigkeit setzen.

Express: In den ersten Jahren wurde Ihnen vorgeworfen, unprofessionelles Radio zu machen. Ist das bis heute ein Thema?
Steffen Käthner: Selbstverständlich. Dazu bekennen wir uns auch. Es gibt hier keine bezahlten Profis, die über ein Thema berichten. Aber natürlich sollte ein Unterschied zwischen Anfängern und erfahreneren Programmmachern hörbar sein. Das klappt nicht immer.

Express: Was war Ihr größter journalistischer Erfolg?
Steffen Käthner: Das große herausragende Beispiel gibt es da nicht. Es gab immer wieder Projekte - etwa beim Besuch von ehemaligen Zwangsarbeitern, die von Schülern interviewt wurden. Das sind Aufnahmen, die sind in 20 Jahren noch wichtig. Wir haben auch oft Demonstrationen wie bei den Nazi-Aufmärschen in Marburg und Gladenbach live dokumentiert.

Express: Ihre größte Panne?
Steffen Käthner: Der Sendestart am 5. April 1997 sollte um 16 Uhr losgehen. Als alle schon den Sekt in der Hand hatten, kamen aus dem Mischpult im Studio kleine Rauchwolken heraus. Mit dem Sendestart um 16 Uhr war es natürlich nix. Aber unsere Techniker zeichneten sich schon damals durch eine große Improvisationsfähigkeit aus. Kurz darauf hatten sie ein kleines Ersatzmischpult angeschlossen. Bitterer war der Internationale Frauentag, an dem Bauarbeiter mit einem Bagger unsere Sendeleitung gekappt haben. Da konnte das ganze tolle Sonderprogramm nicht laufen.

Express: Sind Sie braver geworden in den vergangenen zehn Jahren?
Steffen Käthner: Jein. Früher wurde vieles dogmatischer gehandhabt. Es gab monatelange Diskussionen um Programme des Satirikers Wiglaf Droste, in denen der Missbrauch von Kindern in einer Weise ironisiert wurde, die für Initiativen wie Wildwasser unerträglich war. Schließlich haben wir uns darauf geeinigt, Droste nicht mehr im Programm zu spielen. Heute ist es offener, weil mehr Leute ohne politische Motivation kommen. Aber es gibt auch immer noch und immer neue Leute, die sehr kontroverse Inhalte aufgreifen. Das ist vielleicht eine gesetztere Radikalität als früher.

Interview: Gesa Coordes

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