Express Online: Thema der Woche | 22. Februar 2007

Geschenkt

Seit Jahren wirbt Gießen unter Studierenden, ihren Erstwohnsitz in der Stadt anzumelden. Dafür hat die Stadt sogar ein kostenloses Studium im Wert von 4000 Euro verlost.

Eigentlich ist Damir Druzinec der Musterjunge für Gießens Werbekampagne. Der Gewinner der Verlosungsaktion hätte nämlich auch ohne diese Aktion seinen Erstwohnsitz im Stadtbüro angemeldet, sagt der Erstsemestler, der seinen Namen seinem kroatischen Vater verdankt. "Man sollte immer in der Stadt wohnen, in der man studiert", so der Fachhochschulstudent, der nach zwei Ausbildungen im Eisenbahnbetriebsdienst und als Krankenpfleger mit seinen 28 Jahren jetzt Biotechnologie in Gießen studiert und dafür von Wolfenhausen bei Weilburg zugezogen ist.

Doch offenbar denken nicht alle der etwa 25 000 Studierenden in Gießen so. Zwar hat die rund 74 000-Einwohnerstadt eine der höchsten Studierendendichten Deutschlands und erstattet ihrem wissenschaftlichen Nachwuchs das Semesterticket in Höhe von 77,40 Euro, wenn man seinen Hauptwohnsitz hier anmeldet. Trotzdem überwiege insgesamt die Zahl der Nebenwohnsitze, so Oberbürgermeister Heinz-Peter Haumann (CDU). Jeder Dritte, der hier seinen Wohnsitz anmelde und ein Studium in Gießen begonnen habe, gebe an, den Großteil seiner Zeit nicht hier zu verbringen. In Zahlen: Im Zeitraum September bis Dezember 2006 sind nach Angaben der Stadt von den 3075 neuen Wohnsitzanmeldungen 976 Nebenwohnsitze.

Für Gießen bedeutet das vor allem einen Verlust fürs Stadtsäckel. Denn für jeden Erstwohnsitz gibt es Schlüsselzuweisungen vom Land, die von Jahr zu Jahr variieren.

Dass Werbekampagnen an den beiden Hochschulen hier Besserung versprechen können, zeigen die Zahlen vom vergangenen Herbst, als die Verlosung lief. Der Anteil der Studierenden an den Hauptwohnsitzen sei im Vergleich zum Vorjahr um sechs Prozent gestiegen, berichtet Haumann. Die Verlosung eines kostenlosen Studiums bleibt allerdings eine einmalige Aktion. Doch hat Gießen die Idee seiner Nachbaruniversitätsstadt Marburg aufgegriffen, und schenkt ab diesem Jahr jedem Studierenden, der seinen Erstwohnsitz hier anmeldet, 100 Euro.

In Marburg läuft die Werbeaktion "@ home in Marburg" bereits seit dem Wintersemester 2004 für Studierende. Zusätzlich zum Begrüßungsgeld gibt es Gutscheine für das Cineplex-Kino und Erlebnisbad. Was die Anzahl der Erstwohnsitze betrifft, steht die Stadt wesentlich besser dar, als das rund 30 Kilometer entfernte Gießen. Im vergangenen Jahr waren es 78 878 und nur 8770 Zweitwohnsitze, so Stadtsprecher Rainer Kieselbach.

Warum es Marburg in diesem Punkt besser geht als seiner Nachbarstadt an der Lahn, können Ergebnisse einer Studie erklären. Dabei haben Mitarbeiter des Gießener Instituts für Geographie Studierende in Gießen und Marburg im Jahr 2004 befragt. Demnach hat Gießen mit 63 Prozent einen höheren Anteil an Studierenden, die ihr Zuhause noch in den umliegenden Kreisgemeinden haben und nicht in die Stadt ziehen wollen. In Marburg sind es nur rund 44 Prozent. Hinzu kommt, dass die Stadt Gießen einen wesentlich schlechteren Gebietszuschnitt hat. Während Marburg wesentlich mehr Orte im unmittelbaren Umland eingemeindet hat, musste Gießen viele Gemeinden an den Kreis Gießen abtreten. Da die Mietpreise auf dem Land niedriger sind als in der Stadt, zieht es viele Studierende in die Region.

Ein weiterer wohl nicht ganz unwichtiger Aspekt ist auch das Image der beiden Städte. Während mehr als 50 Prozent der Studierenden in Marburg die Attraktivität der Stadt mit ihren gut erhaltenen Gebäuden als Grund für die Wahl ihres Studienortes angaben, waren es im vom Zweiten Weltkrieg stark zerstörten Gießen gerade mal knapp zehn Prozent.

Meike Mossig



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