Express Online: Thema der Woche | 4. Januar 2007

Heiligenschein in der Höhe

Siebensieben-
zwölfnullsieben
Helmi Ohlhagen hat ein schmiedeeisernes gotisches Ornament aus den Türen des Hauptportals der Elisabethkirche in ein überdimensionales Neonkunstwerk übersetzt. Es nimmt in seiner roten Farbigkeit Bezug auf die Farbe der Türen des Hauptportals und kann als ein Herzsymbol gelesen werden, aus dem eine Efeuranke als Zeichen ewigen Lebens wächst.
Das Lichtkunstwerk kann vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2007 durch einen Telefonanruf zum Leuchten gebracht werden: 09005 / 771207.
Dieser Anruf lässt das am höchsten Ort im Stadtgebiet (400 m) installierte, weithin sichtbare Lichtobjekt zum interaktiven Kunstwerk werden – Kunst-by-call. Wer abends oder nachts jemandem ein Herz schenken will, kann dies mit dem Lichtkunstwerk Siebensieben-
zwölfnullsieben tun. Eine Webcam sichert weltweite Wahrnehmbarkeit.
Die Künstlerin
Helmi Ohlhagen, 1967 in Hannover geboren, Magistra Artium der Kunstgeschichte, Medienwissenschaften, Grafik und Malerei, ist Werkstattleiterin für künstlerische Druckgrafik am Fachgebiet Grafik und Malerei der Philipps-Universität Marburg. Seit 1997 Lehraufträge an den Universitäten Marburg und Gießen. Ausstellungen u. a. in Marburg, Stuttgart, Amsterdam und Zaragoza. 2004 erhielt Helmi Ohlhagen den Kunstpreis der Stadt Limburg für Malerei. Helmi Ohlhagen: "Ich finde es gut, dass durch Siebensieben-
zwölfnullsieben eine Diskussion angestoßen wurde über die Aktualität der historischen Überlieferung."
pe/kro
In 400 m über N.N. leuchtet ab sofort das Lichtkunstwerk "771207" zum Elisabethjubiläum. Per Telefonanruf soll die Lichtskulptur für die nächsten 365 Tage vom Kaiser-Wilhelmsturm hinab interaktiv zur Auseinandersetzung mit Marburgs Stadtheiliger anregen. Ein EXPRESS-Gespräch mit Initiator Richard Laufner vom Fachdienst Kultur.

Express: Man hat bisweilen den Eindruck, dass das Elisabetjubiläum bei den Marburgern noch gar nicht richtig angekommen ist. Wie bekommt man die jetzt noch geködert?
Laufner: Das ist genau der Ausgangspunkt von 771207. Wir hatten viele schöne Projekte zusammen, von der Uni über die Kirche und Theaterprojekte. Verdienstvolle Sachen, denen aber ein zentrales Werbesymbol fehlt. Das im wahrsten Sinne des Wortes weit strahlt, auch über die Stadt hinaus.

Express: Und das funktioniert wie?
Laufner: Man wählt die Servicenummer der Telekom 09005, und dazu kommt das – historisch nicht ganz wasserdichte – Geburtsdatum 771207. So wird das Herzelement zum Leuchten gebracht.

Express: Was wird im Jubiläumsjahr 2007 an weiteren Highlights stattfinden?
Laufner: Neben 771207, was das ganze Jahr über läuft, wird der erste Programmschwerpunkt am 22. bis 24. März sein mit der Eröffnung der Ausstellung "Elisabeth und der Dienst am Kranken" im Schloss. Gleichzeitig startet in Zusammenarbeit mit dem Institut für Malerei und Grafik das Projekt "Wunderfahnen". An siebzig bis achtzig Standorten in der Stadt werden 4 x 12 m große Fahnen aufgehängt, die verschiedenste Motive aus dem Leben Elisabeths zeigen. Das ist die zweite große "PR-Aktion", die eine Auseinandersetzung mit der Ästhetik und dem Leben der Elisabeth ist.

Express: Wird damit das Phänomen Elisabeth besser im allgemeinen Stadtbewusstsein verankert? Beispielsweise bei Jugendlichen?
Laufner: Als wir auf dem Hessentag unser Programm vorgestellt haben, wurden die Prospekte tatsächlich von Frauen ab 55 mitgenommen, alle anderen sind vorbeigegangen. Aber in Marburg leben wir in einer Stadt, in der es auch andere Bevölkerungsgruppen gibt – zum Beispiel 18.000 Studierende zwischen 20 und 30. Die gilt es auch zu interessieren. Der "normale Mensch" interessiert sich weder besonders für Historie, noch für Heilige. Außerdem ist Elisabeth durchaus verkitscht worden. Die Idee der "Sozialheiligen" wurzelt im Pauperismus der 19. Jahrhunderts. Bis dahin war sie eine ganz normale Heilige. Das gewachsene Interesse an so einer Projektionsfläche hat sicherlich mit der allgemeinen sozialen Kälte zu tun. Wir wollen, dass darüber nachgedacht wird: wer war das und was sagt sie uns tatsächlich heute noch?

Express: Was nicht nur Positives umfasst ...
Laufner: Man kann das sicherlich nicht 1:1 übersetzen und etwa die Sozialpolitik auf Almosenpolitik runterfahren. Das Frauenbild der Elisabeth, die sich von Konrad peitschen ließ – dem größten Inquisitor des 13. Jahrhunderts nördlich der Alpen -, kann nicht das Frauenbild von heute sein. Insofern geht es auch um die kritische Auseinandersetzung zwischen 1207 und 2007.

Express: Was steht hinter dem Konzept der "Stadtheiligen"?
Laufner: Mit dem Wirken und Nachwirken, auch der Vermarktung von Elisabeth – sie wurde in der Rekordzeit von vier Jahren heiliggesprochen, das war vollkommen untypisch – und der Etablierung von Marburg als Pilgerstadt hat die Stadt, pathetisch gesprochen, die Bühne der europäischen Geschichte betreten. Deshalb ist das für uns ein Stadtjubiläum – das nicht nur Kirchen interessieren sollte. Außerdem muss man tatsächlich sehen, dass sich die Frau der franziskanischen Armutsbewegung angeschlossen hat. Ob es gesundheitsfördernd war, sei dahingestellt. Aber dass sie Menschen, die im Dreck lagen, wahrgenommen hat, ist schon bemerkenswert.

Express: Zur Nachhaltigkeit: Wie soll das Ganze in die Zukunft wirken?
Laufner: Was konkret mit 771207 wird, lassen wir auf uns zukommen. Falls das Objekt verkauft würde, käme der Erlös an die Elisabethstiftung für eine Begegnungsstätte um die Elisabethkirche. Ein anderer Nachhaltigkeitseffekt wäre, dass man im Marburg auch einmal gewagtere Sachen macht. Das Lichtprojekt 771207 war manchen schon zu schräg. Ein weiterer Effekt könnte in der Auseinandersetzung darüber bestehen, was Sozialpolitik und soziales Verhalten heute sind. Außerdem wurde das Umfeld der Elisabethkirche neu gestaltet.

Express: Lahnabwärts feiert man in 2007 das 400-jährige Bestehen der Justus-Liebig-Universität. Wer gewinnt im Wettbewerb Marburg – Gießen?
Laufner: Da steht natürlich eine gewisse Konkurrenz im Hintergrund. Die Gießener sind uns einige Schritte voraus in Bezug auf Präsentation der Universität in der Stadt. Deshalb wollen wir auch das Elisabethjahr mit einer erstmaligen "Nacht der Wissenschaft" abschließen. Heutzutage müssen gottseidank keine Brote mehr verteilt oder Leprakranke geküsst werden. Marburg kann heute nicht mehr alleine Pilgerstadt sei, sondern repräsentiert das kostbarste Gut, was wir jetzt haben – nämlich Bildung.

Interview: Michael Arlt



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