Express Online: Editorial | 28. Juni 2007

"Handelt erst, analysiert später."

Gerade lese ich "Do it! Szenarios für die Revolution" von Jerry Rubin. Eines der wichtigsten Dokumente aus der amerikanischen Gegenkultur der Sechziger. Die Revolte der reichlich anarchistischen, subversiven und spaßvögeligen (sic) Yippies richtete sich gegen den Vietnamkrieg, gegen soziale, kulturelle und politische Erstarrung, gegen die Apathie der Übersättigung, des Materialismus.

Wohlbehütete Kinder der Mittelschicht stiegen aus und klagten ihre Eltern an: "Unsere Eltern führen einen Ausrottungskrieg gegen ihre eigenen Kinder. Die Wirtschaft hat weder Verwendung für Jugend noch Bedürfnis nach Jugend. Alles ist schon da. Es bleibt nichts mehr zu tun. Unsere Existenz ist ein Verbrechen."

Vielleicht denke ich eindimensional, wenn ich Parallelen zu den Protesten gegen Studiengebühren sehe, gegen die Einschränkung der Bildungsfreiheit, gegen die Verschulung der Universitäten, gegen die Mechanisierung des Lernens und Lebens ...

Führen unsere Eltern einen Ausrottungskrieg gegen die Individualität, Menschlichkeit, Persönlichkeit ihrer eigenen Kinder? Natürlich hat die Wirtschaft keine Verwendung für Jugend, für dynamische biographische Prozesse, kein Bedürfnis nach Leben. Lebenszeit hat ein wirtschaftlicher Faktor zu sein, kein menschlicher. Pekuniär nicht auswertbare Erfahrungen zu sammeln, ist ein Verbrechen an der sozialen Gemeinschaft. Was bleibt zu tun? Nicht lernen, sondern wissen. Funktionieren.

Vielleicht bin ich hoffnungslos romantisch, aber mir gefällt Rubins Vision: "Die Krise ersetzt die Kaffeepause. Die Revolution ist nicht das, was ihr glaubt. Sie ist das, was ihr von morgens bis abends tut. Sie ist eure Art zu leben."

Ulrike Rohde

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