Express Online: Thema der Woche | 14. Dezember 2006

Als Hochstapler unter Hochstaplern

Gert Postel
Der 48-Jährige gelernte Postbote wurde vor allem durch sein Wirken als Leitender Oberarzt für den Maßregelvollzug in der psychiatrischen Abteilung des Landeskrankenhauses Zschadraß in Sachsen von November 1995 bis Juli 1997 als Hochstapler berühmt. Dafür wurde er 1999 in Leipzig verurteilt. Postel: "Von dem selben Gericht, das mich in meiner Zeit als Oberarzt als Sachverständiger für psychiatrische Gerichtsgutachten überaus schätzte."
Anfang 2001 veröffentlichte Postel seine Erlebnisse unter dem Titel "Doktorspiele – Geständnisse eines Hochstaplers" (Eichborn-Verlag, Frankfurt am Main). Die als Bloßstellung des Psychiatriebetriebs beschriebene Darstellung machte ihn zu einem Helden der Antipsychiatriebewegung.
Die ARD drehte über Gert Postel das Doku-Drama "Der Unwiderstehliche", das 2002 gesendet wurde.
Infos: www.gert-postel.de (Gert-Postel-Fanclub)
Termin: Die Lesung von Gert Postel findet am Freitag, 19. Januar, 20 Uhr, in der Waggonhalle, Marburg, statt.
kro/wikipedia
Der gelernte Postbote und Wahl-Marburger Gert Postel hat schon so einige Karrieren hingelegt – und dabei spektakuläre Täuschungsmanöver vollbracht. Bekenntnisse von Deutschlands berühmtesten Hochstapler

Er war Amtsarzt und Leitender Oberarzt in der Psychiatrie. Papst Johannes Paul II. gewährte ihm zwar eine Privataudienz – erfüllte aber nicht seinen Wunsch, Erzbischof von München und Freising zu werden. Für den Express hat der Mann mit dem selbst bekundeten untrüglichen Gespür dafür, was die Zeitläufe gegenwärtig von den führenden Psychiatern des Landes erwarten , vor seiner Lesung am 19. Januar in der Marburger Waggonhalle sich selbst Rede und Antwort gestanden.

Express: Gert Postel, Sie werden von vielen Menschen verehrt, man hat einen Gert-Postel-Fanclub gegründet, von anderen verurteilt: wer hat recht?
Postel: Mein Problem bestand eben darin, dass ich gelobt oder getadelt, aber kaum verstanden wurde. Inzwischen bin ich insoweit bedürfnislos geworden.

Express: Wer sind eigentlich die Leser Ihres Buches?
Postel: Ich habe ausgesuchte Intelligenzen unter meinen Lesern, von Petersburg bis London, von Zürich und Wien bis nach Paris. Nur in Europas Flachland Deutschland werde ich kaum zur Kenntnis genommen. Das spricht nicht gegen mich und nicht für die Damen und Herren Deutschen. Man geht mit mir nach Maßgabe seiner eigenen Begabung um. Wenn man von den Falschen gelobt wird, muss man sich ohnehin fragen, was man falsch gemacht hat. Vor solcher Notwendigkeit stehe ich nicht und stand ich nie.

Express: Marburg ist traditionell eine Universitätsstadt. Wie sind Sie hier in den akademischen Kreisen aufgenommen worden?
Postel: Ich hatte Standesdünkel, Arroganz, Kälte und despektierliches Weggucken erwartet und war ganz überrascht, dass mir seitens der bildungsbürgerlichen Professorengesellschaft stattdessen durchgängig mit Demut und menschlicher Warmherzigkeit und Respekt begegnet wurde. Man war sich auch nicht zu schade, jemanden ohne akademische Grade und mit einfachem Hauptschulabschluss in seine engeren Zirkel zuzulassen. nein, man war vorurteilslos, welche charakterliche Eigenschaft ja auch ein untrügliches Zeichen hoher Bildung ist; man war nicht so, wie von den Stammtischen gewohnt, dessen Vorurteilsstrukturen ja oft geradezu menschenverachtende Züge annehmen und den Blick verstellen. Das hat mich berührt, hat mich auch ein bisschen beschämt, hat vor allem vieles erleichtert.

Express: Könnte man sagen, dass Sie während ihrer Oberarztzeit Menschen getäuscht haben?
Postel: Nein, ich habe Täuschungen sichtbar gemacht und aufgehoben. Ich habe den Psychiatern einen Spiegel vorgehalten, in welchem sie hässlich aussahen. Unbegabt und selbstverliebt, wie sie sind, haben sie dann auf den Spiegel eingeschlagen, statt zu lernen. Aber, was kann der Spiegel dafür, wenn ich hässlich bin? Ach, wo ist in den Bezirken der Psychiatrie, der Psychotherapie und Psychologie eine Eitelkeit, die ich nicht verletzt hätte? Natürlich, man darf gute Leute nicht belügen, aber die Betrüger zu betrügen, war schon immer eine List der Schwachen gegen die Starken und eines der schönsten Spiele überhaupt. Auch hat noch nicht jede unwahre Aussage die sittliche Qualität einer Lüge. Manchmal muss man mit der Täuschung der Wahrheit zum Durchbruch verhelfen.

Express: Aber Sie haben andere Menschen manipuliert?
Postel: Verhaltensbeeinflussung ist eine verbreitete Methode unter den Menschen wie unter den Tieren. Eine Methode kann man nicht von ihrer Missbrauchsmöglichkeit her definieren. Sie können die Flugtechnik nicht mit dem Argument verwerfen, mit Flugzeugen ließen sich Städte bombardieren. Eine Manipulation, die auf den nutzen des Manipulierten oder auf solidarischen Nutzen abzielt, ist sittlich nicht nur gerechtfertigt, sondern geboten. Wenn ich aber eine Person der Behandlung durch einen Psychiater entziehe, habe ich ihr bereits dadurch geholfen. Was ist den Psychiatrie anderes als schlimmste Manipulation und – teils zwangsweise – Entmündigung hilflos gemachter Menschen? Auch wäre die Frage zu stellen, ob es so etwas wie psychiatrische Erkrankung überhaupt gibt oder sich nicht bloß im Sprechakt des Arztes bei der Diagnoseerstellung erschöpft, – zum eigenen Machterhalt. Psychiatrische Diagnostik ist immer auch Ausgrenzung nach der Banalität: Du bist krank, ich aber bin gesund. Psychiater sind übrigens sprachakrobatisch sehr gewandte Leute, die in ihren Gutachten jeweils auch das Gegenteil und das Gegenteil von Gegenteil völlig plausible begründen können. Plausibilität aber sagt über den Realitätsgehalt noch gar nichts. Ich habe mich während meines Rollenspiels oft als Hochstapler unter Hochstaplern gefühlt.

Express: Womit beschäftigen Sie sich zurzeit?
Postel: Ich habe keine Langeweile. Mein Kopf ist ein riesiges Ersatzteillager neuer Ideen, die sich aber nur zu einem geringen Teil in der Öffentlichkeit erörtern lassen. Es geht ja auch nicht jeden alles an. Was man wissen darf, ist, dass es im nächsten Jahr ein neues Buch geben wird, das ebenfalls hauptsächlich in der Psychiatrie spielt, aber auch in Marburg im sehr Realen. Man erfährt hier ja viel, über das man staunt und das einen drängt, aufgeschrieben zu werden. Ich will nicht viel konkretes sagen, aber diese wunderbare Marburger Gesellschaft wird auch bald in ihren Spiegel schauen dürfen, – wie ehedem – und immer noch – die freunde vom psychiatrischen Gewerbe. Außerdem wird mein erstes buch für das Kino verfilmt. Auch dieser Film wird eine Überraschung werden, über welche die guten Leute lachen und lernen werden, die anderen hingegen werden vielleicht wutschnaubend zur Unkontrolliertheiten neigen. Mich freut das alles sehr.

Express: Was würden Sie jemandem antworten, der Ihnen vorwürfe, Sie seien eher etwas unbescheiden?
Postel: Na, ich würde vielleicht sagen, dass Bescheidenheit bei mittelmäßigen Talenten bloße Ehrlichkeit sei, bei großen jedoch Heuchelei.

Interview: Georg Kronenberg



Copyright © 2006 by Marbuch Verlag GmbH