Express Online: Thema der Woche | 12. Oktober 2006

Zahltag

Termine:
12.10. Informationsabend zum Thema Studiengebühren und Bildungsabbau im Café Trauma in Marburg.
20.10. Erste Freitagsdemo im Wintersemester in Marburg (Start voraussichtlich 16.30 Uhr am Elisabeth-
Blochmann-Platz)
21.10. Bundesweite Demonstration gegen Bildungs- und Sozialabbau in Frankfurt
25.10. Vollversammlung der Studenten der Gießener Universität um 12 Uhr im Audimax. Dabei soll über die Studiengebührenpläne der hessischen Landesregierung (CDU) berichtet und ein Ausblick auf die Proteste im WS 06/07 gegeben werden. Außerdem wird die Kampagne seminarrauswurf.de vorgestellt.
25.10. Vollversammlung der Studenten der Uni Marburg von 19-22 Uhr im Audimax
Georg Kronenberg
Es wird ernst: aller Proteste zum Trotz hat Hessens CDU-Regierung die Einführung allgemeiner Studiengebühren beschlossen. Ab Herbst 2007 werden somit 500 Euro pro Semester fällig.

Zunächst ein kleiner Trost: Falls die Sozialdemokraten die Landtagswahlen 2008 gewinnen, wollen sie die Studiengebühren umgehend wieder abschaffen. Das kündigte zumindest die hessische SPD-Chefin Andrea Ypsilanti an.

SPD und Grüne lehnen Studiengebühren ab und wollen gegen das vergangene Woche im Landtag beschlossene Gesetz vor dem hessischen Staatsgerichtshof klagen.

Ganz anderer Meinung ist freilich Wissenschaftsminister Udo Corts (CDU): Er preist die Entscheidung der CDU-Mehrheit im Parlament als "zukunftsweisend für die Studierenden und die Hochschulen und als eine Stärkung des Studienstandorts Hessen". Das erklärte Ziel, besser qualifizierte Akademiker auszubilden, also die Hochschulen noch leistungsfähiger zu machen, sei ohne zusätzliches Geld nicht zu erreichen, sagte Corts in seiner Rede im Landtag. "Dieses zusätzliche Geld wird nicht allein aus öffentlichen Mitteln aufzubringen sein." Mit einem sozial ausgewogenen Modell von darlehensfinanzierten Studienbeiträgen sorge Hessen deshalb dafür, dass die Studierenden künftig das mitfinanzierten, woraus sie selbst qualitativen und im Ergebnis auch ökonomischen Nutzen zögen, nämlich die Verbesserung der Studienbedingungen.

Die Einnahmen von schätzungsweise 120 bis 130 Millionen Euro aus den Studienbeiträgen sollten in vollem Umfang in die Verbesserung der Qualität der Lehre fließen, sagte Corts: "Die Hochschulen sind damit in die Pflicht genommen, ihr Lehrangebot so zu gestalten, dass ein verzögerungsfreies Studium möglich ist."

Der mittelhessische SPD-Landtagsabgeordnete Thorsten Schäfer-Gümbel sprach dagegen von einem "schwarzen Tag für die Bildungspolitik in Hessen". Die Hessische Landesregierung treibe einen neuen "Keil der sozialen Ungleichheit" in die Gesellschaft. In den kürzlich vorgelegten OECD-Studien "education at glance" werde die Bildungsfeindlichkeit von Studiengebühren noch einmal bestätigt, unterstrich Schäfer-Gümbel. Danach habe die Steigerung der Anzahl der Studierenden zwischen 1995 und 2004 in Deutschland bei 8 Prozent gelegen, im OECD-Durchschnitt aber bei 49 Prozent. Die Aufwendungen für Bildung lägen in Deutschland mit 5,3 Prozent ein gutes halbes Prozent unter dem OECD-Durchschnitt. Und beim Studium lägen die Aufwendungen ohne Forschung deutlich unter dem OECD Durchschnitt. Im Kern komme die Studie in der Bewertung von allgemeinen Studiengebühren zu dem Schluss, dass zusätzliche Hürden für die Schichten aufgebaut werden, die ohnehin eine sehr geringe Bildungsbeteiligung haben, so Schäfer-Gümbel.

Das Studienbeitragsgesetz sei "verfassungswidrig und unsozial", sagte Sarah Sorge, hochschulpolitische Sprecherin der Grünen. "Es gefährdet die Vereinbarkeit von Studium und Familie, bedroht das Ehrenamt und benachteiligt gerade diejenigen, die neben dem Studium ihren Lebensunterhalt verdienen müssen."

Amin Benaissa von der LandesAstenKonferenz Hessen (LAK Hessen) kündigte einen "heißen Herbst" an. Der Landtagsbeschluss sei "der Startschuss für eine neue Art der Auseinandersetzung". Denn entgegen der Erwartung der Landesregierung hätten sich die protestierenden Studenten bisher weder durch massive Polizeiaufgebote noch durch die Semesterferien beeindrucken lassen.

Während der Abstimmung über den Gesetzentwurf Donnerstag vergangener Woche protestierten rund 250 Studierende überwiegend friedlich vor dem Wiesbadener Landtag.

Info: Studienbeitragsgesetz

Mit Beginn des Wintersemesters 2007/2008 sollen auch in Hessen erstmals allgemeine Studienbeiträge an den zwölf Hochschulen des Landes erhoben werden. Das hat der Hessische Landtag am 5. Oktober beschlossen. Studenten müssen dann im Erststudium grundsätzlich 500 Euro pro Semester bezahlen. Den Hochschulen wird zudem freigestellt, per Satzung Studienbeiträge bis zu 1.500 Euro pro Semester zu erheben.

Zur Finanzierung der Gebühren haben Studierende einen Anspruch auf einen Kredit, ohne dass sie dafür Sicherheiten vorweisen müssen. Wer Bafög erhält, braucht für das Darlehen keine Zinsen zu zahlen. Ansonsten liegt die maximale Verzinsung bei ca. 7,5 Prozent. Die Kredite müssen ab einem Monatseinkommen von 1.260 Euro netto zurückgezahlt werden. Start der Rückzahlungen ist zwei Jahre nach Abschluss des Studiums, spätestens aber elf Jahre nach der Aufnahme des Studiums.

In Ausnahmefällen können Studierende von den Studienbeiträge befreit werden, zum Beispiel bei sehr guten Leistungen oder Krankheiten.

Eine Besonderheit in Hessen ist, dass die Landesverfassung Studiengebühren eigentlich ausschließt. In Artikel 59, Absatz 1, Satz 1 heißt es: "In allen öffentlichen Grund-, Mittel-, Höheren- und Hochschulen ist der Unterricht unentgeltlich." Die CDU-Regierung vertritt aber den Standpunkt, dass das Studienbeitragsgesetz der Landesverfassung nicht widerspricht. Dabei stützt sie sich maßgeblich auf ein Gutachten des Staatsrechtlers Christian Graf von Pestalozza (Freie Universität Berlin), der in einer Expertise für das Wissenschaftsministerium sozialverträglich gestaltete Studiengebühren als verfassungsgemäß einstuft. Er bezieht sich auf Artikel 59, Absatz 1, Satz 4: "Das Gesetz kann anordnen, dass ein angemessenes Schulgeld zu zahlen ist, wenn die wirtschaftliche Lage des Schülers, seiner Eltern oder der sonst Unterhaltspflichtigen es gestattet."

Unter Verfassungsrechtsexperten ist das Gutachten von Pestalozza umstritten. SPD und Grüne halten die Rechtsauffassung der Landesregierung für falsch und wollen deshalb gegen das Studienbeitragsgesetz vor dem Staatsgerichtshof klagen.

Georg Kronenberg



Copyright © 2006 by Marbuch Verlag GmbH