Express Online: Thema der Woche | 27. Juli 2006

"Politische Grabenkämpfe" um Helmut Schmidt

Als Krisenmanager bekannt
Der 1918 in Hamburg geborene Helmut Schmidt wurde bundesweit durch seine Rolle als Krisenmanager während der Hamburger Sturmflut im Februar 1962 bekannt. Er war damals Innensenator der Hansestadt. In der Folge wurde er Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion (1967 bis 1969), Bundesminister der Verteidigung (1969 – 1972) und Bundesminister der Finanzen (1972 – 1974).
Nach dem Rücktritt von Willy Brandt wurde Schmidt 1974 zum Bundeskanzler gewählt. Zu den Herausforderungen seiner Amtszeit zählten die Ölkrise und der Terrorismus der Roten Armee Fraktion, gegen die er eine unnachgiebige Linie verfolgte. Er gilt als Initiator des umstrittenen Nato-Doppelbeschlusses. 1982 wurde er von Helmut Kohl abgelöst.
Seit 1983 ist er Mitherausgeber der Wochenzeitung "Die Zeit". Im Gegensatz zur aktuellen Parteilinie gilt er als entschiedener Gegner eines EU-Beitritts der Türkei und wendet sich gegen den Ausstieg aus der Atomenergie.
Gesa Coordes
Altbundeskanzler Helmut Schmidt erhält die Ehrendoktorwürde des Fachbereichs Gesellschaftswissenschaften und Philosophie der Marburger Universität. "Skandalös" findet dies Abendroth-Schüler Frank Deppe. Auch die Studierenden lehnen die Auszeichnung ab.

Die Hamburger Hochschule der Bundeswehr ist nach Helmut Schmidt benannt. 27 Universitäten von Harvard über Princeton bis Yale haben den Altbundeskanzler mit einer Ehrendoktorwürde ausgezeichnet. Doch in der kleinen Universitätsstadt Marburg wird die geplante Ehrung äußerst kontrovers diskutiert. Jetzt hat sich die Mehrheit des Fachbereichsrats mit sieben von neun Stimmen nun doch dafür ausgesprochen, Schmidt den Ehrendoktor der Philosophie zu verleihen. Die nicht abstimmungsberechtigten Studierenden halten dies aber für falsch: "Mit dieser Ehrendoktorwürde werden politische Grabenkämpfe ausgetragen", sagt der stellvertretende AStA-Vorsitzende Juko Marc Lucas: "Das ist ein Zeichen dafür, dass sich die Zeiten am Fachbereich ändern."

Das Marburger Institut für Politikwissenschaft, das zum Fachbereich gehört, galt nämlich einst als "rote Kaderschmiede". Jahrelang lehrten in dem von Wolfgang Abendroth geprägten Fach vier Marxisten unter den Professoren. Jetzt geht mit Frank Deppe der letzte Abendroth-Schüler in Rente. Der Politikwissenschaftler ist denn auch der härteste Kritiker der Ehrendoktorwürde für Helmut Schmidt. Die Auszeichnung bedeute eine öffentliche Distanzierung des Fachbereichs an seiner Geschichte: "Sie wollen nach außen zeigen, dass Marburg marxismusfrei ist", sagt Deppe. Damit solle ein Kontrapunkt zu den Positionen Abendroths gesetzt werden. Schließlich habe sich der Fachbereich früher oft gegen die Politik Helmut Schmidts – etwa beim Nato-Doppelbeschluss – gewandt.

Wissenschaftliche Gründe für die Ehrung kann der Politikwissenschaftler nicht entdecken, weil Helmut Schmidt im Fach Philosophie zu wenig zu bieten habe. Auch die Studierenden und der zweite Vorsitzende der Deutschen Kant-Gesellschaft, Manfred Baum, beurteilen dies ähnlich. Allerdings hat Philosophieprofessor Peter Janich als Initiator des Verfahrens mit dem ehemaligen Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin, dem Politikwissenschaftler Karl Dietrich Bracher und dem kritischen Philosophen Jürgen Habermas hochkarätige Gutachter aufgeboten. Andere Mitglieder des Fachbereichsrats halten die Diskussion daher für "eine Schlacht von vorgestern". "Die Fronten verlaufen nicht mehr zwischen rechts und links", sagt Dekan Dirk Kaesler: "Sie verlaufen zwischen Universitäten und Instituten."

In der Begründung für die Ehrung des Spitzenpolitikers heißt es: "Das der Aufklärung verpflichtete Fach Philosophie erkennt in Helmut Schmidt den Philosophen im Politiker." Sein Handeln zeige eine sichere Orientierung an den Prinzipien unabhängigen Vernunftgebrauchs und moralischer Selbstverpflichtung. Sein unermüdliches Plädoyer für Vernunft und Verantwortung im Handeln lasse Philosophie für die Menschen praktisch werden.

Wann der 87-jährige Schmidt die Ehrendoktorwürde erhält, steht noch nicht fest. Zu der Marburger Kontroverse will sich der Altbundeskanzler nicht äußern. "Zu so etwas nimmt Herr Schmidt prinzipiell keine Stellung", hieß es aus seinem Büro.

Proteste seien aber zu erwarten, kündigen die Studierenden an: "Der Konflikt wird noch weitergehen."

Gesa Coordes


Express Online: Thema der Woche | 27. Juli 2006

Slammen und Sprayen

HipHop hat in Gießen nicht minder starken Zulauf wie im Rest der Republik. Schon seit 1984 gibt es in der Weststadt eine Art Workshop für Insider. Am 29. Juli finden dort, im Jugendtreff "Holzpalast" und im "MuK", eine Graffiti-Battle und eine Jam statt.

Wenn am Samstagmittag die Startschüsse für den mittelhessischen Hip-Hop-Event schlechthin fallen, wird das weit über die hessischen Landesgrenzen hinaus für Aufsehen sorgen. Zumindest in Szenekreisen. Was einst mit einer Eigeninitiative Gießener Jugendlicher begann, ist mittlerweile zu einer festen Größe in der deutschlandweiten HipHop-Kultur von Flensburg bis Garmisch geworden. Ab 14.00 Uhr findet in Gießen der mitteldeutsche Entscheid des Graffitiwettbewerbs "MTN Stylecombat" statt. Graffitikünstler aus dem gesamten Bundesgebiet werden dabei gegeneinander antreten und von einer fachkundigen Jury auf ihr Können beurteilt.

Was da bei der Pressekonferenz für Kulturdezernent Kaufmann eher nach einem "Sammelsurium von Fremdworten" klingt, macht für die Hip-Hop-Künstler natürlich in jedem Detail Sinn. Vom Sprühkopf bis zur graphischen Gestaltung sind alle Ausdrücke codiert. Doch als rhetorischer Schutzmantel gegenüber der Exekutive ist diese Wortwahl schon lange nicht mehr gedacht, denn auch den Gießener Veranstaltern geht es darum, Graffiti aus dem Schatten der Illegalität ans Licht der Öffentlichkeit zu holen und insgesamt tu betonen, dass HipHop nicht gleich zwangsläufig aus sozialen Brennpunkten kommen muss.

Mit Unterstützung des Diakonischen Werkes Gießen laden die Veranstalter alle Szenekenner wie Neugierigen herzlich ein. Zwei Merkmale der Subkultur sollen nach Angaben der Organisatoren im Vordergrund stehen: Graffiti und der szenetypische Sprechgesang, der Rap, der eben nicht gleichzusetzen ist mit HipHop an sich, der aus mehreren künstlerischen Komponenten besteht.

Und die ganze Szene schaut bei diesem Event auf Deutschland, denn Gießen ist in Sachen HipHop "eine Vorreiterstadt", so die Sozialarbeiter Cornelius Lenz und Christine Weber, die den mittlerweile etablierten, einmal die Woche stattfindenen Hip-Hop-Treff in der Weststadt betreuen. Hier wird am Mittag und Nachmittag des 29. Juli auch die Graffiti-Battle in zwei Disziplinen stattfinden. Gastgeber und Moderator wird der Lokalmatador und legendäre Gießener Sprayer Scid Da Beat sein. Jeweils in 2er- und 4er-Buchstabenkombinationen wird die Jury die Teilnehmer bewerten, ein Freestyle-Zelt rundet das Unterhaltungsangebot rund um den Jugendtreff "Holzpalast" passend ab.

Weitere Infos: www.hiphop-giessen.de

Rüdiger Oberschür



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