Express Online: Thema der Woche | 20. Juli 2006

Fakt und Fiktion

"Die Kirche muss sich vor diesem Buch nicht fürchten", sagt der Althistoriker Jürgen Spieß und nutzt den Bestseller "Sakrileg" als Chance, Interesse an Religionsgeschichte zu wecken.

Seit zwei Jahren steht Dan Browns Sakrileg auf der Bestsellerliste, vor kurzem ist das Buch in der Verfilmung mit Tom Hanks und Audrey Toutou in die Kinos gekommen und bringt Gläubige vor allem in den USA gegen sich auf. Der Marburger Althistoriker Jürgen Spieß ist zwar Leiter des zur Evangelischen Studentenmission gehörenden Instituts für Glaube und Wissenschaft, das es sich zum Ziel gesetzt hat, den Dialog zwischen Glaube und Wissenschaft zu fördern. Zornig macht ihn das Buch allerdings nicht. "Das ist spannend zu lesen", sagt er: "Aber es ist ein Roman."

Spieß nutzt den Bestseller als Chance, Interesse an Religionsgeschichte zu wecken. Christliche Gruppen an sieben Universitäten in Deutschland haben den Althistoriker eingeladen, um über Fakt und Fiktion bei Browns Sakrileg zu sprechen. Schließlich behauptet Brown schon in seiner Vorbemerkung, dass alle erwähnten Dokumente wirklichkeits- und wahrheitsgetreu widergegeben worden seien.

Seriös recherchiert sei das 600-Seiten-Werk allerdings nicht, sagt Spieß, der sich vor allem die historischen Themen vorgeknöpft hat. So ist der römische Kaiser Konstantin im "Sakrileg" der Bösewicht, der im 4. Jahrhundert Tausende von Handschriften vernichten ließ, die vom sterblichen Jesus berichteten, der mit Maria Magdalena verheiratet und ein Kind gezeugt haben soll. Um seine Macht zu sichern, habe Konstantin Jesus auf dem Konzil von Nicäa zum Sohn Gottes erklärt. Auf dem Konzil von 325 ging es aber nur um die Frage, wie die Göttlichkeit Jesu zu verstehen sei – als wesensgleich oder wesensähnlich –, korrigiert Spieß. Die Grundfrage stand gar nicht zur Debatte. Nach den überlieferten Briefen sei es auch eindeutig, dass der angebliche Heide Konstantin vom christlichen Glauben überzeugt gewesen sei.

Dass Jesus und Maria Magdalena verheiratet waren – im Sakrileg eines der bestgehüteten Geheimnisse der Kirche -, sei ebenfalls sehr unwahrscheinlich. Brown erklärt dies mit einem Abschnitt aus dem Philippus-Evangelium, in dem von Maria Magdalena als "Gefährtin" von Jesus die Rede ist. "Jeder, der des Aramäischen mächtig ist, wird ihnen bestätigen, dass das Wort Gefährtin in jenen Tagen nichts anderes als Ehefrau bedeutet hat", erklärt der Wissenschaftler Teabing im Buch. Nur: Das Original ist in Koptisch verfasst. Auch die Behauptung, dass es nach den Anstandsregeln der damaligen Zeit einem jüdischen Mann praktisch verboten war, unverheiratet zu bleiben, ist falsch. Es habe ganze Gruppen gegeben, die keine Ehe eingegangen seien, weiß Spieß. Auch Johannes, der Täufer, und Paulus seien nicht verheiratet gewesen.

Die "Prieuré de Sion" gibt es tatsächlich. Allerdings geht sie nicht auf das Mittelalter zurück, sondern wurde 1956 nach dem Mont Sion in der Nähe von Annemasse in Hochsavoyen gegründet, wo der im Buch erwähnte Gründer Pierre Plantard lebte.

Der Rechtsaußen, der sich als Nachkomme Maria Magdalenas positionieren wollte, war es auch, der gemeinsam mit zwei Komplizen die "Dossiers secrets" fälschte, die heute tatsächlich in der Nationalbibliothek Frankreichs liegen. Darin findet sich auch der angebliche Nachweis für die Heirat und die Liste der Großmeister der Prieuré. Dass es sich bei den Dokumenten um Fälschungen nach der Art der Hitler-Tagebücher handelt, sei bereits seit 1967 bekannt, berichtet Spieß. 1984 haben dies die drei Urheber sogar vor Gericht zugegeben. Kommentar von Jürgen Spieß: "Man kann das nur mit Humor betrachten."

Gesa Coordes



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