Express Online: Thema der Woche | 1. Juni 2006

Immer mehr Härtefälle

Nach der Prognose der hessischen Asten werden die geplanten Studiengebühren dazu führen, dass noch mehr Hochschüler in finanzielle Not geraten. Schon jetzt sind die Sozialberatungen der Asten zum Teil völlig überlaufen. In Marburg hat sich die Zahl der Härtefälle verzehnfacht.

Bei den Marburger AStA-Sozialberatern Susanne Jasper und Mike Kötter landen die, die durch alle Raster fallen. In Tränen aufgelöst mit der frischen Ablehnung des Bafög-Amtes in der Hand fragen sie, wie sie in Zukunft ihr Studium finanzieren können: Da sind die Studienfachwechsler, die nicht ahnten, dass es sie den Baföganspruch kosten könnte. Da ist die Schwangere, die den Fehler gemacht hat, laut zu prognostizieren, dass sich ihr Studium durch das Kind um mehr als drei Semester verlängert – daraufhin flog sie ganz aus dem Bezug der Studienunterstützung. Da sind die Chemie- und Pharmaziestudenten, die es – wie fast alle Kommilitonen – nicht schaffen, ihre Zwischenprüfung nach vier Semestern abzulegen. Schon im fünften Semester verlieren sie ihren Anspruch auf Bafög.

Nicht besser ergeht es den Lehramtskandidaten mit mehreren Fächern. Dass sich ihre Zwischenprüfung verzögert hat, weil verpflichtende Lehrveranstaltungen zeitgleich stattfanden, gilt nicht als Entschuldigung. "Bestimmte Studiengänge können nicht in der Regelstudienzeit studiert werden", weiß Susanne Jasper. Doch die Betroffenen stehen dann nicht selten "ohne einen Pfennig da" – mitunter schon im fünften Semester, oft auch in der Examensphase, wenn sie kaum nebenbei arbeiten können.

Wer keinen geeigneten Job findet, dem bleibt oft nur noch der Gang zum Sozialamt. Doch um Arbeitslosengeld II zu erhalten, müssen sich die jungen Leute exmatrikulieren: "Viele brechen dann zwangsweise ihr Studium ab", berichtet Sozialreferent Roman George.

Dass immer mehr Studierende finanzielle Probleme haben, liest der Marburger AStA auch an seinem Härtefallfonds ab. Innerhalb von nur drei Jahren hat sich die Zahl der bewilligten Härtefälle fast verzehnfacht. 250 Studierenden konnten in diesem Semester nachweisen, dass sie abzüglich Miete und Krankenversicherung über weniger als 230 Euro im Monat verfügen. Der AStA kann ihnen aber nur 95 Euro pro Semester erstatten – davon können die meisten gerade einen Monat lang ihre Krankenkassengebühren zahlen.

Es kommen viele Studierende zu uns, die weniger Geld als ein Arbeitslosengeld-II-Empfänger haben", erzählt Sozialberater Mike Kötter. Um die vielen Ratsuchenden beraten zu können, hat der AStA in Marburg die Öffnungszeiten der Sozialberatung auf sechs Stunden pro Woche ausgeweitet.

Mehr Sozialberatung bieten in diesem Semester auch die Asten von Darmstadt, Kassel und Gießen. Nach Einschätzung der Darmstädter Sozialreferentin Luisa Bellmann hat sich die Zahl der Anfragen in den vergangenen drei Jahren verdoppelt. Der Kasseler AStA-Vorsitzende Lars Gumprecht hat vor allem Probleme bei den fortgeschrittenen Studierenden festgestellt, die immer häufiger Studienkredite benötigen.

In Gießen hat es ein Jahr lang keine AStA-Sozialberatung gegeben, weil niemand die Aufgabe übernehmen wollte. Ab Juni soll sich dies wieder ändern: "Sozialberatung gehört zu den härtesten und unangenehmsten Jobs", erzählt Finanzreferent Eric Baumann: "Da wird man oft vor Probleme gestellt, die einfach nicht zu lösen sind."

Dagegen wurde die Sozialberatung des Gießener Studentenwerks in den vergangenen Jahren ausgebaut. Sie wendet sich an alle Studierenden in Problemsituationen, vor allem junge Eltern, ausländische, behinderte und chronische kranke Hochschüler. Um die Nöte der ausländischen Studierenden zu lindern, die keinen Anspruch auf Bafög und besondere Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt haben, hat das Studentenwerk das Projekt "Wohnen zur Mithilfe" gestartet, das den Hochschülern kostenlosen oder vergünstigten Wohnraum bescheren soll. Im Gegenzug helfen die jungen Leute ihren Vermietern bei der Hausarbeit, kümmern sich um den Nachwuchs oder pflegen den Garten.

Gesa Coordes



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