Express Online: Thema der Woche | 30. März 2006

Kumulieren, panaschieren, absentieren in Marburg

Die Kommunalwahlen sind vorbei, aber wie sind sie ausgegangen? Das neue Wahlrecht, das nach seiner Premiere im Jahr 2001 nun zum zweiten Mal in Hessen angewandt wird, eröffnet den Wählern eine Vielzahl von Möglichkeiten – und verlangt den Kandidaten eine Menge Geduld ab.

Nachdem die Geschäfte an diesem verkaufsoffenen Sonntag zugemacht haben, wird es im Rathaus allmählich interessant. Um Punkt halb sieben liegen aktuelle Zahlen aus dem ersten Wahlbezirk vor: Das Bürgerhaus Dilschhausen meldet 54,2 Prozent für die CDU, gut 35 für die SPD, an die Grünen, FDP und Linke sollen jeweils 2,7 gehen, und 2,5 Prozent wollen die APPD in der Stadtverordneten-Versammlung sehen. So richtig freuen mag sich darüber aber keiner, denn repräsentativ sind diese Zahlen natürlich nicht. Allein in der Ecke der Anarchisten brandet Jubel auf. Bliebe es bei über zwei Prozent, hätte die Pogo-Partei ihr Wahlziel erreicht.

Nach und nach versammelt sich im historischen Saal des Rathauses ein sehr gemischtes Publikum. Vertreter von CDU und SPD erscheinen im edlen Dreireiher, die Mitglieder der APPD dagegen trifft man stets mit Bier in der Hand an und auf ihren T-Shirts präsentieren sie die Slogans "Arbeit ist Scheiße" und "Politik ist Scheiße". Eines gemeinsam haben sie aber dann doch: Jede Fraktion will ein gutes Resultat erzielen. Stadträtin Kerstin Weinbach von der SPD etwa fände 36 Prozent für ihre Partei ganz in Ordnung, hofft aber, noch weiter zulegen zu können. Die 20-Prozent-Marke hat Franz Kahle anvisiert. Als Bürgermeister von Marburg ist er zuversichtlich, für die Grünen ein "Sympathie- und Inhaltsträger" zu sein. Bereits über zehn Prozent der Stimmen wäre die Studentin Astrid Kolter "völlig begeistert", da sie dann gute Chancen hätte, für die Linke ins Stadtparlament einzuziehen. Auch Philipp Stompfe, Spitzenkandidat der Jungen Union, kann sich mit dem vorläufigen Trend anfreunden. Die aktuellen 32,8 Prozent sieht er als "ein gutes Zeichen für uns". Ein Ergebnis von zwei Prozent hält der Landesvertreter der APPD, Christian Meinecke, für realistisch. Zusammen mit der "Krebszelle Marburg", wie die Fraktion sich selbst nennt, will er sich nicht nur äußerlich, sondern auch programmatisch von den anderen Parteien unterscheiden: "Wir machen keine leeren Wahlversprechen. Wir sagen gleich: Wir wollen das Geld der anderen.

Etwa alle drei Minuten werden nun die aktuellen Trends in Form von bunten Säulen-diagrammen auf eine Leinwand projiziert und von Wahlleiter Helmut Hofmann erläutert. Kandidaten verschiedener Parteien, Vertreter der Presse und andere Interessierte verfolgen die Berechnungen gespannt. "Die Trendergebnisse werden vager sein als 2001", gibt Wahlleiter Hofmann dabei zu bedenken. Denn anders als bei der letzten Kommunalwahl werden diesmal zunächst nur diejenigen Stimmzettel gezählt, bei denen lediglich eine "Kopfstimme" vergeben wurde. Das ist dann der Fall, wenn die Wähler aufs Anhäufen und Verteilen der Stimmen verzichtet und ganz einfach eine Liste angekreuzt haben. Wie verlässlich die so ermittelten Zahlen sind, kann auch Hofmann nicht sagen. Die amtlichen Endergebnisse für die Wahlen des Stadt- und Kreisparlaments sowie der Ortsbeiräte sollen bis Mitte der Woche feststehen. Bis dahin bleibt, wie in der Politik so oft, nur eins: warten.

Tina Heppenstiel


Express Online: Thema der Woche | 30. März 2006

Kumulieren, panaschieren, absentieren in Gießen

Bei den hessischen Kommunalwahlen 2006 ist die Wahlbeteiligung dramatisch gesunken. In der Stadt Gießen fanden am vergangenen Sonntag nur noch 38% der Wahlberechtigten den Weg zu den Urnen, im Landkreis waren es 44,5%

Zum zweiten Mal durften die Hessen am vergangenen Sonntag nach dem neuen Wahlrecht ihre künftigen Vertreter in den Gemeinden und Kreisen wählen. Vorbei sind seitdem die Zeiten, wo das endgültige Wahlergebnis am selben Tag feststand. Lediglich einen Trend konnten die Besucher der öffentlichen Präsentation am vergangenen Sonntag in der Kongresshalle abends mit nach Hause nehmen. Am Wahlabend wurden nämlich nur die Stimmzettel gezählt, auf denen nur ein Listenkreuz war und von den neuen Möglichkeiten des Kumulierens und Panaschierens kein Gebrauch gemacht wurde.

Dies hielt viele der politisch Aktiven in der Universitätsstadt aber nicht davon ab, sich einen ersten Eindruck in der Kongresshalle zu verschaffen. Und so füllte sich das Foyer im Laufe des Abends. Bei Essen und Getränken verfolgten viele die aus den Wahllokalen eintreffenden Trendergebnisse, die mittels zweier Videobeamer an die Wand projiziert wurden. Als gegen 18.45 Uhr die Ergebnisse des ersten Wahlbezirks in der Stadt, dem Wilhelm-Liebknecht-Haus, auftauchten, war die Freude bei der SPD und der Linkspartei groß. Die SPD kam hier auf 42,8 Prozent und die Linkspartei auf 14,3. Doch schnell sanken diese Werte bei den nachfolgenden Wahllokalen wieder.

Am Sonntagabend kamen nach Auszählung der Listenkreuze in der Stadt für alle 70 Wahlbezirke die CDU auf 37,0 Prozent, die SPD auf 32,5, die Grünen auf 13,9, die FDP auf 5,7 Prozent, die Freien Wähler auf 3,0 Prozent, Die Linke auf 6,0 Prozent, die Bürgerliste Gießen auf 1,9 Prozent und die Ein-Mann-Liste ABG auf 0,0 Prozent. Gefragt nach einer Einschätzung dieses Trends, sah CDU-Spitzenkandidat Klaus Peter Möller den Kurs der CDU-geführten Regierung in Gießen bestätigt, dies zeige sich auch in dem guten Abschneiden der FDP. Allerdings seien am Wahlabend lediglich 30 bis 50 Prozent der Stimmzettel ausgezählt worden, so dass durchaus noch einige Veränderungen möglich seien.

Positiv werteten die beiden Spitzenkandidaten der SPD, Gerhard Merz und Dietlind Grabe-Bolz, "dass die bürgerliche Koalition offenbar keine Mehrheit mehr hat". Zufrieden zeigte sich auch Harald Scherer, Spitzenkandidat der FDP: "Derzeit sieht es so aus, dass wir in unserem Ergebnis bestätigt werden." Als erschreckend bezeichnete Scherer allerdings das hohe Abschneiden der Linkspartei.

Die Linkspartei trat bei diesen Kommunalwahlen erstmals als gemeinsames linkes Bündnis mit Kandidaten aus PDS, WASG, DKP, der Demokratischen Linken Liste an der Universität, sowie Parteilosen an. "Wenn es so bleibt, sind wir mehr als zufrieden. Damit hätten wir die Prozentzahl fast verdoppelt", so Tjark Sauer, der für die Demokratische Linke auf der Liste der Linkspartei angetreten ist. Man habe lediglich mit einer 5 vor dem Komma gerechnet. Auf Kreisebene war die Linkspartei bislang nicht vertreten, was sich aber nun auch ändern könnte.

Offensichtliche Verluste zeichneten sich bei den Freien Wählern ab. "Wir haben es nicht geschafft, die Wechselwähler zu uns zu ziehen", so der erste Eindruck Heiner Geißlers. Allerdings sah man am späten Sonntagabend auch bei den Freien Wählern noch Potential bei den noch auszuzählenden Stimmen. Optimistisch dem tatsächlichen Endergebnis entgegenblicken konnten auch Elke Koch-Michel, Spitzenkandidatin der Bürgerliste, und Gerda Weigel-Greilich von den Grünen, die mit einem "wenn es so bleibt, wäre es toll für uns" ihren ersten Eindruck umschrieb.

Für den Kreis gab es nach 249 der 252 Wahlbezirken am Sonntagabend folgendes Trendergebnis: CDU 33,8%, SPD 37,1%, Grüne 9,3%, FDP 5,2%, FWG 10,6 Prozent, Linke 4,0%, ABG 0,0%.Als Erfolg dieser Wahl lässt sich sicher festhalten, dass die öffentliche Ergebnispräsentation ins Zentrum der Stadt geholt wurde. Erschreckend dürfte für die Politiker aller Parteien aber die dramatisch gesunkene Wahlbeteiligung um etwa 8,5 Prozent auf nur noch 38% in der Stadt und 45% im Kreis sein

mf



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