Express Online: Thema der Woche | 9. März 2006

Widerstehen lernen

Schon mit 14 Jahren ...
... trinken Jugendliche zum ersten Mal Alkohol. Jeder Vierte der unter 16-Jährigen konsumiert regelmäßig "Alkopops", schnapshaltige Mixgetränke. Jeder Dritte zwischen 12 und 25 Jahren betrinkt sich mindestens einmal im Monat mit fünf oder mehr Drinks. Zurückgegangen ist dagegen der Tabakkonsum der unter 18-Jährigen, von denen nicht mehr jeder Dritte, sondern nur noch jeder Fünfte raucht. Doch qualmt jeder zweite junge Erwachsene über 18. Auch Cannabiskonsum ist unter Jugendlichen weithin akzeptiert. Das Einstiegsalter liegt im Schnitt bei 16 Jahren. Knapp ein Drittel der Jugendlichen und jungen Erwachsenen hatte schon einmal Kontakt mit dieser weichen Droge.
Friedrich von der Hagen
Der erhobene Zeigefinger ist "out": Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing, diskutierte mit Jugendlichen über Alkopops, Joints und anderen Drogen

Vor der Party am Wochenende "vorzuglühen", auf einem HipHop-Konzert einen Joint zu rauchen oder während der Schule in der Pause zum Kippenautomaten zu gehen: Das gehört für viele Jugendliche zu ihrem Alltag. "Deutschland ist Weltmeister", sagt dazu Sabine Bätzing, Drogenbeauftragte des Bundes, – "Weltmeister im Bierkonsum". Die 31-Jährige, nach eigenen Angaben noch nie mit illegalen Drogen in Kontakt gekommen, diskutierte am Sonntag Nachmittag auf Einladung der Jusos mit rund 40 Interessierten in der Milchbar der Marburger Mensa Möglichkeiten, junge Menschen vor Alkohol, Zigaretten und anderen Drogen zu schützen.

Zehn Liter reinen Alkohol trinkt der durchschnittliche Deutsche jedes Jahr. Kein Wunder also, daß die Jugend es ihren Eltern gleichtut und auch ihr Alkoholkonsum steigt. Die Alkoholindustrie steuert ihren Teil bei, indem sie junge Leute mit Mixgetränken an die Alltagsdroge heranführt. Sogenannte "Alkopops" verdecken mit ihrer Süße den bitteren Geschmack, so daß schon 13- oder 14-Jährige Spaß an verdünnten Spirituosen bekommen. Doch diesem Trend konnte bereits mit einer Sondersteuer und gesundheitlicher Aufklärung entgegengesteuert werden, betont Bätzing.

Da der erhobene Zeigefinger "out" sei, setzt sie auf einen Mix aus Prävention und Gesetzgebung. Das größte Problem sei die leichte Verfügbarkeit von Drogen. Daher müssen Jugendliche ermutigt werden, "Nein" zu sagen und sich gegen sozialen Druck zu behaupten. Dies traf die Zustimmung aller Mit-Diskutierenden. Bätzing plädierte für eine solche Stärkung schon im Kindergarten. Die Älteren werden bei Aktionen wie "Quit The Shit" über die Gefahren von Drogen aufgeklärt. Doch entscheidend ist oft ihr Umfeld, was der Schule und den Eltern besondere Verantwortung gebe.

In der Realität trinkt jedoch so mancher Vater mal ein Glas zuviel. Lehrer wie Schüler umgehen Rauchverbote an Schulen mit einem Schritt vor das Schultor. Und warum Jugendliche Alkohol trinken, weiß jeder nur zu gut – um das Flirten zu erleichtern und Hemmungen abzubauen. Doch führen auch die hohe Arbeitslosenquote und empfundene Perspektivlosigkeit zu Drogenmißbrauch. Sabine Bätzing sieht hier besonders die Bagatellisierung des Cannabiskonsums kritisch. Dieser steige massiv an, viele der Konsumenten kifften täglich. Wegen der psychischen Folgen für manche ist Bätzing gegen eine Legalisierung.

Viele der Diskutanten sprachen sich für eine Umrüstung von Tabakautomaten auf Chipkartenbezahlung und eine größere Distanz zu Schulen aus, manche gegen den Verkauf von Alkohol an Tankstellen. Wie schwierig es jedoch ist, sich gegen große wirtschaftliche Lobbys durchzusetzen, zeigt die Ablehnung des Tabakwerbeverbots der EU durch Kanzlerin Angela Merkel. Und dass eine Fußball-WM nicht rauchfrei stattfinden wird, entscheidet in Deutschland nicht Frau Bätzing, sondern immer noch der "Kaiser".

Friedrich von der Hagen



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