Express Online: Editorial | 19. Oktober 2006

The Horror the Horror

Ich habe das Böse gesehen. Am hellichten Tage. Letzte Woche, in der freundlichen Fußgängerzone einer mittelhessischen Universitätsstadt. Da kam mir eine Monstrosität entgegengeschwankt, die just dem Schreckenspantheon eines H. P. Lovecraft entsprungen sein muss.

Der sieben Fuß hohe gedunsene Leib des Unwesens ruhte auf zwei zylindrischen Auswüchsen von einem Fuße Höhe und gleichem Durchmesser. Mit zähem, unbeirrbaren Tritt bewegte sich das Gebilde auf einer dem gesunden Menschenverstand Hohn sprechenden Bahn, den unbeschreibbaren Gesetzen einer nichteuklidischen Geometrie gehorchend. Aus dem oberen Teil wuchsen zwei alptraumhafte Tentakeln, die in blinder Idiotie durch die Luft zuckten und in schlauchartigen, wohl als Greifapparate dienenden polypenhaften Anhängseln ausliefen.

Das Ensetzlichste war nicht der Gang, noch die unsagbar grauenvolle Haltung. Es war das namenlose Zeichen, das die aussätzige Haut der Kreatur bedeckte. Eine schwärende, flimmrig glänzende Darstellung des verbotenen Doppelknoten vom absoluten Nichts, vor dem selbst die Uralten in den kreischenden kosmischen Schlünden erbeben.

Gerade war ich im Begriff, ordnungsgemäß das Bewusstsein zu verlieren, da durchzuckte eine finale, irrsinnige Erkenntnis meine schwindenden Sinne: Es war das überlebensgroße, wahnsinnige Zerrbild einer Laugenbrezel, das im Zeichen einer Back-Snack-Kette für namenlosen ambulanten Werbehorror sorgen soll. Drinnen steckte ein vermutlich freischaffender Kundenbeziehungsmanager. Ein Mensch. Wie du und ich.

Ich rannte um mein Leben. Und Sie erzählen mir bitte nie mehr, Sie hätten einen Scheißjob.

Michael Arlt



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