Express Online: Editorial | 13. April 2006

Baumsterben

Ich möchte mich an dieser Stelle gar nicht über das generelle Für und Wider einer Ketzerbach-Renovierung auslassen. Auch nicht über die gestalterische Qualität des letztlich präferierten Entwurfes. Schnellgestrickte Lösungsvorschläge für die dräuenden Parkplatzprobleme der Anwohner sind mein Ding nicht, ebensowenig, dass auf der neuen, oberirdischen Ketzerbach niemals ein Papierschiffchen fahren wird, da das geplante Rinnsal zwischen die Fahrspuren eingezwängt ist.

Was mir allerdings eine Erwähnung wert scheint, ist die Art und Weise, wie jüngst dem dortigen Baumbestand zu Leibe gerückt wurde. Die Pflege der Platanen war in den dreißig Jahren ihres Daseins, gelinde gesagt, eine stiefmütterliche. Wurzelwerk und Kronen wucherten wild. Und nun verhackte also ein lärmender Maschinenpark die kerngesunden Bäume. Stückchenweise. Von oben nach unten. Der zwischenzeitliche Anblick der 15 verstümmelten Stammrümpfe vermochte einem doch einen Stich zu versetzen.

Es soll hier keiner kitschigen Ökoromantik das Wort geredet werden. Der Baum ist nicht mein Freund, Sicherheit muss sein und verschüttete Milch irgendwann aufgewischt werden. Dennoch: unter Lebewesen war das allemal eine ziemlich unwürdige Angelegenheit.

Findet jedenfalls

Michael Arlt


Express Online: Editorial | 13. April 2006

Nicht jammern

Da streben junge, hoffnungsfrohe Menschen von weit her nach Gießen, um hier gelehrig zu studieren. Haben den Studienplatz vielleicht gar selbst ausgewählt.

Und was wird den Neu-Gießenern in aller Regel von den Alt-Gießenern als Erstes erzählt? Im "wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum Mittelhessens" (Werbung der Tourist-Information) sei nix los, gäb's kaum Kulturangebote, überdies sei die Stadt hässlich usw.

Da wird dann gerne Georg Büchner zitiert: Gießen sei "eine hohle Mittelmäßigkeit in allem". Literaturnobelpreisträger Günther Grass mag Gießen auch nicht, wird kolportiert. Seit er hier vor etlichen Jahren nach einer Lesung zu einer "Fete" gelockt worden sei, die sich als Feministinnen-Party herausstellte: mit dem einzigen Ziel, ihn wegen dem "Butt" in einer Diskussion rund zu machen.

Lokalmasochismus" hat Satiriker Max Goldt mal das Phänomen genannt, dass die Eingeborenen eines Ortes diesen oft – zu unrecht – gering schätzen. Und so wenig ist in Gießen auch gar nicht los, wie die Aufstellung von Veranstaltungsorten in diesem Express beweist. Also, nur Mut liebe Erstsemester, die ihr hier fern der Heimat einen neuen Lebensabschnitt beginnt.

Übrigens: In welcher Stadt leben die "hässlichsten Studenten der Welt"? Klar – in Gießen. Hat Max Goldt auch mal geschrieben.

Georg Kronenberg



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