Express Online: Editorial | 6. April 2006

Mehr Energie!

Wer hätte das gedacht: die Industrie übt sich beim Energiegipfel mit Kanzlerin Merkel und Co. im Schmusekurs und verspricht, man wolle bis zu 70 Milliarden Euro investieren – schon in den nächsten sechs Jahren. Für die Modernisierung von Kraftwerken und Stromnetzen sollen 30 Milliarden Euro ausgegeben werden, für erneuerbare Energien sogar noch mehr, 33 bis 40 Milliarden Euro.

Soviel Harmonie, wo doch im Vorfeld Streit über den Atomausstieg wieder aufgebrandet und ein zähes Ringen über die Laufzeit der deutschen Kernkraftwerke zu erwarten war. Stattdessen klopfen sich die CDU-Kanzlerin und der sozialdemokratische Umweltminister Gabriel sogar noch gegenseitig auf die Schultern und loben den "gelungenen Start" der Gespräche. Was freilich nur möglich war, weil das Kräftemessen zwischen CDU, CSU und SPD über den Ausstieg aus dem Atomausstieg schlicht aufgeschoben wurde.

Die Taktik ist nicht neu und ein prima Beispiel, wie die Bundesregierung unter Merkels Führung seit ihrem Amtsantritt strittige Themen angeht: sie werden erstmal aus Angst vor Auseinandersetzungen in der Koalition vertagt, siehe auch die dringend nötige umfassende Gesundheitsreform. Vordergründig zahlt sich das aus – das Vertrauen vieler Bürger ob der scheinbar so harmonischen Koalitionsarbeit wächst laut den Umfragen. Der alte Aussitzer Helmut Kohl darf wahrlich auf seine Musterschülerin stolz sein.

Georg Kronenberg
Michael Arlt



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