Express Online: Editorial | 23. Februar 2006

Prozesse

Zwischen Pressefreiheit und interkultureller Rücksichtnahme verläuft der Karikaturenstreit. Seit die zwölf Mohammedzeichnungen in der dänischen Jyllands-Posten für Wellen der Entrüstung sorgten, wurde manche Stimme gehört. In Europa klang das eher differenziert, was aus der persisch-arabischen Welt zu uns drang, tönte meist laut und radikal. Welch Hohn etwa, wenn Irans Präsident Ahmadinedschad Satire anprangert und gleichzeitig den Holocaust leugnet.

Doch längst mehren sich gerade im Nahen Osten die leisen Stimmen. Sicher besitzt der Islam heute mehr praktizierende, streng Gläubige als das Christentum, trotzdem sind viele Moslems nicht minder säkular, wie die deutsch-türkische Schriftstellerin Hatice Akyün jüngst während ihrer Gießener Lesung betonte. "Ich kann mir nicht erklären, was diese Leute antreibt", ergänzte Akyün, die aus ihrem Erstlingswerk "Einmal Hans mit scharfer Soße" las, ihrem Publikum im Hinblick auf islamistischen Terror.

Im Iran etwa hat ein Medium wie das Internet längst die Plattform für eine Art digitaler Demokratie gebildet. Verantwortlich für unser Bild von der moslemischen Welt sind bis dato vorwiegend überholte, dafür aber laute Eliten. Die Masse dieser Gesellschaften dagegen ist in Umwälzprozessen längst begriffen und will Frieden und Freiheit – auf gänzlich unspektakuläre Weise.

Rüdiger Oberschür



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