Express Online: Thema der Woche | 6. Oktober 2005

Herbst der Scherzkekse

Wider den Trübsinn der Jahreszeit erlebt Mittelhessen zur Zeit eine Invasion der Lachsalven. Noch nie war in der Region kurz hintereinander eine solch hohe Zahl von Comedians und Kabarettisten zu Gast.

Zwischen Marburg, Wetzlar und Gießen wirbt die oberste Riege deutscher Alleinunterhalter schon seit Wochen um die Gunst des Publikums. Die positive Auslastungsstatistik spricht da deutliche Worte. Doch kann man so viel witzige Kost überhaupt vertragen? Kaya Yanar und Mario Barth legten bereits den Grundstein für einen Herbst der Scherzkekse.

Quasi als Auftaktveranstaltung begab sich Mario Barth mit seinem aktuellen Pogramm "Männer sind Schweine, Frauen aber auch" in der Wetzlarer Stadthalle in den unmittelbaren Nahkampf zwischen den Geschlechtern. Und wer dabei eine Anlehnung an Barths lexikalischen Supercoup aus dem Hause Langenscheidt erwartet hatte, lag vollkommen richtig. Nach einer kleinen Einleitung zur Verkehrsproblematik in deutschen Landen und Barths damit verbundener Anreise in die mittelhessische Region, ging es sogleich in die Vollen.

Wie seine Freundin mit kalten Füßen ihn als schwitzenden Fahrer anfängt aufs Blut zu nerven oder warum sie Flugtickets von Frankfurt aus bucht, obwohl Berlin (laut Barth) doch drei Flughäfen hätte – Das sind die Fragestellungen, die er seinem entzückten Publikum hinwirft, das auf Mittelwelle die ganze Zeit vor sich hin kichert. Die eindimensionale Perspektive aus Sicht des Mannes schien etwaige emanzipierte Mitmenschen ebenso wenig zu stören wie der Aspekt möglicher Entfremdung intergeschlechtlicher Beziehungen durch zuviel Klamauk.

So ganz ohne die üblichen Sketche über Männer und Frauen, mit denen nichts anderes versucht wird, als irreale Idealvorstellungen über die Pärchenwelt zu überspitzen, kommt auch Kaya Yanar in der Marburger Stadthalle nicht ganz aus. Obwohl sein Sujet per festgeschriebenem Fernsehformat ja eigentlich eher ein interkulturelles als intergeschlechtliches ist. Der gut menschelnde und frei jeder political correctness witzelnde Komiker hat sich als Botschafter des multikulturellen Humors ein deutliches Image auf die Fahnen geschrieben. Er, der 32-jährige Komiker, der aus der deutschen Unterhaltungslandschaft gerade wegen seiner türkischen Wurzeln zur Zeit nicht mehr wegzudenken ist, schafft scheinbar mühelos den Brückenschlag zwischen den Nationalitäten und surft, manchmal auch durchaus grenzwertig, auf den ethnischen Klischees von Indien bis Griechenland, von Italien bis zur Türkei und geradewegs über Deutschland. Dabei schwingt auch immer eine ironische Weltsicht mit, die aus einem Blickwinkel vom östlichen Mittelmeerraum zu uns herüber schaut, deren kulturelle Eckpunkte wir dank Filmen wie "Zimt und Koriander" gerade erst langsam zu begreifen beginnen. Privilegierte Partnerschaft hin oder her. So ist auch das Publikum in Marburg weit aus gemischter als zwei Abende vorher in Wetzlar bei einem Mario. Die bunten Ausläufer des Bildungsbürgertums mischen sich hier mit allen möglichen Farben von (Migranten-)Jugend.

Aber für ihn wie für Barth gilt, dass sie nur die Stürmer eines Auftaktspiels waren, das das Zwerchfell erstmal aushalten muss. Willy Astor gastierte in der Folgezeit mit seinem "Wortstudio" in der Gießener Kongresshalle, Max Goldt las schon lange vorher dem auslaufenden Varieté-Sommer in der Marburger Waggonhalle etwas vor, und der bayrische Kabarett-Punk Georg Ringsgwandl trompetete erst kürzlich im Verlauf des Marburger Kabarettherbstes über die Bühne der Stadthalle. Und die Highlights neben den aktuellen Gießener Satiretagen stehen auch Wetzlar noch bevor: Am 15. Oktober kommt Otto im 101. Jahr in die dortige Stadthalle, und Michael Mittermeier gastiert Ende des Monats gleich an zwei Tagen in der wohl doppelt ausverkauften Mittelhessen-Arena.

Rüdiger Oberschür



Copyright © 2005 by Marbuch Verlag GmbH