Express Online: Thema der Woche | 9. Juni 2005

Keine Wunderwaffe

Von der Uni zum Ein-Euro-Job? Ein Interview mit Klaus-Eberhard Völzing, Kundenbereichsleiter der Marburger Agentur für Arbeit

Seit dem 1. Januar 2005 ist der Landkreis Marburg-Biedenkopf für die Vermittlung von Ein-Euro-Jobs zuständig. Während die offiziell als "Arbeitsgelegenheiten" bezeichneten Jobs seitdem durch das Kreisjobcenter vermittelt werden, war in den letzten Monaten des vergangenen Jahres noch die Marburger Agentur für Arbeit (AfA) zuständig.

Express: Herr Völzing, wieviele Ein-Euro-Jobber/innen haben Sie im vergangenen Jahr vermittelt?
Völzing: In Marburg und Stadtallendorf haben wir Ende November 430 Arbeitsgelegenheiten (AG) auf freiwilliger Basis besetzt, bewilligt hatten wir 917. Zur Stunde laufen noch 140 der von uns vermittelten AGs.

Express: Und wo arbeiten die genau?
Völzing: Im Bereich Umwelt und Naturschutz, Garten- und Landschaftsbau, in den Sozialen Diensten, Erziehung, Unterricht und Sport sowie im Bereich Kultur, Büro und Verwaltung. Sie arbeiten z.B. in der Kinder-, Alten- und Krankenbetreuung, schreiben Vereinschroniken oder richten IT-Systeme ein.

Express: Welche Ausbildung haben die Ein-Euro-Jobber/innen?
Völzing: 32 Prozent haben eine gehobene Qualifikation, z.B. ein Studium. Wenn sie es nur auf Marburg beziehen, sind es gut 40 Prozent. 30 Prozent haben mittlere Abschlüsse, also eine Ausbildung, und der Rest sind Arbeitnehmer ohne bzw. mit einfachen Qualifikationen.

Express: Ein großer Batzen der Ein-Euro-Jobber/innen sind Akademiker/innen?
Völzing: Ein Riesenbatzen. Das sind durch die Bank weg Uniabsolventen. Berufsanfänger, für die es wichtig ist Praxis zu kriegen. Da ist eine solche Tätigkeit – früher war es ABM – etwas ganz Wertvolles.

Express: Aber zu schlechten Konditionen ...
Völzing: Zu drastisch schlechteren Konditionen für den Arbeitslosen. Etwas vereinfacht gesagt ist das, was früher ABM war jetzt eine Arbeitsgelegenheit. Das ist für den Träger wesentlich billiger. Bei ABM brauchen Sie im Schnitt eine Finanzierung von 1400-1500 Euro als Eigenanteil der Träger.

Express: Kritiker/innen wie z.B. die Gewerkschaften befürchten, dass die 1-Euro-Jobber/innen reguläre Arbeit verdrängen könnten. Glauben Sie das auch?
Völzing: Da muss man höllisch achtgeben. Das gilt aber nicht nur für die öffentlichen Verwaltungen, sondern auch für den Bereich der Wirtschaft. Wenn z.B. eine Kommune bislang die Grünanlagen von einem Unternehmen des ersten Arbeitsmarktes hat pflegen lassen, dann kann es nicht sein, dass man es jetzt mit Ein-Euro-Jobs macht. Um das zu vermeiden, sollte man die Personalräte als "Wächter der Zusätzlichkeit" in die Entscheidung über Ein-Euro-Jobs mit einbeziehen.

Express: Auf Kreisebene soll ein Fachbeirat bzw. eine Kommission die "Zusätzlichkeit" der Arbeitsgelegenheiten überwachen. Haben Sie beantragte Arbeitsgelegenheiten abgelehnt, die nicht "zusätzlich" waren?
Völzing: Natürlich. Im Schwalm-Eder-Kreis gibt es z.B. ein Altenzentrum, bei dem Aufgaben gemacht werden sollten, die zur Grundpflege gehören. Die sind nicht förderbar. Zuerst müssen alle regulär vorgesehenen Stellen besetzt sein. In Altenheimen gibt es ja bestimmte Schlüssel, auf wieviele Alte etwa ein Pfleger kommt. Das Gleiche gilt für Werkstätten, Behinderteneinrichtungen oder Kindergärten. Auch von der Uni haben wir etwa die Hälfte der Anträge abgelehnt, immer dann, wenn es Standardaufgaben der Uni waren.

Express: In der UB gibt es aber sechs Ein-Euro-Jobber/innen, die Buchnummern vergeben. Früher sind diese Arbeiten von wissenschaftlichen Hilfskräften gemacht worden ...
Völzing: Das hängt vom Einzelfall ab. Wenn eine Personalreduzierung, aus welchen Gründen auch immer, schon vor ein paar Jahren geschehen ist, und es ist einfach keine reale Chance da, hier wieder Stellen zu schaffen, dann denke ich, es ist vernünftig, das mit Arbeitsgelegenheiten zu machen. Aber nicht, in einem zeitlichen Sachzusammenhang Stellen abzubauen und die mit Ein-Euro-Jobbern zu ersetzen.

Express: Könnte das nicht zu einem Selbstläufer werden? Wenn man sich darauf verlassen kann, dass Tätigkeiten, die nicht mehr finanziert werden, doch gemacht werden durch Ein-Euro-Jobber/innen?
Völzing: Da muss man aufpassen. Was Sie eben sagten ist aber der Einzelfall. Sicherlich gibt es Teilbereiche, die früher anders gemacht wurden. Das muss aber nicht heißen mit Planstellen. Dagegen spricht auch, dass das Volumen des Zweiten Arbeitsmarktes in Marburg durch die Ein-Euro-Jobber nicht größer, sondern sogar eher ein bischen kleiner geworden ist. Früher hatten wir 1200 Menschen in ABM und BSHG, heute sind es wesentlich weniger.

Express: Was wird aus den Ein-Euro-Jobber/innen nach ihrer "Maßnahme"?
Völzing: Es gibt es noch keine Verbleibsstudien. Arbeitsgelegenheiten sind sicher keine "Wunderwaffe". Ich denke, dass die Zukunft ganz klar auf dem ersten Markt liegen muss.

Express: Was bringen die Ein-Euro-Jobs dann?
Völzing: Wenn jemand lange Jahre aus dem Beschäftigungssystem draußen ist, hat er Probleme, wieder rein zu kommen. Da ist der Ein-Euro-Job schon gut. Er kann aber immer nur ein Hilfsweg sein. Um die Jobmisere nachhaltig zu beeinflussen, ist die große Wirtschaftspolitik gefragt.

Interview: Petra Schmittner


Express Online: Thema der Woche | 9. Juni 2005

Spiel, das Wissen schafft

Mit mehreren tausend Besuchern allein im Mathematikum waren die diesjährigen Wissenschaftstage "Gießen feiert Einstein" am vergangenem Wochenende ein voller Erfolg.

Die aus ein paar Kabeln, einer Glühbirne, Reiszwecken, zwei Bleistiften und einer Flachbatterie gebastelten Geräte zur Messung der elektrischen Leitfähigkeit sind die Schau. Voller Eifer wuseln 16 Grundschulkinder im Gießener Science-Camp mit den kleinen Apparaten durch den Raum und testen, ob Steine, die Fensterscheibe oder der Tisch Strom leitet. "Das leitet, das leitet", ruft der siebenjährige Joshua voller Begeisterung, als das Glühbirnchen bei seinem Metallfolien-Test zu leuchten beginnt. "Das ist so eine Situation, wo uns das Herz höher schlägt", freut sich Science-Camp-Leiterin Ute Hänsler derweil über den ungebremsten Forscherdrang.

Bereits seit Wochen sind die bei den Gießener Wissenschaftstagen angebotenen Camps in der Kindertagesstätte St. Vinzenz ausgebucht. Und auch im Mathematikum, Hauptveranstaltungsort des Forschungs-Festivals unter dem Motto "Gießen feiert Einstein" am ersten Juniwochenende herrscht Hochbetrieb. Besucher allen Alters stehen etwa vor dem "Einsteinfahrrad" Schlange. Die computeranimierte Radel-Tour durch Tübingen zeigt spektakulär auf einer Großleinwand, wie sich die Welt bei Lichtgeschwindigkeit verändert.

Zwei Räume weiter geht der Weltrekordversuch im Pi-Vorlesen am Samstagabend in seine letzte Runde: 360 Gäste, darunter die Gießener Jugendfeuerwehr, die SPD-Fraktion und zahlreiche Schulklassen, lesen im weltweit ersten Mathe-Mitmachmuseum über hunderttausend Stellen der unendlichen Kreiszahl Pi, die das Verhältnis des Umfangs eines Kreises zu seinem Durchmesser beschreibt. Die fast meditative, 30 Stunden lange Lesung der Zahlenkolonne "ist sozusagen der Anfang der Unendlichkeit", sagt Mathematikums-Leiter Albrecht Beutelspacher. Denn, "auch wenn hier über hunderttausend Stellen vorgelesen werden, haben wir von der Unendlichkeit der Kreiszahl trotzdem fast gar nichts erfasst".

Mit über 50 Events wie dem Einsteinfahrrad, dem Pi-Weltrekord oder Experimenten zur Radioaktivität an der Fachhochschule soll den Besuchern des Gießener Wissenschaftswochenendes komplexe Forschung spielerisch und sinnlich nahe gebracht werden. Schließlich will sich die Stadt mit den seit 2003 jährlichen unter wechselndem Motto durchgeführten Wissenschaftstagen überregional als Bildungsstandort positionieren. Ziel ist, den Tourismus und die Wirtschaft zu fördern und die Identifikation der Einwohner mit den beiden heimischen Hochschulen stärken.

Mit mehreren Tausend Besuchern bei "Gießen feiert Einstein" allein im Mathematikum zieht Sadullah Güleç, Leiter der städtischen Tourist-Information, ein positives Fazit. "Das ist sicher keine Massenveranstaltung, aber das ist auch nicht das Ziel. Wir setzen auf ein interessiertes Publikum, das sich wirklich mit dem Thema Wissenschaft beschäftigen will. Und das ist erfreulicherweise aus allen Altergruppen gekommen." Ähnlich sieht das Mathematikums-Leiter Beutelspacher, der das Wissenschaftsfestival zusammen mit Güleç initiiert hat: "Das ist ein Publikum, das wiederkommt." Güleç denkt derweil über eine Ausweitung der Wissenschaftstage in Zusammenarbeit mit demVerein für Regionalmanagement nach. "Ein Ziel des Regionalmanagements ist, ganz Mittelhessen als Bildungsregion zu positionieren. Eine Vision wären gleichzeitige Wissenschaftstage in Gießen, Marburg und Wetzlar."

Georg Kronenberg



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