Express Online: Thema der Woche | 10. März 2005

"Neue Einfachheit" wider den Trend

Zum achten Mal Acoustic Meeting: Julian Dawson, Dale King und Stefan Rapp geben sich ein Stelldichein am 17. März in der Waggonhalle

Seine beeindruckende Discographie weist 15 Alben seit 1987 auf, mitgerechnet die drei CDs, die er zusammen mit der Akustik-Band Plainsong einspielte: Julian Dawson, von dem Marburger Musikfreunde nicht unbedingt zu hoffen gewagt hätten, dass er im beschaulichen Lahnstädtchen Station machen würde.

Gleichwohl wird er am 17. März in der Waggonhalle seine musikalische Visitenkarte abgeben – im Rahmen des mittlerweile achten "Acoustic Meeting". Also jener vor gut vier Jahren von Musiker und Eventveranstalter Stefan Kissel ins Leben gerufenen Konzertreihe, die durch die Aufeinanderfolge von drei Einzelkünstlern oder auch Duos stets musikalische Abwechslung garantiert. Natürlich mit dem gemeinsamen Nenner akustischer Musik, wie sie Gitarre, Klavier oder Mundharmonika ohne viel technischen Schnickschnack hergeben. Die menschliche Stimme als weiteres "Naturinstrument" nicht zu vergessen.

Und wie bei den vergangenen "Meetings" dürfte es wieder so sein, dass die Akteure nicht nur auf der Bühne zu sehen sind, um dann gleich wieder in der Garderobe zu verschwinden. Sie sind vielmehr zugänglich für das Publikum, lauschen der Musik ihren Kollegen – ein Schwätzchen in der Pause ist immer drin. Kissel erhofft sich wieder eine "atmosphärische Dichte, die gerade durch die gegen den aktuellen Trend wirkende und hiermit im Musikbereich neue Einfachheit erzeugt wird".

Gerade für Julian Dawson und seinen Roots-Rock ist das ein gutes Stichwort: Die Kollegen vom Hannoveraner Stadtmagazin Schädelspalter konstatierten jedenfalls, dass die "Macht des Einfachen" den Singer-Songwriter so stark mache. Der Brite, der unter anderem mit ehemaligen "Can"-Musikern zusammengearbeitet hat oder mit Richard Thompson, gar mit BAP (wie mag das zusammenpassen?), wird in Marburg sicherlich auch Stücke von seiner neuen CD "Bedroom Suite" zum Besten geben.

Während bei Dawson besonders das feinfühlige Gitarrenspiel besticht, zeigt Dale King seine Meisterschaft vor allem an der Mundharmonika. Gerade vor Ort weiß man aber, dass er zudem den Blues in der Stimme hat: In der Waggonhalle wird der aus den USA stammende Marburger ein Heimspiel haben.

Dritter im Bunde ist Stefan Rapp. Der Sänger und Gitarrist präsentiert sowohl ein breites Repertoire von Cover-Perlen zwischen Soul, Blues und Rock, als auch balladenartigen Eigenkompositionen. Rapp, der mit vielen Bands zusammen spielt, durfte auch schon in einer Gottschalk-Show keinen Geringeren als Joe Cocker per Gitarre unterstützen.

The Acoustic Meeting", Volume 8, als gemeinsame Veranstaltung von Stefan Kissel und dem Kulturzentrum Waggonhalle, wird übrigens durch das Kulturamt Marburg unterstützt. Wer zurückdenkt an unvergessliche Abende in dieser Reihe, mit Künstlern und Künstlerinnen wie Elisabeth Carlisle, Sara Spade, Carlos Calvo, Chris Jones oder Christina Lux, der wird dies sicherlich als eine "kulturpolitisch" kluge Entscheidung betrachten.

The Acoustic Meeting, Vol. 8, 17.3., Waggonhalle, 20 Uhr, Einlass ab 19.30 Uhr

Daniel Hajdarovic


Express Online: Thema der Woche | 10. März 2005

Was wusste Dieter Gail?

Demo-Gebühr rechtswidrig / Polit-Aktivistin entlastet
In Gießen wird mit Vorliebe politisch Brisantes juristisch geklärt. Eine gute Nachricht für Freundinnen und Freunde der Versammlungsfreiheit kommt dabei aktuell vom Verwaltungsgericht Gießen: Selbiges hält nämlich die von der Stadt Gießen bei vier Demonstrationen erhobenen Gebühren für rechtswidrig.
Gegner der Gebühren hatten diese neue Praxis von Beginn als Versuch gewertet, "Unruhestifter" mundtot zu machen. Das Gericht geht nun davon aus, dass die Gebühren tatsächlich Bügerinnen und Bürger von der Durchführung einer Demo abschrecken könnten.
Seit gut einem Jahr dürfen in Hessen die Städte und Gemeinden Verwaltungsgebühren von bis zu 200 Euro erheben – aber nur, wenn bestimmte Auflagen notwendig erscheinen. Die Stadt Gießen aber hat unnötiger Weise Dinge zur Auflage gemacht, die vorab schon einvernehmlich zwischen Demo-Anmeldern und Behörden geklärt worden waren.
Eine ähnliche Schlappe mussten die Gießener Behörden kürzlich auch vor dem Amtsgericht einstecken: Das Verfahren gegen die Polit-Aktivistin Simone Ott, die unter anderem als Beinahe OB-Kandidatin Aufsehen erregte, wurde wegen mangelnder Beweise eingestellt. Ott war angeklagt, in zwei Fällen gegen Demonstrationsauflagen verstoßen zu haben. Da es sich bei den Vorwürfen ohnehin um Kleinigkeiten handelte – wie zum Beispiel das widerrechtliche Aufstellen von ein paar Stühlen – , drängt sich die Frage auf, ob der Kostenaufwand, der zu Lasten der Staatskasse geht, wirklich gerechtfertigt ist.
Daniel Hajdarovic
"Es war 'ne geile Zeit", singt die Gießener Erfolgsband Juli. Davon kann der Stadtverordnetenvorsteher derzeit nur träumen. Seinen Angaben über den Einsatz von Zivilpolizisten widerspricht ein Hauptkommissar

Gießens Stadtverordnetenvorsteher Dieter Gail (CDU) ist wegen eines Einsatzes von Zivilpolizisten bei einer Stadtparlamentssitzung unter Druck geraten. Gail will davon nichts gewusst haben. Dagegen steht die Aussage eines Polizisten. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf uneidliche Falschaussage.

Laut Gießener Oberstaatsanwalt Reinhard Hübner gibt es einen Widerspruch zwischen Gails Aussage in einem Amtsgerichtsprozess Ende 2003 und einer neuen Zeugenaussage eines Polizeihauptkommissars. "Der Stadtverordnetenvorsteher sagt, er wusste von dem Einsatz der Zivilpolizisten nichts. Der Polizist sagt, er habe ihn informiert." Zu dieser Diskrepanz solle Gail gehört werden.

Konkret geht es um den Ablauf einer fast zwei Jahre zurückliegenden Parlamentssitzung: Am 27. März 2003 hatten Demonstranten gegen CDU-Bürgermeister Heinz-Peter Haumann (heute Oberbürgermeister) im Plenarsaal ein Transparent entrollt und den Ablauf der Stadtverordnetensitzung gestört. Der Stadtverordnetenvorsteher lies uniformierte Polizei herbeirufen, die die Protestierenden entfernte.

Von der Rechtsabteilung der Stadt wurde später Anzeige wegen Hausfriedensbruch gestellt. Weil aber schon weit vor den Störungen vier Zivilpolizisten auf den Zuschauerbänken im Parlament saßen, hatte die SPD-Opposition in der Sitzung kritisch nachgefragt, ob Stadtverordnetenvorsteher und Magistrat darüber informiert gewesen seien. Gail verneinte dies sowohl vor dem Parlament als auch beim Amtsgerichtsprozess im Dezember 2003 gegen einen der Störer.

Der Politaktivist aus dem mittelhessischen Reiskirchen wurde damals wegen gefährlicher Körperverletzung, Beleidigung, Widerstand gegen Vollzugsbeamte, Sachbeschädigung – und den Störungen im Parlament zu neun Monaten Haft verurteilt. Inzwischen steht Ende März der Berufungsprozess an.

Und genau in diesen Prozessakten steht die pikante Zeugenaussage des Leiters der zivilen Polizeigruppe. Die Polizei selbst hatte nach der Sitzung wegen der SPD-Kritik erläutert, dass es sich um einen "ad hoc"-Einsatzgehandelt habe: Wegen kurzfristig eingegangener Informationen über mögliche Sitzungsstörungen seien die Beamten zur Beobachtung vor dem Stadtverordnetensaal gewesen. Als einige "polizeibekannte Personen" das Parlament angesteuert hätten, seien die Fahnder gefolgt.

Das war aus der Situation heraus. Deshalb konnten wir im Vorfeld die Parlamentsspitze nicht informieren", unterstreicht Polizeipräsident Manfred Meise. Er sei wegen eines Festaktes seiner Städtepartnerschaft vor Ort gewesen und habe seinen Einsatzleiter dem Stadtverordnetenvorsteher kurz vorgestellt – sei dann aber gegangen, ohne das weitere Gespräch zwischen dem Beamten und Gail gehört zu haben.

Der unter Druck geratene Stadtverordnetenvorsteher beteuert derweil, die Wahrheit gesagt zu haben. Er sieht sich von der PDS und der Bürgerliste Gießen "auf schäbige Weise" diffamiert. Denn beide Fraktionen hatten die unterschiedlichen Aussagen zum Einsatz der Zivilpolizisten zum Thema einer Ältestenratsitzung gemacht. Weil der PDS-Abgeordnete Michael Janitzki anschließend die Angaben des Polizisten sinngemäß öffentlich machte, wittert Gail eine Absprache mit dem erstinstanzlich verurteilten Politaktivisten – in dessen Gerichtsakten sich die Zeugenaussage befindet.

PDS und Bürgerliste machten sich "zum Helfer und Unterstützer von Leuten", deren "Verhalten wohl als anarchistisch bezeichnet werden muss", wettert Gail. Und FWG-Fraktionsvorsitzender Johannes Zippel sieht eventuell sogar die Staatsanwaltschaft gefordert, um aufzuklären, wie der PDS-Parlamentarier an nichtöffentliche Ermittlungsakten kommt. Die winkt aber ab. "Wenn jemand nur sinngemäß weitergibt was er gehört hat, ist das noch keine Verletzung von Dienstgeheimnissen", so Oberstaatsanwalt Hübner.

Georg Kronenberg



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