Express Online: Thema der Woche | 17. Februar 2005

"Man ist sich bei den Typen nie sicher"

Erdmann 3000 am 22. 2. in der Cavete. Bandleader und Saxophonist Daniel Erdmann im Interview über die Helden seiner Jugend, harte Arbeit und Quellen der Inspiration

Daniel Erdmann hat sich mit seiner Band Erdmann 3000 endgültig in die vorderste Front Berliner Jazzleader bewegt. Einerseits ist das Projekt mit individueller Klasse versehen, anderseits funktioniert es höchst erfolgreich nach strikt basisdemokratischen Prinzipien. "Ich schreibe wenige Changes für Frank Moebus, weil der dann trotzdem bessere spielt. Ich schreibe fast nie was für das Schlagzeug, weil John einfach gleich Ideen bringt." Eine traumhafte musikalische Welt soll man meinen, aber sie ist hart erarbeitet. "Ich habe immer versucht meinen Lehrern zu entlocken, wie sie an Musik rangehen. Dann findet man seinen Weg zwischen den anderen. Irgendwer wartet immer mit einer Idee auf die weiterführt." Pünktlich zum Erscheinen der neuen CD 'Welcome to E3k' (Enja 91632) gastiert Erdmann 3000 im Marburger Jazzclub CAVETE.

Express: In Deinem Info über Erdmann 3000 heißt es, in Eurer Musik würden sich Coltrane, Stravinsky und die Dead Kennedys die Hand reichen ... Erzähl mir was über die Dead Kennedys.
Daniel Erdmann: Nun, es gibt Einflüsse, über die man keine Kontrolle hat, Dinge, die dich nachhaltig prägen. Mit 14, 15 habe ich die Dead Kennedys rauf und runter gehört. Auch wenn man das in meiner Musik heute nicht unbedingt sofort erkennt, hat das natürlich einen Eindruck hinterlassen. Die Dead Kennedys sind die Helden meiner Jugend – und ich mag sie noch immer.

Express: Geht es dabei mehr um eine Haltung – vielleicht sogar um eine politische?
Erdmann: Wenn Du so willst. Vielleicht geht es darum, dass man in bestimmten Bereichen einfach kompromisslos sein muss – besonders wenn man etwas Neues schaffen will. Unsere Musik ist dabei allerdings nicht unbedingt politisch. Zumindest nicht vordergründig ...

Express: Wie meinst Du das?
Erdmann: Na, ich verstehe sie schon als Gegenpol zu dem, was man allgemeine Indoktrination nennen könnte. Zu all dem oberflächlichen Gedudel, das einem heute im Fernsehen oder Radio vorgesetzt wird. Diesem seltsamen 'Massengeschmack', der nach gar nichts mehr schmeckt. Das hat alles keine Tiefe, ist leicht zu haben, aber man hat nichts davon. – Vielleicht ist es heute schon politisch, wenn man nach Tiefe strebt, nach so etwas wie Einsichten am Ende. Und da muss man eine ganze Menge für tun.

Express: Was genau?
Erdmann: Wie soll man das beschreiben? Ich habe natürlich wie alle ein paar Jahre nur geübt. Dann kannst du ganz bestimmte Sachen, aber eigentlich kannst du noch nicht spielen. Du musst lernen, auch etwas zu vermitteln, das beim Publikum ankommt. Du musst also letztlich eine ganze Menge an dir selbst arbeiten, Selbstbewusstsein entwickeln. Was nicht heißen soll, dass man irgendwie unkritisch sich selbst gegenüber sein soll. Aber in dem Moment wo man spielt, muss es halt so sein. Sonst funktioniert gar nichts.

Express: Na, wie sich das anhört funktioniert das ja mittlerweile ganz gut ...
Erdmann (grinst): Naja, es ist natürlich auch ein echtes Glück, mit diesen Leuten zu spielen. Die sind eine echte Inspiration.

Express: Womit wir bei Erdmann 3000 wären. Schreibst Du eigentlich für eine Besetzung oder für spezielle Leute?
Erdmann: Auf jeden Fall für d i e s e Band. Es war klar, wer da spielt und für die Band habe ich die Stücke geschrieben. Frank an der Gitarre, da hört man halt einen bestimmten Sound. Was man haben will. Und bei John und Johannes auch. Ich weiß im Endeffekt schon, dass die Leute, denen ich das vorgebe, das so umsetzen werden, wie ich es mir vorstelle.

Express: Wenn man John Schröder zuguckt, hat man den Eindruck, er spielt unwillkürlich das, was ihm durch den Kopf schießt.
Erdmann: Er kennt die Stücke total gut und braucht sich ein Thema nur einmal anzusehen und schon geht's los. Der weiß genau was passiert und was er macht. Das ist alles auch musikalisch total sinnvoll. Manchmal spielt er plötzlich was völlig anderes, das macht dann gerade die Spannung in der Musik aus. – Das gilt übrigens auch für Frank und Johannes. Man kann sich bei diesen Typen eben nie sicher sein. Und das ist gut so, denn dann kommt keine Langeweile auf.

Express: Was hat Eure Musik noch mit dem "klassischen" Jazz, sagen wir mal aus den 60ern zu tun?
Erdmann: Ich sehe da schon Art Weiterentwicklung. Natürlich habe auch ich einen ganzen Schrank voller Platten und Tapes aus dieser Zeit. Das ist so etwas wie eine Grundlage. Aber man kann natürlich nicht die ganze musikalische Entwicklung seit den Sechzigern ignorieren. Anders gesagt: John Schröder spielt manchmal fast schon Drum'n'Bass-artige Sounds. Für mich ist es total wichtig, dass die Musik zeitgemäß, zeitgenössisch ist. Dass sie heute stattfindet und dass sie nicht vor 25 Jahren hätte stattfinden können. Das macht es lebendig.

Express: Was für eine Rolle spielt denn da der Charakter, der Charakter des Instrumentalisten?
Erdmann: Na ja, die Entscheidende, klar. Allerdings passiert nichts im luftleeren Raum. Die Band und ihre Energie ist enorm wichtig. Dass du beim Spielen immer da bist, dass du wirklich die ganze Zeit in der Musik drin bist, auf dem höchsten Niveau. Immer alles geben, egal ob wahnsinnig laut oder leise, immer intensiv.

Express: Inwiefern lebst du in der Berliner Szene?
Erdmann: Mit den Leute, mit denen ich spiele, bin ich ziemlich gut befreundet. Das finde ich auch wichtig. Und die Szene ... Es gibt unterschiedliche Szenen in Berlin, es gibt die Free Jazz Szene und es gibt die Modern Jazz oder Mainstream Szene. Dann gibt es ein paar Leute die aus beiden Elementen was nehmen, vielleicht 20 Leute, die das irgendwie gut machen.

Express: Kannst du mal ein paar nennen?
Erdmann: Rudi Mahall gehört dazu und Aki Takase, Die Enttäuschung und immer wieder Bands in denen jeder mit jedem spielt. Ich finde es eigentlich ziemlich gut, was da gerade passiert. Die Zeiten sind ziemlich gut für solche Musik, man hängt nicht mehr so in stilistischen Beschränkungen.

Express: Wie kommst du denn finanziell hin?
Erdmann: Mein Gott! Wie gesagt: reich wird man natürlich nicht mit der Musik, die wir machen. Aber es geht. Es gibt außerdem immer noch Möglichkeiten, mit Musik einigermaßen gut zu verdienen. Mahall ist z.B. gerade gestern von einer Tour für das Goethe Institut zurückgekommen. – Wobei, wenn man sieht, dass die ihre Sätze auch seit 25 Jahren nicht mehr angehoben haben ...

Daniel Hajdarovic / Louis Moeller


Express Online: Thema der Woche | 17. Februar 2005

Tupolew und Fittipaldi

Gießener Grundschullehrer gewinnt bei Marburger Literaturpreis erstmals ausgelobten Regio-Preis. Hauptpreis an die frisch arrivierte Antje Rávic Strubel für ihren Roman "Tupolew 134"

Keine von den tradierten Größen der Literaturgeschichte – also solche, nach denen stattliche Preise benannt werden – erblickte beim ersten Augenaufschlag das Licht Mittelhessens. Auch tummelt sich der aufstrebende Nachwuchs in der Regel nicht in Lahnnähe. Wenn sich zudem noch die Bevölkerung vor Ort nicht für einen gleichwohl ausgelobten Literaturpreis interessiert, darf diesem wohl der Totenschein ausgestellt werden. So düster sah es jedenfalls aus für den seit 1980 institutionalisierten Marburger Literaturpreis, der unter galoppierendem Publikumsschwund wegzusterben drohte.

Rettung brachte ein neues Konzept, mit dem der Literaturpreis 2005 der Universitätsstadt und des Landkreises Marburg-Biedenkopf an den Start ging. Ergebnis: am 5. und 6. Februar tummelten sich jeweils rund 130 Literaturinteressierte in der Marburger Waggonhalle, um sieben Autorinnen und Autoren aus ihren aktuellen, aber bereits veröffentlichten Werken lesen zu hören. Und um die dreiköpfige Jury, die eben dieses Septett aus den Einsendungen in die engere Wahl genommen hatte, die Texte diskutieren zu hören.

Dies und die Zusammenarbeit mit dem Frankfurter Journalisten und Literaturwissenschaftler Fridtjof Küchemann bzw. seinem Projekt-Seminar an der Philipps-Uni waren die entscheidenden Neuerungen: die Studierenden hatten im Vorfeld den Event geschickt vermarktet und die literarische Potenz der Preiskandidaten herausgestellt.

Die Entscheidung der Jury fiel erst nach den Lesungen und Diskussionen: Den Hauptpreis (Preisgeld 7.500 Euro) gewann schließlich Antje Rávic Strubel für ihren Roman "Tupolew 134", der in den vergangenen Monaten in den großen Feuillertons bereits Furore gemacht hatte. Das umsichtig durchkomponierte Werk behandelt stofflich die reale Entführung eines polnischen Flugzeuges nach West-Berlin: die gewagte Ausreise-Variante eines Mannes und einer Frau aus der DDR Ende der 70er Jahre. Formal fasziniert an "Tupolew 134" die Großmetapher des Schachtes; zum Beispiel als Erinnerungsschacht, der einen objektiv-überindividuellen Blick auf vergangenes Geschehen unmöglich macht.

Neben Rávic Strubel und trugen zum Querschnitt der Sparten, Genres und Schreibweisen der gegenwärtigen deutschen Literaturszene noch Mirko Bonné,Marcus Jensen, Annette Pehnt, Zoran Drvenkar, André Kubiczek und Maike Wetzel ihren Part bei.

Auf den Gewinner des erstmals vergebenen Regio-Preises hatte sich die Jury dagegen schon im August 2004 verständigt, das Ergebnis aber bis zuletzt unter Verschluss gehalten. Der in Marburg geborene und in Gießen lebende Grundschullehrer Jan-Dietrich Kuhl entpuppte sich als glücklicher Sieger. Sichtlich gerührt erzählte er in einer kleinen Rede von der Entstehungsgeschichte seines ausgezeichneten Kinderbuches "König Fittipaldi und das Zauberkissen". Auf der Dernbach-Schule in Herborn-Seelbach (Lahn-Dill-Kreis) haben die Schülerinnen und Schüler im Rahmen eines Projektes selbst zahlreiche Ideen zu dem Buch beigetragen, das auch bereits durch die Kampagne "Deutschland liest vor" geehrt worden war.

Das Kinderbuch erzählt die Geschichte Fittipaldis, der von seinem 94-jährigen Onkel zum Thronfolger berufen wird und schnell deutlich macht, dass er ein unorthodoxerKönig sein wird: Denn er hält nichts von höfischer Etikette oder Klassenschranken. Aber nicht nur der leichtfüßige Text selbst, sondern auch Kuhls Engagement als Lehrer wurde ausgezeichnet, wie die Jury betonte: "Erzählwerkstätten und Kinderbuchprojekte mit Schülern sind die beste Voraussetzung dafür, dass aus Kindern Leser werden."

Für den Regio-Preis, der mit 2.500 Euro dotiert ist, konnten sich Autorinnen und Autoren aus den mittelhessischen Landkreisen bewerben. Wer sich für Kuhls Lese-Projekt interessiert, kann sich unter info@koenig-fittipaldi.de melden.

Daniel Hajdarovic



Copyright © 2005 by Marbuch Verlag GmbH