Express Online: Thema der Woche | 3. Februar 2005

Mehr als nur ein Sektempfang

Marburger Literaturpreis am 5./6.2. inkl. After-Read-Party
Samstag, 5.2. Waggonhalle
14:00 – 18:30 Uhr Eröffnung, öffentliche Lesung und Diskussion der siebenköpfigen Endauswahl
15.00 Uhr: Maike Wetzel
15.45 Uhr: Mirko Bonné
16.30 Uhr: Kaffeepause
17.00 Uhr: Antje Rávic Strubel
17.45 Uhr: André Kubiczek
22.00 Uhr: Party für Literaten, Leser und Hörer, Jurymitglieder, Organisatoren und alle, die kommen wollen. Powered by Projektseminar zum Marburger Literaturpreis am Institut für Neuere Deutsche Literatur und Medien unter Leitung von Fridtjof Küchemann
Sonntag, 6.2., Waggonhalle
11:00 – 13.15 Uhr Fortsetzung der Lesung und Diskussion der Endauswahl
11.00 Uhr: Zoran Drvenkar
11.45 Uhr: Annette Pehnt
12.30 Uhr: Marcus Jensen
Rathaus, Historischer Sitzungssaal
16:00 – 16:30 Uhr: Verleihung des Regio-Preises durch Bürgermeister Vaupel, Jurybegründung und Lesung
16:30 – 17:00 Uhr: Verleihung des Hauptpreises und Laudatio der Jury
Aus dem Marburger Literaturpreis ist ein Festival geworden. Eine Endauswahl von sieben Autorinnen und Autoren stellt sich am Wochenende dem Publikum

Das wird ein Fest!", freut sich Kulturamtsleiter Richard Laufner. Der Marburger Literaturpreis, seit 1980 alle zwei Jahre verliehen, zeigt sich am Wochenende mit neuem Gesicht. Erstmals sind sieben Autorinnen und Autoren nominiert und kommen am 5. und 6. Februar nach Marburg, um sich mit ihrem jüngsten Werk dem Publikum und der Jury vorzustellen. Eine Art Literaturfestival? Warum nicht, schließlich sind die Sieben keine Unbekannten. Dabei stehen sie sicher erst am Anfang ihrer literarischen Karriere.

Am Samstagnachmittag macht die Autorin Maike Wetzel den Anfang. Die Wahlberlinerin lässt ihre lakonischen Kurzgeschichten als Kopfkino über die Seiten flimmern. Wen wundert's? Die junge Autorin schrieb bereits Drehbücher für Kurzfilme und führte auch schon selbst Regie. Auch Wetzels "Lange Tage", Geschichten vom seltsam jungen Erwachsensein in den Kulissen der Vorstadt-Tristesse, haben etwas Filmisches: Wie am Schneidetisch montiert sie Szenen, Schnitte, Sprünge. Das Wesentliche bleibt dabei ungesagt.

Mit Mirko Bonné ist auch ein Lyriker für den Literaturpreis nominiert. Der 39-Jährige kommt mit seinem dritten Gedichtband an die Lahn. Wie der vielseitige Autor auf den Titel "Hibiskus Code" gekommen ist? "Einen Sommer lang", erinnert sich Bonné, "beobachtete ich einen Hibiskusstrauch dahingehend, in welcher Reihenfolge seine Blüten aufblühen, verwelken und absterben. Ich habe versucht, die einzelnen Blütenstadien bestimmten Gedichten zuzuordnen – der Band ist das Ergebnis."

Wie für Mirko Bonné, ist auch für Antje Rávic Strubel ein Lesewettbewerb kein Neuland. Beide waren bereits in Klagenfurt erfolgreich. "Tupolew 134", der vierte Roman der 30-Jährigen aus Potsdam, basiert auf einer wahren Begebenheit: Ende der Siebziger entführten ein Mann und eine Frau ein Flugzeug, auf dem Weg von Danzig nach Ost-Berlin, auf den Westflughafen der geteilten Stadt. Dem oft verharmlosten Mythos DDR hält die Autorin ihren skeptischen Roman entgegen. Und stellt – fast beiläufig – die Frage nach der Funktionalisierbarkeit von Liebe.

Die Guten und die Bösen" – in André Kubiczeks gleichnamigem Roman sind das Freizeitanarchisten mit erotischer Neigung zum Basteln, durch Schokoladenwerbung radikalisierte Terroristen und sprechende Wellensittiche. Satirisch überzeichnete Figuren bevölkern Kubiczeks Berlin, die mehrschichtige Erzählweise verblüfft und verwirrt den Leser. Und unterhält ihn zugleich vortrefflich. Der 35-jährige Autor collagiert absurde Ereignisse zu einem wilden und komischen Panorama gesellschaftlicher Randbereiche.

Zoran Drvenkar hat sich bereits als Kinder- und Jugendbuchautor einen Namen gemacht. In Marburg stellt er am Sonntagmorgen seinen ersten Thriller vor. "Du bist zu schnell" dreht sich um Psychosen, Drogenkonsum und grausame Morde. Drei Freunde erzählen abwechselnd, wie "die Schnellen" in ihr Leben einbrechen. Nur Val sieht sie, aber die Blutspur, die sie hinterlassen, sehen alle. Gehört Marek letztlich auch zu ihnen? Gibt es sie überhaupt? Mit seinem filmischen Schreibstil hält der 37-jährige Autor diese Fragen kunstvoll offen.

Die Reise, die an kein Ende kommt – in ihrem Roman "Insel 34" widmet sich Annette Pehnt einem Thema der Weltliteratur. Auf unkonventionelle Art: Der Sehnsuchtsort, dem diese Reise gilt, hat nicht einmal einen Namen. Dennoch entwickelt Pehnts Heldin eine nie zuvor gekannte, glühende Leidenschaft für die skurrilen nummerierten Inseln vor ihrer Heimatküste. Sie liest, sie forscht, sie reist, nimmt das Müllschiff bis Insel 33. Und dann? "Sehnsuchtsorte dürfen nie wirklich sein", verrät Annette Pehnt mit leisem Lächeln.

Dem Sehnsuchtsort stellt Marcus Jensen in seinem mächtigen Roman "Oberland" die Todessehnsucht gegenüber. Sein Held Jens Behse ist mit 22 dem Tod endgültig auf die Schippe gesprungen und blickt "von oben" auf Abschnitte seines Lebens zurück: im Kindheitsurlaub auf Helgoland, in der frustrierenden Zeit als 14-jähriger Außenseiter und dem Zivildienst, nach dem er sich das Leben nimmt – überall sieht Behse in dieser skurrilen Rückschau die gleichen vier Gestalten.

Nach den Lesungen und Diskussionen, bei denen auch die Stimme des Publikums ihre Geltung haben soll, geht es am Sonntagnachmittag zur Preisverleihung ins Rathaus. 7.500 Euro erhält der glückliche Gewinner, ein mit 2.500 Euro dotierter Förderpreis geht an einen Autor aus der Region. Die Samstagnacht allerdings gehört der Entspannung. In der Waggonhalle wird das Podium beiseite geräumt, die Theke aufgestellt und gute Musik aufgelegt. Zur After-Read-Party. Auch das wird ein Fest.

Michael Möller, Julia Schuster, Gesa Steinbrink, Malte Dreyer, Natalie Reutlinger, Nadja Kraski, Juliane Weber, Sarah Goll

Die Autoren und Autorinnen dieses Artikel sind Studierende des Projektseminars zum Marburger Literaturpreis, das von Fridtjof Küchemann (Institut für Neuere Deutsche Literatur und Medien) geleitet wird.

Projektseminar Literaturpreis


Express Online: Thema der Woche | 3. Februar 2005

Ludoviciana versus Philippina: Eine jahrhundertealte Geschichte der Konkurrenz

Warum der Pokal zum 100-jährigen Jubiläum der Marburger Universität im Gießener Uni-Hauptgebäude steht. Ein Blick in die Historie einer komplizierten Beziehung

Früher haben sie sich wegen ihrer unterschiedlichen Konfessionen regelrecht bekriegt, so dass sogar Professoren vom calvinistischen Marburg ins lutherische Gießen geflüchtet sind. Heute kämpfen sie um ihre Bedeutung als mittelhessischer Forschungsstandort und um ihr wirtschaftliches Überleben.

Die derzeitige Diskussion um die Zukunft der beiden Unikliniken ist kein Phänomen der heutigen Zeit, verrät Eva Marie Felschow, Archivarin der Gießener Justus-Liebig-Universität (JLU). Bereits im 17. Jahrhundert standen die Hochschulen in Konkurrenz zueinander. Ihre Geschichte erzählt ein silberner Pokal, der zum hundertjährigen Jubiläum der Marburger Universität angefertigt wurde. Seltsam nur, dass der Becher der Gießener Uni gehört und seit kurzem das Rektoratszimmer im dortigen Hauptgebäude schmückt.

Dieser Medaillenbecher ist ein wunderbares Zeugnis für die Konkurrenz zwischen den beiden Universitäten", sagt Felschow schmunzelnd. Denn dass der reich verzierte Pokal in Gießen und nicht in Marburg steht, geht auf die verworrene Gründungsgeschichte der beiden Universitäten zurück.

Während Marburg bis heute auf ein Jubiläumsgeschenk zum hundertjährigen Bestehen verzichten muss, gibt es in Gießen gleich zwei davon. Im Jahr 1627 fertigte der Frankfurter Goldschmied Paul Birckenholtz den silbernen Pokal mit den Bildnissen hessischer Fürsten und Landgraf Philipp des Großmütigen anlässlich des 100. Jubiläums der Marburger Universität an. Als erste protestantische Universität hatte der Landgraf die Universität 1527 gegründet, die zunächst für die vier hessischen Teilterritorien Kassel und Marburg sowie Rheinfels und Darmstadt zuständig war.

Doch bereits Ende des 16. Jahrhunderts zeichneten sich zunehmend Spannungen zwischen dem calvinistischen Hessen-Kassel und den am strengen Luthertum festhaltenden Marburger und Darmstädter Fürsten ab. Eine Entwicklung, die sich 1604/05 mit dem Tod Landgraf Ludwigs IV. und der damit anstehenden Marburger Erbschaft dramatisch zuspitzte. Gemäß testamentarischer Verfügung gehörte Marburg künftig zu Kassel, während der südlichere Teil des Territoriums mit Gießen Darmstadt zugeteilt wurde.

Marburg wurde nun calvinistisch, weshalb die lutherisch gesinnten Professoren der Marburger Theologischen Fakultät nach Gießen flüchteten. Dort gründete Landgraf Ludwig V. von Hessen-Darmstadt am 19. Mai 1607 eine Universität, um die lutherische Tradition zu erhalten.

Doch als anlässlich des hundertjährigen Bestehens der Uni in Marburg der Jubiläumsbecher im Jahr 1629 übergeben wurde, befand sich die Gießener Ludoviciana seit vier Jahren dort, da sie nach der Eroberung Marburgs im Dreißigjährigen Krieg dort hinverlagert worden war.

Damit wollte man die ursprüngliche lutherische Tradition in der Stadt fortsetzen", erklärt Felschow. Also nahm die Ludoviciana den Becher entgegen und rückte ihn auch im Jahr 1650 nicht wieder raus, als sie nach Gießen zurückverlegt wurde. Denn schließlich hatte Marburg mit der lutherischen Tradition gebrochen.

Als die Ludoviciana dann im Jahr 1707 ihr hundertjähriges Bestehen in Gießen feierte, nahm sie ohne schlechtes Gewissen auch den zweiten Jubiläumsbecher vom Landgraf Ernst Ludwig entgegen.

So kommt es, dass beide Pokale jetzt das Rektoratszimmer im Gießener Uni-Hauptgebäude schmücken. Nur zum 475-jährigen Jubiläum der Philipps Universität wurde der Becher von 1627 für kurze Zeit nach Marburg verliehen.

Da hatten wir schon Angst, dass wir ihn danach nicht wieder bekommen würden", sagt Felschow lachend. Doch mittlerweile ist Gras über die Sache gewachsen.

Meike Mossig



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