Express Online: Thema der Woche | 20. Januar 2005

"Marburger Weg"

Zur Person:
Egon Vaupel
Der Groß- und Einzelhandelskaufmann wurde 1950 in Schlierbach (Bad Endbach) geboren und arbeitete 22 Jahre in der Finanzverwaltung, davon allein 17 Jahre im Marburger Finanzamt. 1997 zum Bürgermeister gewählt und 2003 im Amt bestätigt, ist der Sozialdemokrat für Schule, Bildung, Kultur, Sport und Bauen zuständig.
Daniel Hajdarovic
Am 30. 01. wird ein neuer Oberbürgermeister gewählt. Zur Auswahl stehen Lutz Heer (CDU; siehe Express Nr. 50/2004), Pit Metz (PDS / Marburger Linke, Express 52/53), Dr. Gregor Huesmann (Marburger Bürgerliste; Express 1/2005), Jan-Bernd Röllmann (FDP und BfM; Express 2/2005) sowie Bürgermeister Egon Vaupel (SPD), der für SPD und Grüne antritt und in dieser Ausgabe vorgestellt wird

Express: Da sie als amtierender Bürgermeister in die OB-Wahl gehen, liegt es nahe, zu schauen, was sie bisher für die Stadt getan oder unterlassen haben. Was ist Ihnen selbst besonders wichtig?
Egon Vaupel: Dass wir den sozialen Frieden in der Stadt erhalten haben. Im ersten Moment klingt das vielleicht seltsam, aber in diesen Zeiten ist das nicht selbstverständlich. Wir sind einen "Marburger Weg" gegangen mit starkem Akzent auf den "weichen" Ressorts: Denn nur mit einer funktionierenden sportlichen, kulturellen und sozialen Infrastruktur kann die Lebensqualität in einer Stadt bewahrt werden. Konkret würde ich aus meiner Zeit als Bürgermeister einmal drei Dinge hervorheben: Zum einen das Aquamar. Das Schwimmbad dient ja nicht nur dem Sport, z. B. als Trainingsgrundlage der Vereine, sondern mit seiner gesundheitsfördernden Wirkung auch der Daseinsvorsorge.

Express: Wenn ich da mal einhaken darf: Es gibt ja auch Kritik am Aquamar. Beim usa-Wellenbad in Bad Nauheim zahle ich weniger Eintritt, habe aber u. a. ein 50-Meter-Becken. War das nicht etwas mutlos, so ein Großprojekt in Angriff zu nehmen und dann nur ein 25-Meter-Becken zu bauen, in dem auch keine Wettkämpfe stattfinden können?
Vaupel: Es war nicht mangelnder Mut, kein 50-Meter-Becken zu bauen. Wir haben uns nach Rücksprache mit den Schwimmverbänden, wie denn der Bedarf in der Region aussieht, und um den notwendigen Spagat zwischen den verschiedenen Nutzergruppen hinzukriegen, für diese Variante entschieden. Wer die 125.000 Euro, die ein großes Becken jährlich an zusätzlichen Betriebskosten verursacht, in die soziale Infrastruktur steckt, hat mehr Mut bewiesen.

Express: Und die anderen beiden Punkte, die Sie hervorheben wollten?
Vaupel: Dass der Weltladen zentral am Marktplatz liegt, wo er hingehört, und dabei nicht nur faire Produkte handelt, sondern auch einen Bildungsauftrag wahrnimmt. Und drittens der feste Platz, den wir für das Deserteursdenkmal in der Frankfurter Straße gefunden haben. Es erinnert sich ja kaum noch jemand daran, was es für heftige Kämpfe gab vor zehn Jahren. Als ich ins Amt kam war das ein heißes Eisen, das niemand anpacken wollte.

Express: Ein anderer Punkt, wo mit mehr Mut vielleicht eine andere Entscheidung hätte getroffen werden können, ist die anvisierte Fronhof-Bebauung zugunsten der Otto-Ubbelohde-Schule: Mit einer Entscheidung für eine KFZ-Konzerthalle in dem ohnehin geplanten Gebäude in der Schulstraße, hätte man dem klammen Kulturladen eine langfristige Perspektive geben können.
Vaupel: Das KFZ ist für mich einer der Leuchttürme in der Marburger Kultur, weshalb mich die aktuelle Situation auch sehr beschäftigt. Im Moment reden wir über die Zusammenarbeit des KFZ mit der Stadthalle, z. B. ob in dieser auch unbestuhlte Veranstaltungen möglich sind. Und das Fronhof-Gelände befindet sich ja nicht nur im Besitz der Stadt. Außerdem haben wir eigens eine Expertise in Auftrag gegeben mit dem Ergebnis, dass eine 300er-Halle, so schön das wäre, nicht sinnvoll ist. Empfohlen wurde dagegen der Ausbau des Gaswerkgeländes am Afföller, was wir ja für Café Trauma und german stage service in Angriff genommen haben.

Express: Apropos: Auch andere Einrichtungen, vor allem im soziokulturellen Bereich, sind in einer schwierigen Lage, wenn darüber auch nicht so viel gesprochen wird wie momentan über das KFZ.
Vaupel: Das ist richtig. Was machen wir beispielsweise mit der Waggonhalle? Auch die Jazzinitiative, über die nicht so viel geredet wird, macht eine ausgezeichnete Arbeit. Ich kann hier nicht alle nennen, und wir werden auch nicht alle Wünsche erfüllen können. Aber für den Haushalt 2006 planen wir mit 100.000 bis 150.000 Euro zusätzlich für den Kulturbereich.

Express: Sie haben vorhin den sozialen Frieden angesprochen. Sowohl Hartz IV als auch die Wiesbadener "Operation Sichere Zukunft" stellt für viele Menschen eine Bedrohung dar. Inwieweit können hier vor Ort Härten abgemildert werden?
Vaupel: Die Stadt wird nie einen Gegenpol bilden können zur Politik von Bund und Land, darf aber vor negativen Folgen nicht die Augen verschließen. Es gibt Beispiele, wo wir gegensteuern: So ist durch die Kürzungen der hessischen Landesregierung die Hausaufgabenbetreuung in der Geschwister-Scholl-Schule weggefallen. Viele Kinder aus dem Waldtal gehen auf diese Schule, ihre Eltern können sich keine Nachhilfe leisten. Wir wollen jetzt die Betreuung mit Hilfe von AKSB und Lehrerkollegium ausbauen. Die Finanzmittel für die räumlichen Voraussetzungen stehen im Haushalt 2005. Und was Hartz IV betrifft: Es kann niemand glauben, dass man Arbeit schafft ohne die Leute zu qualifizieren. Das funktioniert nicht allein über Arbeitsgelegenheiten, bei denen wir einen Pool mit Auswahlmöglichkeiten schaffen müssen, um Freiwilligkeit zu gewährleisten.

Express: Der Bestand an Kindergartenplätzen in Marburg ist passabel. Aber müsste für die Kleinkindbetreuung nicht deutlich mehr getan werden?
Vaupel: Der Bedarf ist nicht wegzudiskutieren. Früher hatte man immer die Einteilung in null bis drei, drei bis sechs Jahre u.s.w.; der heutige Ansatz ist, familiengerechte Lösungen zu finden von null bis zwölf. Im Haushalt 2005 stehen 250.000 Euro zusätzlich: 150.000 für die Null- bis Dreijährigen, 100.000 Euro ab sechs aufwärts.

Express: Mitunter wird von bürgerlicher Seite – auch von einem Teil Ihrer Gegenkandidaten – der grüne Einfluss auf Ihre Politik als Angstszenario entworfen. Es heißt dann: bald haben wir keine Parkplätze mehr und nur noch Tempo-30-Zonen ...
Vaupel: Ganz davon abgesehen, dass es für Eltern kleiner Kinder beruhigend ist, wenn in Ihrem Wohnviertel Tempo 30 gilt (sofern es denn eingehalten wird), würde es für die Unsicherheit der Mitbewerber sprechen, wenn sie sich mehr Gedanken machen, was ich tue, als darüber, was sie tun wollen. Man soll den Leuten keine Angst machen, sondern um ihr Vertrauen werben.

Express: Vielen Dank für das Gespräch.

Interview: Daniel Hajdarovic


Express Online: Thema der Woche | 20. Januar 2005

Präsidenten und Rektoren

Rolf Stieger:
Vom BWL-Fachmann zum Künstler
Schwer zu glauben, wenn man die Malereien von Rolf Stieger sieht, dass er vor seinem Künstlerleben Betriebswirtschaftslehre (BWL) in Gießen studiert hat und im Marketing tätig war. Doch bereits in dieser Zeit tauschte Stieger nach Dienstschluss den schicken Anzug gegen den Malkittel. "Kunst war schon immer meine große Leidenschaft", sagt er. Mit 32 kam dann die große Wende: Stieger hängte seinen Job an den Nagel, zog nach Hamburg, studierte Kunstgeschichte, erarbeitete sich in seinem Atelier überwiegend autodidaktisch sein heutiges Können und finanzierte sich bis zum Ende seines Studiums mit Nebenjobs.
Rolf Stiegers Ausstellung ist bis zum 6. Februar im Uni-Hauptgebäude zu sehen. Eröffnung ist am Freitag, 21. Januar, um 18 Uhr. Weitere Infos unter www.rolf-stieger.de.
Meike Mossig
Mit Hilfe des aus Gießen stammenden Künstlers Rolf Stieger wurde eine Tradition der Justus-Liebig-Universität wiederbelebt: die Verewigung der Hochschulführungskräfte per Gemäldegalerie

Er arbeitet mit Montageschaum, Dichtungsmasse oder Bitumen – einem asphaltähnlichen Baustoff. "Eigentlich ist noch kein Produkt im Baumarkt von mir unentdeckt geblieben und auf seine Malfähigkeit überprüft worden," sagt der Hamburger Künstler Rolf Stieger lachend. Die Industrieprodukte haben es dem gebürtigen Gießener angetan. Aus ihnen gestaltet der 44-Jährige in seinem Atelier auf St. Pauli abstrakte Landschaften. Ab Freitag, 21. Januar, zeigt der Maler im Uni-Hauptgebäude in der Ludwigstraße jedoch nicht nur solche Werke.

Anlass der Ausstellung ist die Rektoren- und Präsidentengalerie in der Uni-Aula der Justus-Liebig-Universität (JLU), die der 44-Jährige im Auftrag der Gießener Uni in den letzten Jahren fertig gestellt hat. Studentenunruhen hatten dieser Tradition in den 60er Jahren ein Ende bereitet. Seit kurzem ist die Galerie mit 20 Gemälden komplett.

Mittlerweile ist es fast sechs Jahrzehnte her, dass der Physiker Karl Bechert am 26. Juni 1945 als erster Gießener Nachkriegsrektor an der Universität tätig wurde. Doch seine Amtszeit sollte nur neun Monate dauern. In schwierigen Zeiten kämpfte der Rektor damals um das Weiterbestehen der Universität in der Stadt an der Lahn, die von Bombenangriffen schwer zerstört worden war. "Neben dem fast verschonten Marburg stand Gießen wesentlich schlechter dar", erklärt die JLU-Archivarin Eva-Marie Felschow.

Becherts Bemühungen blieben vergeblich. Schon bald zeichnete sich ab, dass nur Teile der alten Universität überleben würden. Nach zähen Verhandlungen wurde am 27. Mai 1946 zunächst die "Justus-Liebig-Hochschule für Bodenkultur und Veterinärmedizin" eröffnet, bevor sie erst 1957 den Rang einer Volluniversität erlangte. Kurz zuvor hatte Bechert das Amt des Rektors bereits niedergelegt, um als Professor der Physik an die Universität Mainz zu gehen.

In Gießen scheint Bechert in der darauffolgenden Zeit völlig in Vergessenheit geraten zu sein", sagt die Uni-Archivarin Eva-Marie Felschow. Sein Name fehlt in den Rektorenlisten der Festschrift zur 350-Jahrfeier 1957. Auch als der Gießener Senat im Jahr 1952 beschloss, die Rektoren der Nachkriegszeit malen zu lassen, um akademische Traditionen zu schaffen, und man die Portraits dann in den sechziger Jahren in Auftrag gab, hatte man Becherts Amtszeit als Rektor offenbar vergessen.

Hinzu kamen vor kurzem auch die von Stieger gemalten drei Portraits der Gießener Rektoren Richard Kepp (1965/66), Clemens Heselhaus (1966/67) und Richard Weyl (1967/68). Die Amtszeiten der drei waren stark geprägt von studentischen Unruhen, die althergebrachte Traditionen in Frage stellten. Die Porträtreihe der Gießener Rektoren der Nachkriegszeit brach ab. Erst in den 90er Jahren hat man sich unter den Präsidenten Heinz Bauer und Stefan Hormuth an die Rektorengalerie erinnert und die fehlenden Gemälde bei dem Künstler in Hamburg in Auftrag gegeben – dem Sohn des ehemaligen Leiters des Liegenschaftsamtes der JLU, Hartmut Stieger. Im Jahr 2000 hatte der Künstler bereits die vier Portraits der Rektoren Herbert Kötter (1968-1969), Paul Meimberg (1969-1971 Rektor, 1971-1978 Präsident) und den beiden Präsidenten Karl Alewell (1978-1986) sowie Heinz Bauer (1987-1997) übergeben.

Nicht einfach war es, die letzten vier bereits verstorbenen Rektoren zu malen. Sorgfältig suchte der Künstler in seinem Atelier Fotos aus, welche die Akademiker am besten wiedergaben. Mehrere Entwürfe waren zum Teil nötig und Gespräche mit Angehörigen, um die Professoren in ihrer Ausstrahlung so zu malen, wie sie zu Lebzeiten wirkten.

Meike Mossig



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