Express Online: Thema der Woche | 6. Januar 2005

"100.000 Leute mit der Mistgabel"

Zur Person:
Gregor Huesmann
Seine öffentlichkeitswirksamen (Protest-) Aktionen machten ihn zum vielleicht bekanntesten Apotheker Deutschlands: Dr. Gregor Huesmann, der sich bei Antritt seines Pharmazie-Studiums Anfang der 70er Jahre bewusst für Marburg entschied. Der 57-Jährige – gebürtig in Oberhausen – ist Stadtverordneter für die MBL (Marburger Bürgerliste) und betreibt die Lahn-Apotheke in der Uni-Straße. Huesmann kandidiert als "Parteiloser", weil die MBL keine Partei im engeren Sinne ist.
Daniel Hajdarovic
Am 30. Januar wird ein neuer Oberbürgermeister gewählt. Zur Auswahl stehen Bürgermeister Egon Vaupel (SPD), Jan-Bernd Röllmann (FDP), Lutz Heer von der CDU (siehe Express Nr. 50/04), Pit Metz (PDS/Marburger Linke, siehe Express Nr. 52/04) und Dr. Gregor Huesmann, Kandidat der Marburger Bürgerliste (MBL), den wir in der heutigen Ausgabe vorstellen

Express: Wir befinden uns hier in einer der wenigen seniorengerechten Apotheken Deutschlands. Ist die Seniorenpolitik ein Schwerpunkt ihres Programms?
Dr. Gregor Huesmann: In der Apothekte haben wir natürlich überproportional viele Senioren als Kunden. Und ich habe mir den Stadtentwicklungsplan "Marburg 2020 – Demographischer Wandel" genau angesehen: Nach den Prognosen bleibt uns eine Galgenfrist von 10 bis 15 Jahren, die wir für eine vorausschauende Seniorenpolitik nutzen müssen. Wegen der immer zahlreicheren älteren Menschen brauchen wir eine – möglichst bei der GEWOBAU angesiedelte – Wohnberatungsstelle für Senioren. Auch die alten Menschen müssen in unserer Gesellschaft als Individuen leben können. So ein Altenheim-Klotz wie in der Sudetenstraße gehört abgerissen oder man macht Studentenzimmer draus.

Express: Aber wenn Sie das Gebäude der Stiftung St. Jakob abreißen, verknappen Sie in Marburg den Raum für eine zunehmende Zahl alter Menschen.
Huesmann: Mein Vorschlag ist eine Siedlungsgemeinschaft. In manchen Reihenhausgegenden gibt es fast nur noch alte Menschen, die dort zur gleichen Zeit als junge Leute gebaut hatten. Anstatt diese auf verschiedene Altenheime zu verteilen, sollte die Pflege zu ihnen kommen. Eine Möglichkeit ist die Kombination von Alten und Kindergärten. Die Alten, die Lust dazu haben, könnten bei der Betreuung der Kinder helfen und Lebenserfahrung vermitteln. Die Generationen von Enkeln und Großeltern können besonders gut miteinander. Politik für Alte und Politik für Kinder muss nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Express: Ein anderer Punkt, der in ihrem Programm eine zentrale Stellung einnimmt, ist die Stärkung der Ortsbeiräte. Würde dadurch die Stadtpolitik, die Kompetenzen mit Kreis und Land abklären muss, nicht noch komplizierter?
Huesmann: Es geht nicht um Machtbefugnisse, aber es hindert uns ja nichts, die Ortsbeiräte ihre Vorschläge artikulieren zu lassen. Es gibt in vielen Ortschaften ein eigenes Wir-Gefühl: Schröck etwa ist katholisch-konservativ geprägt, Elnhausen protestantisch-liberal. Die dörflichen Strukturen dürfen nicht vereinnahmt werden und es sollten auch in den Dörfern kulturelle Veranstaltungen stattfinden. Ich finde es übrigens schade, dass das Platt-Sprechen abnimmt. Die Ortsbeiräte sollten jedenfalls ein Rederecht im Stadtparlament bekommen, wie auch der Seniorenbeirat.

Express: In diversen Zusammenhängen haben sie die Forderung aufgestellt: so wenig Stadt bzw. Staat wie möglich. So haben Sie auch auf die Privatisierung der Uni-Kliniken in Marburg und Gießen positiv reagiert und wollen Kultur in Marburg ausschließlich über eine Stiftung finanzieren. Sind Sie neoliberal?
Huesmann: Das ist so ein Etikett. Wir könnten ja sagen: Alles abstoßen, was die Stadt nicht unbedingt selbst machen muss. Aber die Stadtwerke machen Gewinn, also hat es keinen Sinn, alles pauschal zu privatisieren. Und was die Idee einer Stiftung für die Marburger Kultur betrifft: Jeder Künstler muss doch dagegen protestieren, dass wir Politiker Einfluss auf die Kultur nehmen. Aber das tun wir durch die Entscheidung, wem wir wieviel geben. Ich diskutiere im Stadtparlament über das Café Trauma, war aber noch nie drin – und so dürfte es anderen auch gehen. Wenn die Konkurrenz um die Gelder aber in der Stiftung ausgetragen würde und nicht unter den Politikern, wären diese schlimmen Diskussionen weg.

Express: Haben sie für ihre Kandidatur im Namen der MBL bewusst die bürgerlich Zählgemeinschaft mit FDP und BfM im Marburger Stadtparlament geopfert?
Huesmann: Nein. Wir haben ja mit den anderen Fraktionen über eine Zusammenarbeit verhandelt. Und während wir erst noch unsere Mitglieder befragen wollten, sind die anderen vorgeprescht und haben sich auf Röllmann festgelegt nach dem Motto: "MBL, friss oder stirb!" Es gibt zu Röllmann politisch keine Differenzen, aber er ist Mitglied der FDP und manche bei uns wollten keinen Parteisoldaten. Dann sagten wir uns, wir stellen auch einen auf. FDP und BfM haben schließlich die Gemeinschaft aufgekündigt – zumindest als Vorwand –, weil ich gesagt habe "das sind beleidigte Schönheiten". Ich komme aus dem Ruhrgebiet. Wir sind alle Mitglieder im Club der deutlichen Aussprache.

Express: Deutliche Worte hatten Sie auch gefunden als Sie unter dem Motto "Scheiß des Monats" überflüssige oder fragwürdige Medikamente anprangerten. Mitunter treten Sie im Fernsehen auf, zuletzt bei Jürgen Fliege. Und Sie fanden bundesweit Beachtung als Sie mit der Mistgabel vor dem Bundestag gegen die Wahl 2002 demonstrierten. Haben Sie Spaß an Selbstinszenierung und Provokation?
Huesmann: Meine Wut war so groß, dass ich mich in die Feudalzeit versetzt fühlte. Die Regierung hatte das Volk vereimert, indem sie verschwiegen hat, wie hoch die Defizite sind. Das Volk war machtlos wie im Mittelalter, doch damals haben die Leute im Bauernkrieg ihre Mistgabel genommen. Wenn dort 100.000 ständen mit der Mistgabel in der Hand, könnten sie der Regierung die Hölle heiß machen. Und was den "Scheiß des Monats" betrifft: Die Reaktionen waren so unerwartet stark, dass man da natürlich lernt, mit den Medien, mit dem Fernsehen umzugehen.

Express: Ihre Chancen bei der OB-Wahl?
Huesmann: Man kann es selbst am schlechtesten beurteilen. Aber aufgrund der Reaktionen – nicht nur von wohlmeinenden Bekannten – gehe ich von einer Stichwahl zwischen Vaupel und Huesmann aus. Herr Heer hat ja schon einen schweren Stand in der eigenen Partei. Und Herr Röllmann ist einfach zu unbekannt.

Express: Vielen Dank für das Gespräch.

Interview: Daniel Hajdarovic


Express Online: Thema der Woche | 6. Januar 2005

Das Runde mit Schmackes ins Eckige

TV 1905 Mainzlar –
SG 09 Kirchhof
Wer will Freikarten für das Hessenderby am 23.01., 15.30 Uhr, in der Sporthalle Lollar-Nord? Einfach bis Freitag, 21. Januar, 14.00 Uhr, beim TVM anrufen: 0641/9709070.
CSW
Einhundert Jahre TV 1905 Mainzlar (TVM) – und 14 Jahre erfolgreicher Damenhandball in der ersten Bundesliga. Express und TVM verlosen Karten für das Spiel am 23. Januar gegen den SG 09 Kirchhof

Vor genau einhundert Jahren wurde in Staufenberg-Mainzlar ein Turnverein gegründet, der heute bundesweit für Aufsehen sorgt. Denn seit 14 Jahren sind die Handballerinnen des TV 1905 Mainzlar in der 1. Bundesliga auf Erfolgskurs – das soll im Jubiläumsjahr 2005 natürlich nicht anders sein.

Gerade deswegen wurden in der laufenden Saison einige vereinsinterne Umgestaltungen vorgenommen: Gründung der Staufenberg-Mainzlarer Handball GmbH, Reduzierung des Spieler-Kaders und Verpflichtung neuer, erfahrener Kräfte sowie neuer Trainer.

Der Neuaufbau gestaltete sich nicht leicht, da am Ende der letzten Saison Unsicherheit den Ton angab. Wir hoffen, dass es dem neuen Trainer gelingen möge, aus guten Individualspielerinnen auch eine schlagkräftige Mannschaft zu formen", äußerte sich Bundesliga-Obmann Bernd Dugall im Vorfeld der Saison ../2004/2005.

Was wird das Jubiläumsjahr den Handballerinnen nun sportlich bringen? Trainer Norbert Gwiozda stehen gleich im Januar große Aufgaben bevor. Nach den beiden Auswärtsspielen bei Union Halle-Neustadt am 9. Januar (Pokal) und in Rostock am 15. Januar stehen seine Damen am 23. Januar im Hessen-Derby den Werferinnen des SG 09 Kirchhof gegenüber. Dann aber mit Heimvorteil in der frisch renovierten Spielstätte Sporthalle Lollar-Nord, wo man nach der Renovierung noch ungeschlagen ist.

Gegen den SG 09 erfuhr der TVM aber im Vorrundenspiel vergangenen Jahres eine bittere 31:35 Niederlage. Auch die 15 Tore, die die Ausnahmespielerin Monika Ludmilova damals ins gegnerische Netz setzte, konnten nicht am Kampfgeist der Kirchhofer rütteln. Gut beraten sind die TVM-Mädels, diesmal ihre Gäste nicht zu unterschätzen. Für das spannende Hessen-Derby am Sonntag, 23.01., um 15.30 Uhr wird der Express in Zusammenarbeit mit dem TV 1905 Mainzlar fünfmal zwei Freikarten verlosen (siehe Kasten oben rechts).

Christian Schulze Wenning



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