Express Online: Editorial | 5. Mai 2005

Falschgold

Auf dem langen Weg vom Auge durch den Arm in den Pinsel geht so einiges verloren, klagt schon Lessings Maler Conti in "Emilia Galotti". Beim Bildhauer kaum anders. Leicht fällt es daher, wenn man gleich ein Abbild vom Bild schafft und sich um die eigene Wahrnehmung nicht kümmern braucht. Geschäftstüchtig, wer sein Werk dann trotzdem noch verkauft. Etwa an Fürsprecher lokaler Kultur, die in ihrer Verantwortung als Juroren schlichtweg ein Plagiat in die Stadt geholt haben und dafür noch teuer bezahlen ließen. Bei über 200.000 Euro für einen Park von vier Skulpturen lässt sich der Preis einer goldenen Fälschung des universitären Wahrzeichens "Mann im Turm" von dem renommierten Bildhauer Stephan Balkenhol durch den nicht ganz so renommieren Kollegen Stefan Pietryga schnell errechnen.

Dabei war der Jury aus hiesigen Kunstpädagogen und Stadträten die Assoziationskette durchaus bewusst: Kulturamtsleiter Dr. Häring bestätigte zwar den Ähnlichkeitsfaktor, spricht aber von "einem ganz anderen Charakter" der Figur Pietrygas. Nur ist Charakter per se leider immer noch ein rein innerer Wert, hier geht es lediglich um das banale Äußere. Und das spricht für jedes Auge eine eindeutige Sprache.

Abgesehen davon, dass an zweiter Stelle zudem ein Oberstudienrat des Instituts für Kunstpädagogik als Bildhauer gefördert wurde, der es im Gegensatz zu freien Künstlern wohl als nettes Taschengeld sehen kann, was die Jury aus langjährigen Kollegen ihm da bewilligt hat – Ein echter Kunstkrimi.

Rüdiger Oberschür


Express Online: Editorial | 5. Mai 2005

Früher war alles besser

Wie kommt's, dass man solch abgestandener, zahnloser Wendung die vollste Zustimmung zollen mag? Steht man etwa mittlerweile – trotz vollstem Zahnstand – selbst ein wenig ab? Hm. Aber irgendwas ist doch dran, verflixt nochmal.

Betrachten wir beispielsweise unser aller Wetter. Vor kurzem noch sauste man mit dem Filius auf dem Schlitten durch Eis und Schnee bergab, und mit einem Mal – zack! findet man sich an exakt derselben Stelle wieder: Schwitzend wie ein Waldesel und auf der Suche nach einem schattigen Plätzchen fürs Überleben der Familie; dieweil der einstmals feste Inhalt des Picknick-Korbes in den gasförmigen Aggregatzustand hinüberwabert. Will sagen, das geht alles viel zu schnell. Wen wundert es noch, wenn man simultan bei 30 Außengraden mit einer hartnäckigen Bronchitis im Clinch liegt? Kann mir einer sagen, was er will: das gab es früher nicht.

Früher, das war die Ära des harmonischen Herübergleitens der Jahreszeiten, der Feinabstufungen im Gang der Tage, der sanften Bewegung in allen Dingen. Heute ist affenartiges hin, her, vor, zurück, hoch, runter undwasweißichnoch. Die alten Futuristen hätten ihre helle Freude dran gehabt. Früher. Als alles besser war.

Michael Arlt



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