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Thema der Woche | 26. Oktober 2017

Gemeinwohl statt Globalisierung

Fairer Handel für gute Bilanzen: Wirtschaftspublizist und Attac-Aktivist Christian Felber im Interview – Foto: gemeinfrei

Wirtschaften für das Gemeinwohl ist das Thema von Christian Felber bei der Regionalkonferenz "Nachhaltig Handeln" am 3. November in Marburg.Im Express-Interview erläutert der Wiener Wirtschaftspublizist und Mitbegründer von Attac Österreich seine Vorstellung von einem ethischen Welthandel.

Express: Sie sind ein scharfer Kritiker von ungezügelten Freihandel und unfairer Globalisierung. Stattdessen sprechen sie sich für eine Gemeinwohl-Ökonomie aus. Was ist das?

Christian Felber: Zum einen, dass "alle wirtschaftliche Tätigkeit dem Gemeinwohl dient", wie es so wörtlich in der bayerischen Verfassung steht. Im Grundgesetz ist die Sozialpflicht allen Eigentums festgeschrieben. Wir machen diese endlich messbar: mit einer Gemeinwohl-Prüfung für Investitionen, mit einer Gemeinwohl-Bilanz für Unternehmen und mit dem Gemeinwohl-Produkt für Volkswirtschaften. Geld und Kapital sind Mittel, um diesen Zielen und Werten zu dienen, aber nicht Zweck. Auch Handel ist kein Selbstzweck, sondern Mittel, um das globale Gemeinwohl – Menschenrechte, Arbeitsrechte, Umwelt- und Klimaschutz, sozialen Zusammenhalt und kulturelle Vielfalt – zu fördern. Leistet Handel das, ist mehr davon willkommen. Gefährdet er diese höheren Ziele und Werte, wird er beschränkt.

Express: Was verstehen sie unter Gemeinwohl?

Felber: Persönlich, dass das Wohl aller Lebewesen zählt. Ein verbindlicher Inhalt kann aber nur demokratisch ermittelt werden. Wir schlagen BürgerInnen-Beteiligungsprozesse vor, in denen die 20 wichtigsten Komponenten von Lebensqualität oder eben Gemeinwohl ermittelt werden. Aus dem "lokalen Gemeinwohl-Index" könnte später das demokratische Gemeinwohl-Produkt entwickelt werden. Wenn dieses wächst, haben die Menschen die Garantie, dass sie entweder gesünder, gescheiter, glücklicher oder zeitwohlhabender sind. Für Unternehmen haben wir diese Arbeit vorgeleistet, in dem wir in Gemeinwohl-Bilanzen messen, wie sehr ein Unternehmen die verfassungsmäßigen Grundwerte lebt und erfüllt – von der Menschenwürde bis zur Nachhaltigkeit. Den Gemeinwohl-Begriff kennen wir seit Aristoteles, die Verfassungswerte sind unsere höchsten Kulturgüter.

Express: Wie sieht eine Wirtschaft aus, die sich am Gemeinwohl misst – statt am Unternehmensgewinn?

Felber: Banken und Börsen machen zuerst die ethische Bonitätsprüfung. Nur wenn die dauerhaften Werte nicht vermindert werden, wird das finanzielle Risiko geprüft; werden beide bestanden, fließt das Geld, zu umso günstigeren Konditionen, je höher der gesellschaftliche Mehrwert der Investition ist. Unternehmen erstellen eine Gemeinwohl-Bilanz und zahlen umso weniger Steuern, Zinsen und Zölle, je besser deren Ergebnis – so halten sich nur die verantwortungsvollen und nachhaltigen auf den Märkten. Ungleichheit gibt es, aber sie ist begrenzt: bei Einkommen, Vermögen, Erbschaften und Firmengrößen. Die Verhinderung exzessiver Machtkonzentration bringt mehr Freiheiten und Chancen für alle. Und wenn die durchschnittliche Arbeitszeit im Erwerbsleben schrumpft, bleibt mehr Qualitätszeit für Familie, Freundschaften, Selbstverwirklichung und demokratisches Engagement. Das Leben wird sicherer und genussvoller, das Gesamtsystem stabiler.

Express: Klingt nach einer schönen Vision – deren Umsetzung utopisch erscheint. Wie soll das funktionieren?

Felber: Indem die Strategie genauso pragmatisch wie die Vision bestechend ist: Wir haben für alle Akteure der Gegenwartsgesellschaft eine niederschwellige Beteiligungsform entwickelt: 500 Unternehmen aus allen Branchen haben eine Gemeinwohl-Bilanz erstellt. Immer mehr Kommunen und Städte machen sich auf den Weg zur Gemeinwohl-Gemeinde, immer mehr Landkreise überlegen, eine Gemeinwohl-Region zu bilden. Rund 200 Hochschulen, Fachhochschulen und Universitäten beforschen, lehren und wenden die GWÖ selbst an. Bei einem Forschungsprojekt der Universitäten Flensburg und Trier haben drei Dax-Konzerne mitgemacht. Jede Person kann eine Regionalgruppe starten oder in einem Förderverein Mitglied werden. Oder mit dem Selbsttest den Anfang machen.

Express: Um eine neue, ethische Wirtschaftsordnung zu etablieren, müssten global alle an einem Strang ziehen, auch Donald Trump & Co. Wie wollen sie das denn erreichen?

Felber: Entgegen eines häufig gebrachten Vorurteils ist es nicht nötig, dass alle Länder gleichzeitig mitmachen. Die Welt war immer von Vielfalt gekenn­zeich­net, die Menschenrechtsabkommen haben mit 35 Signatarstaaten begonnen. Selbst die Welthandelsorganisation WTO ist mit nur 67 Mitgliedern gestartet. Auch eine ethische Handelszone könnte mit 40 oder 50 Staaten beginnen und dann langsam wachsen – durch überzeugende Anreize wie eben geringere Zölle untereinander. Falls die EU den Beginn machen würde, wäre vermutlich rasch die Mehrheit der Staaten mit an Bord – die G77, der heute 130 Staaten angehören, hat schon 1964 versucht, die Spielregeln für den Welthandel innerhalb der UNO zu gestalten, doch Europa, die USA und Japan legten sich quer. Immerhin gelang die Gründung der UNCTAD, die es bis heute gibt. Sie wäre der prädestinierte Kristallisationskern fairer globaler Handelsregeln.

Express: Sie wollen die Größe von Unternehmen und deren Anteil am Weltmarkt begrenzen. Mit welchem Ziel?

Felber: Um die gleichen Freiheiten für alle und die Demokratie zu bewahren. Die größten Unternehmen sind so mächtig, dass sie die Freiheiten aller anderen bedrohen und die Demokratie untergraben. Es waren sich immer alle einig, dass die Konzentration von Macht und damit die Freiheiten dort begrenzt werden müssen, wo ein mehr an Freiheit für die einen ein Weniger an Freiheit für andere bringt. Nur wenn wir die Macht begrenzen, können wir von einer freien Gesellschaft sprechen. Die Demokratie funktioniert nicht automatisch, sie muss überall vor der Überkonzentration von Macht geschützt werden, deshalb gibt es das Prinzip der Gewaltenteilung im Staat und die Fusionskontrolle auf den Märkten – sollte es geben!

Express: Wie wollen sie einem Firmenchef schmackhaft machen, dass seine Firma nicht mehr wachsen darf?

Felber: Bei den Größenordnungen, von denen wir sprechen, gibt es den berühmten – und meist verdienten – Firmenchef nicht. Wer wäre denn der "Firmenchef" von Bayer oder von Monsanto? Die Eigentümer der Großkonzerne sind anonyme institiutionelle Investoren. Bei Bayer und Monsanto sind es in beiden Fällen Black Rock und die Capital Group – das sind eben gerade keine Firmenchefs, sondern juristische Konstrukte, die zu viel Kapital kontrollieren und Macht ausüben. 99,9 Prozent der Unternehmen, und somit so gut wie alle Gründer und verdienten Firmenchefs, wären gar nicht betroffen, sie sind klein genug, dass sie keine Gefahr für die Demokratie oder die Freiheit darstellen. Und bis zu einer immer noch sehr stattlichen Größe von zum Beispiel zehn Milliarden Euro Umsatz haben Gründer und Unternehmerfamilien die Wahl: Wollen sie die Kontrolle vollständig behalten, müssen sie vergleichsweise klein bleiben. Ist Ihnen Wachstum wichtiger, müssen sie Macht abgeben. Am Anfang sollen Markteintritt und Vermögensbildung einfach sein, danach immer schwerer werden – genau umgekehrt wie heute!

Express: Fangen wir im Kleinen an: Sie sind als Redner auf der Regionalkonferenz "Nachhaltig Handeln" in Marburg eingeladen. Was wären die ersten Schritte zu einer Gemeinwohl-Wirtschaft in den Gemeinden, in unserer Region Mittelhessen?

Felber: Schritt eins ist der Beschluss im Gemeinderat, sich auf diesen Weg zu machen. Dazu ist die Anhörung von gemeinwohl-bilanzierten Unternehmen oder Kommunen aus anderen Regionen hilfreich. Schritt zwei ist die Bilan­zie­rung von Kommunalbetrieben, wie es Stuttgart es vorgezeigt hat. Schritt drei die Förderung privater Betriebe, die eine Bilanz erstellen. Je besser das Ergebnis, desto eher gewinnen sie Ausschreibungen und desto günstiger die Kredite bei den regionalen Gemeinwohl-Banken. Am Ende tritt eine Spirale nach oben in Kraft: Alle kooperieren vorrangig mit denen, die mehr zum Gemeinwohl beitragen!

Regionalkonferenz "Nachhaltig Handeln"
Wie kann eine zukunftsfähige Wirtschaft aussehen, die sich am Gemeinwohl und nicht an Unternehmensgewinnen misst? Das wird bei Regionalkonferenz "Nachhaltig Handeln" in Marburg diskutiert.
Zur Tagung eingeladen sind renommierte Experten wie Christian Felber (Gründer der Gemeinwohl-Ökonomie), Prof. Henning Austmann (Experte für zukunftsfähiges alternatives Wirtschaften), Geseko von Lüpke (freier Publizist u. a. "Politik des Herzens. Nachhaltige Konzepte für das 21. Jahrhundert") sowie Christian Gelleri (Regionalwährung Chiemgauer).
Die Konferenz wird am 3. November um 20 Uhr im Cineplex Marburg mit dem Vortrag "Wirtschaften fürs Gemeinwohl – Wie geht das?" von Christian Felber eröffnet.
Für die darauffolgenden zwei Konferenztage mit Diskussionen, Workshops und interaktive Vorträge auf dem Hofgut Fleckenbühl ist eine Anmeldung erforderlich unter www.nachhaltigkeitsregion-marburg-biedenkopf.de. Dort gibt es auch weitere Infos zum Programm.

Interview: Georg Kronenberg

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