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Thema der Woche | 21. Juli 2016

Waschbären, Arnika und Enziane

Neue Wege im Botanischen Garten – Foto: Coordes

Marburg. Die Waschbären Paul und Toni sind die neuen Stars des Botanischen Gartens auf den Marburger Lahnbergen: Possierlich lugen aus ihren Schlafkojen, knabbern an Nüssen und Rosinen und klettern geschickt an Ästen und Holz­wänden entlang. Paul und Toni sind die ersten Waschbären, die in einem Botanischen Garten in Deutschland gehalten werden.

Sie gehören zu den zahlreichen Attraktionen, mit denen der Garten von Jahr zu Jahr beliebter wird. Mehr als zehn Jahre kämpfte der große Park auf den Marburger Lahnbergen um sein Überleben, weil er immer weniger für Lehre und Forschung in der Philipps-Universität gebraucht wird. Noch bis vor drei Jahren war das Ausflugsziel von der Schließung bedroht. Mit festen Zuschüssen von Land und Stadt ist sein Bestand jetzt gesichert. So konnte auch der 1500 Meter langen künstliche Bach saniert werden, der bislang Wasser im Wert von 20000 Euro pro Jahr versickern ließ. Die energetische Sanierung der acht Schau­ge­wächs­häuser soll folgen. Zudem baut sich der Garten immer neue Standbeine auf.

Die kleinen Waschbären wurden vor einem Jahr in einer Kiste im Heizungs­keller des Verwaltungs­gebäudes entdeckt. Und weil das Muttertier die Kleinen im Stich gelassen hatte, päppelte Guido Schemken, Leiter der Uni-Tierhaltung, den Nachwuchs mit Fläschchen und einer Milch-Tee-Brei-Mischung im heimischen Wohnzimmer auf. Danach war klar: Paul und Toni werden die Nachfolger von Philipp und Elisabeth, dem Murmeltierpärchen, das im vergangenen Jahr nicht mehr aus dem Winterschlaf erwacht ist. Die Stadt Marburg finanzierte das Gehege. Die kleinen Wachbären zogen ein. Seitdem lassen sich die eigentlich nachtaktiven Tiere besonders häufig am Nachmittag beobachten. Und die regelmäßigen Besucher wissen, dass die Bären wirklich alles waschen, was ihnen in die Finger kommt.Selbst ihre gesamte Nahrung einschließlich der Toastbrote landet in dem kleinen Pool, in dem Paul und Toni plantschen.

Jedes Jahr lockt der von Günther Grzimek – ein Neffe des berühmten Zoologen – eingerichtete Garten mehr als 100 000 Besucher. Der durch Teiche, kleine Wasserfälle und Bäche durchzogene Park hat eine große Farnschlucht, ein beeindruckendes Alpinum, einen Frühlingswald, ein Rhododendron-Wäldchen, einen Keltengarten sowie einen Indianer- und einen Bibelpflanzenpfad. Attraktionen sind die Schaugewächshäuser mit Kakteen, Schmetterlingen sowie Pflanzen aus Australien, den Tropen, dem Amazonas und den Kanaren. Es gibt Pfeiffrösche, Rotbauchunken und Gespenstschrecken. Und das im Alpinum gelegene Gehege der Murmeltiere soll in Zukunft vielleicht Meerschweinchen aus den Anden beherbergen. Ein großer Erfolg ist die Grüne Schule, die fast täglich mit Besuchergruppen zu Führungen aller Art, Expeditionen, Kindergeburtstagen sowie Projekten zu Kakao, Kaffee, Wüste oder Regenwald unterwegs ist. Das Schülerlabor bietet Genetik- und Photosynthesekurse für die ganze Region.

Das alles stemmt der Botanische Garten mit 35 Mitarbeitern – noch nicht einmal halb so viel Personal wie früher. Deshalb musste auch die Systematische Abteilung fast komplett aufgegeben werden, anhand derer Studierende einst lernten, wie das Pflanzenreich aufgebaut ist.

Weil der Garten für die Universität weniger bedeutsam geworden ist, hat er inzwischen ganz neue Aufgaben übernommen: Marburg ist ein wichtiger Standort für den Artenschutz. So ziehen die Gärtner allein in diesem Jahr 8000 Pflanzen der bedrohten Arnika heran, die dann wieder an den originalen Standorten in den Bergregionen Deutschlands ausgewildert werden, etwa im Spessart, im Taunus, in der Rhön, im Burgwald und im Ederbergland. Über die Arnika können sich die Besucher zudem in einem Pavillon informieren. Ähnliche Projekte gibt es für knapp 100 verschiedene Arten, die im Auftrag von Bund, Ländern und Kommunen gezogen werden. Dazu gehören Trollblumen, die im Raum Winterberg ausgesetzt werden, und Küchenschellen aus der Nähe von Gießen.

"Das ist eine ganz wichtige Aufgabe, die wir sehr gern machen", erklärt der Leiter des Botanischen Gartens, Andreas Titze. Es gebe aber auch nur wenige Einrichtungen, die das Können dafür hätten. Besonders schwierig sei etwa die Nachzucht bei manchen Erdorchideen. Zudem sorgen die Gärtner dafür, dass die Genotypen erhalten bleiben. Dazu werden Samen von den originalen Standorten geholt, die Pflanzen herangezogen und wieder an den Ursprungs­standorten ausgepflanzt. Es gibt sogar eigene Hummelzuchten, um Arnika, Küchenschellen Trollblumen und seltene Glockenblumen zu bestäuben. 20 verschiedene Völker summen in und um die Gewächshäuser. Schließlich braucht man je nach Bedarf Erd-, Stein-, Wiesen-, Garten- oder Ackerhummeln.

Der Kreuzenzian aus dem Nationalpark Kellerwald wäre ohne den Garten bereits ausgestorben. Vor drei Jahren, als nur noch zwei bis drei Pflanzen übrig waren, wurden gerade noch rechtzeitig Samen gesammelt. In Marburg herangezogen, konnten jetzt 280 Enziane im Nationalpark ausgewildert werden. Im nächsten Jahr wird die bedrohte Pflanze blühen – wo genau, verraten die Gärtner aber nicht.

Botanischer Garten
Der Botanische Garten ist bis zum 31. Oktober täglich von 9 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt kostet 4 Euro für Erwachsene (2,50 Euro für Schüler ab 15 Jahren, Kinder frei). Das Café ist an den Wochenenden offen. Im Winterhalbjahr ist der Besuch des Freilands kostenlos. Weitere Infos: www.uni-marburg.de/botgart

Gesa Coordes

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